Gefährliche Fälschung

„Hitler-Tagebücher“ im Netz veröffentlicht

Medien
23.02.2023 18:18

Vor fast 40 Jahren präsentierte das deutsche Magazin „Stern“ vermeintliche „Hitler-Tagebücher“, schnell entpuppten sie sich damals als plumpe Fälschung. Für den deutschen Politikwissenschaftler Hajo Funke steht außerdem fest, dass sie absichtlich als „Ausdruck von Holocaustleugnung“ fabriziert wurden. Funke hat die gefälschten Bücher wissenschaftlich kommentiert, in dieser Form veröffentlicht der deutsche Sender NDR die kompletten 60 Bände online.

Es sei gelungen, die „Hitler-Tagebücher“ lesbar und auch recherchierbar zu machen, erklärte der NDR am Donnerstag in einer Aussendung, um 18 Uhr wurden sie im Netz veröffentlicht. Mithilfe einer Künstlichen Intelligenz (KI) habe man die gefälschte Handschrift Hitlers in ein Transkript übersetzen können. „Damit wird erstmals in vollem Umfang deutlich, in welcher Absicht die Fälschungen verfasst wurden und wie der Stern bereit war, die NS-Geschichte neu zu deuten und zu verharmlosen“, hieß es. Dem Projekt liegen Kopien zugrunde, die Originalbände der „Tagebücher“ sind im Safe des deutschen Medienunternehmens Gruner + Jahr eingesperrt.

Fundierte wissenschaftliche Begleitung
Der Politikwissenschaftler Hajo Funke von der Freien Universität Berlin hat die „Tagebücher“ gelesen und das Projekt wissenschaftlich begleitet. Sein Befund: „Diese Tagebücher sind Ausdruck von Holocaustleugnung. Das ist eindeutig. Sie wollten Hitler von den schlimmsten Verbrechen der Nazis freisprechen“, so Funke. Die Historikerin Heike Görtemaker, die ebenfalls Teil des wissenschaftlichen Beirats war, unterstreicht die massive historische Umdeutung. „Der fiktive Hitler hat mit nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nichts zu tun. Er ist sogar derjenige, der versucht, andere seiner Parteigenossen im Zaum zu halten“, so Görtemaker.

„Positive Hitlerfigur“
Der Fälscher von damals, der Deutsche Konrad Kujau, habe eine „positive Hitlerfigur“ erfunden, meint die Historikerin. Es gebe zahlreiche Stellen in der Fälschung, die erzählen würden, wie sich ein vermeintlicher Hitler um eine wohlwollende Lösung für die Juden einsetzt. So schreibt der vermeintliche Hitler am 31. Juli 1941, man solle die Juden zur schnellen Auswanderung bewegen oder ihnen „einen sicheren Landstrich in den besetzten Gebieten suchen, wo sie sich selbst ernähren und verwalten können.“ In Wahrheit war zu diesem Zeitpunkt der Holocaust von den Nazis längst radikal entfesselt worden.

Wie böswillig die Tagebücher arbeiten, zeigt der Eintrag vom 20. Januar 1942, an dem die Wannsee-Konferenz stattfand, bei der die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas zur Vernichtung organisiert wurde. Sogar an diesem Tag zeichnet der vermeintliche Hitler ein vollkommen verzerrtes Geschichtsbild: „Erwarte die Meldungen der Konferenz über die Judenfrage. Wir müssen unbedingt einen Platz im Osten finden, wo sich diese Juden selbst ernähren können.“ Diese historische Holocaustfälschung zieht sich in den Tagebüchern bis ins Jahr 1945.

Mit KI durchforstet
Mithilfe der KI konnten die Fälschungen erstmals auch vollständig nach Schlagworten durchsucht werden. Dabei zeigt sich, dass alle Begriffe des Holocaust nicht vorkommen. Schlagwörter wie „Endlösung“, „Gaskammer“ fehlen vollständig.

Die Lügen wollte der „Stern“ 1983 Zug um Zug als historische Wahrheit veröffentlichen. „Die Geschichte des Dritten Reiches wird in großen Teilen neu geschrieben werden müssen“, war damals die Ankündigung des Magazins.

In Neonazi-Szene verstrickt
Die neuen Forschungen belegen dem NDR zufolge, dass der Fälscher der „Hitler-Tagebücher“ tiefer in ein neonazistisches Umfeld verstrickt als bislang bekannt. Konrad Kujau hatte in den frühen 1980er-Jahren Kontakte zum Umfeld des Neonazi-Führers Michael Kühnen. Eng verbunden war er den NDR-Recherchen zufolge mit Kühnens Pressesprecher, Lothar Zaulich. Gegen Zaulich wurde nach dem aufgeflogenen Skandal 1983 und 1984 ermittelt. Die Polizei fand Hinweise auf eine enge Zusammenarbeit, etwa ein professionelles Fotolabor und eine Werkstatt zur Herstellung von Reproduktionen. Gemeinsam sollen Kujau und Zaulich die Hitler-Handschrift perfektioniert haben. Eine direkte Teilnahme Zaulichs an der Fälschung der „Hitler-Tagebücher“ konnte jedoch nicht nachgewiesen werden.

Auf Anfrage des NDR äußerte sich der „Stern“ nicht zu den neuen Recherchen. Man betonte lediglich, dass man die Originale der Tagebücher nie für die Öffentlichkeit freigegeben habe, um „Missbrauch zu verhindern“. Eine 2013 von dem Magazin zugesagte Freigabe der Originale an das deutsche Bundesarchiv ist bis heute nicht erfolgt.

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