Besorgniserregende Entwicklung bei der Kinderkriminalität: Die Handy- und Internetgeneration lässt auch die Anzeigen bei uns explodieren. Binnen zehn Jahren hat sich die Zahl der Straftäter unter 14 Jahren fast verdoppelt.
Sie sind die Häftlinge von morgen: straffällige Mädchen und Buben, die aufgrund ihres Alters nicht auf der Anklagebank landen können. Die Deliktpalette ist vielfältig: Vom Cyber-Mobbing bis hin zur Körperverletzung oder gar Mord. Wie bei dem schockierenden „Fall Luise“ in Deutschland. Wie berichtet, hatten zwei Mitschülerinnen die 12-jährige Luise auf einen Waldweg gelockt - und das Mädchen nach 75 (!) Messerstichen sterbend die Böschung hintergeworfen.
25 Prozent der Anzeigen betreffen Mädchen
Doch wie ist die Situation in Österreich? Die „Krone“ machte den Faktencheck in Sachen Kinderkriminalität. Wir sind jedenfalls längst keine Insel der Seligen. Durchschnittlich fast 29 Anzeigen pro Tag bei mehr als 2000 minderjährigen Opfern sprechen eine eindeutige Sprache und lassen auch bei den heimischen Sicherheitsexperten die Alarmglocken schrillen. Weitere Zahlen: Waren es 2013 noch knapp 5600 Strafunmündige, so sind es zehn Jahre später, 2022, mit mehr als 10.000 von der Polizei ausgeforschten Kindern fast doppelt so viele.
Neue Verbrechensformen durch Handy und Computer
Immerhin ein Viertel davon - exakt 2522 - Mädchen. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Gesamtstatistik. Mittlerweile ist schon jeder 29. Tatverdächtige unter 14 Jahre alt.
Die Gründe dafür sind vielfältig: mehr Gewalt durch fehlende Empathie (siehe auch Interview mit renommierten Gerichtspsychiater unten), zudem führt der immer leichtere Zugang zu Computer und Handys zu neuen Verbrechensformen wie Grooming oder Sexting. Hinzu kommen sensibilisierte Lehrer, die Gewalt an der Schule schneller melden.
Die Politik möchte derzeit aber an der Altersgrenze von 14 Jahren für eine Gerichtsstrafe noch nicht rütteln ...
Die Digitalisierung hat Auswirkungen auf die Zahl der Anzeigen. Delikte wie etwa das Verschicken von Nacktaufnahmen von Freunden fallen ebenso ins Strafrecht wie Drohungen am Handy per WhatsApp.
Ein Sprecher des Innenministeriums
Das Fazit der Jugendpsychologen ist zwischen Vorarlberg und dem Burgenland jedenfalls beinahe ident: Einerseits stehen die Kinder unter Dauerstress aufgrund der Umwelteinflüsse, andererseits sind die Eltern oftmals mit der Situation mehr und mehr überfordert. Es gäbe nur noch zwei Seiten von Erziehung: die Überbehütung oder den vollkommenen Rückzug der Erziehungsberechtigten.
So viele strafunmündige Kinder unter 14 Jahren wurden im vergangenen Jahr von der heimischen Polizei wegen verschiedenster Delikte angezeigt.
Das Land aufgerüttelt haben zuletzt etwa auch die Halloween-Krawalle in Linz oder die Silvester-Randale in Wien durch minderjährige Banden - oftmals mit Migrationshintergrund und aus sozialen Brennpunkten heimischer Städte.
Auch immer mehr abnorme Straftäter unter Teenagern
Und wie sieht es ab dem 14. Geburtstag vor den Augen des Gesetzes aus? Allein im Vorjahr gab es laut Justizministerium 563 Verurteilungen jugendlicher Beschuldigter an heimischen Gerichten. Rund 90 „Milchbubi-Täter“ werden sogar im sogenannten Maßnahmenvollzug für psychisch Abnorme untergebracht. Anwälte sehen Haftstrafen freilich eher kritisch, weil Heranwachsende hinter Gittern überall mit Kriminalität konfrontiert seien.
Wichtig ist aber auch der Blick auf die Geschädigten selbst. So gingen die Zahlen unmündiger Opfer - nach einem Pandemie-Rückgang - ebenso wie jene junger Tatverdächtiger nach oben. Von Cyber-Mobbing bis hin zur nackten Gewalt ...
„Empathie kommt unter die Räder“
Gerichtspsychiater Univ.-Prof. Reinhard Haller analysiert die Ursache, warum Kinder kriminell werden.
„Krone“: Herr Prof. Haller, merken Sie als Gerichtspsychiater eine Zunahme krimineller Straftaten bei Kindern und Jugendlichen?
Reinhard Haller: Ich glaube schon, dass dies der Fall ist und nicht nur in Einzelfällen zu beobachten ist. Das hat auch damit zu tun, dass heute das Reifungsalter viel früher eintritt. Das Alter, in dem Mädchen und Burschen in die Pubertät kommen, ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken. Zudem wird durch steigenden Bewegungsmangel vieles an Aggressivität nicht mehr abgeführt. Dieses fehlende Ventil kommt dann in Form von Kriminalität zum Ausdruck.
Welche Rolle spielen Eltern und Schule bei dieser Entwicklung?
Der Verlust der familiären Beziehungen ist größer geworden. Kinder sind viel mehr sich selbst überlassen. Das muss man sehen. Das begünstigt solche negativen Entwicklungen. Es ist unbedingt darauf zu achten, dass junge Menschen Zeit, die alle viel zu wenig haben, Zuwendung und Zärtlichkeit erhalten. Es ist daher wichtig, in der Erziehung anzusetzen und auch in der Schule mehr Wert auf die Förderung der Empathie, die immer mehr unter die Räder kommt, zu legen.
Was halten Sie von der Herabsetzung des Alters für strafrechtliche Mündigkeit?
Meiner Meinung nach sollten Straftaten für Zehn- bis 14-Jährige irgendwelche Folgen haben müssen. Hier müsste es kontrollierte pädagogische Maßnahmen geben, nicht gleich das Gefängnis, sondern therapeutische Sanktionierungen.
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