„Spionagevorwurf“

Russland sperrt US-Reporter wegen Wagner-Infos ein

Ausland
30.03.2023 22:14

Klingt wie in einem Agententhriller, ist aber Realität. Russische Behörden haben einen amerikanischen Reporter des „Wall Street Journal“, der offiziell im Land recherchieren darf, festgenommen. Der Grund: Der Inlandsgeheimdienst FSB bezichtigt ihn der Spionage. Es ist das bisher schwerwiegendste öffentlich bekannte Vorgehen gegen einen ausländischen Journalisten seit Beginn des Ukraine-Kriegs.

Der russische Geheimdienst FSB will damit die „illegalen Aktivitäten des US-Bürgers Evan Gershkovich“ gestoppt haben, wie er am Donnerstag erklärte. Die Zeitung wies die Anschuldigungen gegen den 31-Jährigen hingegen „vehement“ zurück, die Organisation Reporter ohne Grenzen zeigte sich „beunruhigt“ und die US-Regierung verurteilte die Verhaftung des Mannes „auf das Schärfste“.

Journalist derzeit in Untersuchungshaft
Dem FSB zufolge wurde Gershkovich in Jekaterinburg festgenommen, „als er versuchte, geheime Informationen zu beschaffen“. Die Stadt liegt 1800 Kilometer östlich von Moskau. Bei einer Anhörung vor einem Moskauer Bezirksgericht im Stadtteil Lefortowo unter Ausschluss der Öffentlichkeit plädierte Gershkovich der russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge auf nicht schuldig. Das Gericht ordnete eine knapp zweimonatige Untersuchungshaft bis zum 29. Mai an.

Gershkovichs Anwalt Daniil Berman sagte zu Journalisten außerhalb des Gerichtssaals, dass er nicht zur Anhörung zugelassen worden sei. Gershkovich werde wahrscheinlich im Untersuchungsgefängnis Lefortowo festgehalten, das häufig vom FSB genutzt wird.

Der beim russischen Außenministerium akkreditierte Korrespondent des Moskauer Büros des „Wall Street Journal“ stehe im Verdacht der „Spionage im Interesse der amerikanischen Regierung“, hieß es vom FSB. Der 31-Jährige werde verdächtigt, Informationen „über ein Unternehmen des militärisch-industriellen Komplexes“ in Russland gesammelt zu haben. Russland hatte seine Mediengesetze nach Beginn der Ukraine-Invasion drastisch verschärft. Bei einer Anklage können laut dem russischen Strafgesetzbuch nun zehn bis 20 Jahre Haft drohen.

Offizielle Seite will Journalist „erwischt“ haben
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, erklärte, Gershkovich sei „auf frischer Tat“ ertappt worden. Auch Kreml-Sprecher Dmitri Peskow betonte, es gehe nicht um bloße Verdächtigungen, der US-Reporter sei vielmehr „erwischt“ worden. Konkrete Angaben machte Peskow dazu nicht. Der Kreml-Sprecher warnte die USA vor Repressalien gegen russische Journalisten: „Wir hoffen, dass es nicht dazu kommt und es darf nicht dazu kommen.“

Das „Wall Street Journal“ wies die Anschuldigungen gegen seinen Reporter „vehement“ zurück und erklärte, es sei „zutiefst in Sorge um die Sicherheit von Herrn Gershkovich“. Reporter ohne Grenzen zeigte sich „beunruhigt über das, was nach einer Vergeltungsmaßnahme aussieht“. Der Organisation zufolge recherchierte der 31-Jährige „zum Militärunternehmen Wagner“, einer Söldnergruppe, der eine wichtige Rolle bei Russlands Offensive in der Ukraine zukommt.

Weißes Haus entrüstet
„Die Verfolgung amerikanischer Staatsbürger durch die russische Regierung ist inakzeptabel“, teilte das Weiße Haus am Donnerstag mit. Das US-Außenministerium sei zutiefst besorgt und stehe in direktem Kontakt mit der russischen Regierung und bemühe sich aktiv darum, Gershkovich konsularischen Zugang zu verschaffen.

US-Regierung warnt vor Russlandreisen
Am Mittwochabend (Ortszeit) hätten Vertreter der US-Regierung mit dem Arbeitgeber Gershkovichs, dem „Wall Street Journal“ gesprochen. Man stehe auch in Kontakt mit der Familie des Journalisten.

Zitat Icon

„Wir verurteilen auch die fortgesetzte Verfolgung und Unterdrückung von Journalisten und der Pressefreiheit durch die russische Regierung“

Weißes Haus

 Die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden betonte außerdem, dass US-Amerikaner die Warnung der US-Regierung vor Reisen nach Russland beherzigen sollten.

Bevor Gershkovich im vergangenen Jahr zum „Wall Street Journal“ wechselte, war er Korrespondent für die Nachrichtenagentur AFP in Moskau. Zuvor arbeitete er für die „Moscow Times“, ein englischsprachiges Nachrichtenportal. Gershkovich ist gebürtiger Russe, seine Familie wanderte in die USA aus, als er noch ein Kind war.

Eskalation der Unterdrückung von kritischen Stimmen
Die Festnahme des 31-Jährigen stellt eine Eskalation in den Bemühungen des Kremls dar, vermeintliche Kritiker zum Schweigen zu bringen. Westliche Journalisten sind in Russland mit zunehmenden Einschränkungen konfrontiert. Mitarbeiter westlicher Medien berichten teilweise von Beschattungen - besonders bei Reisen außerhalb der Ballungszentren Moskau und St. Petersburg. Viele Russen zögern, mit ausländischen Medien zu sprechen, da im Zuge der Offensive in der Ukraine strenge Zensurgesetze erlassen wurden.

Auch russische Journalisten zusehends unter Druck
Auch russische Journalisten sehen sich Spionagevorwürfen von russischen Behörden ausgesetzt. Im vergangenen Jahr wurde der frühere Investigativjournalist Iwan Safronow wegen angeblichen Verrats von Staatsgeheimnissen zu 22 Jahren Haft verurteilt.

„Das Problem ist die Tatsache, dass die Art und Weise, wie der FSB Spionage heute auslegt, bedeutet, dass jeder, der sich einfach nur für militärische Angelegenheiten interessiert, für 20 Jahre inhaftiert werden kann“, erklärte die russische Politologin Tatiana Stanowaja im Onlinedienst Facebook. Dies betreffe auch die „militärische Spezialoperation (in der Ukraine)“ und „private Militärgruppen (wie Wagner)“.

Geisel für Gefangenenaustausch?
Stanowaja zufolge könnte der FSB Gershkovich aber auch als „Geisel“ für einen möglichen Gefangenenaustausch genommen haben. Derzeit sind mehrere US-Bürger in Russland in Haft. Washington und Moskau haben sich gegenseitig beschuldigt, politisch motivierte Festnahmen vorzunehmen. 2020 war der frühere US-Soldat Paul Whelan in Russland zu einer 16-jährigen Haftstrafe wegen des Vorwurfs der „Spionage“ verurteilt worden. Die USA fordern seine Freilassung. Den jüngsten Gefangenenaustausch zwischen Washington und Moskau gab es im vergangenen Dezember. Damals ließ Russland die US-Basketballerin Brittney Griner im Austausch gegen den russischen Waffenhändler Viktor Bout frei.

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