„Krone“-Interview

KTM-Boss Beirer: „Alles hängt nur an einer Runde!“

Motorsport
11.08.2022 17:43

KTM-Motorsportchef Pit Beirer spricht vor dem Heimrennen am Red-Bull-Ring im Interview mit der „Krone“ über die Qualifying-Schwäche seines Teams, den Stand des MotoGP-Projekts, Neuzugang Jack Miller und die Erwartungshaltung für das nächste, siebente Jahr in der Königsklasse … 

„Krone“: Die Saison 2022 hat ja extrem verheißungsvoll für KTM begonnen, mit Platz zwei für Binder in Katar und dann dem Sieg Oliveiras beim Regenrennen in Indonesien. Dann kam aber nur noch je ein fünfter Platz nach. Warum konnte man die große Erwartungshaltung der Fans nach dem tollen Start bislang nicht erfüllen?
Pit Beirer: Nicht nur die Erwartungshaltung der Fans, auch unsere eigene. Wenn man es auf den Punkt bringen will: Wir haben einfach eine totale Schwäche im Qualifying gegenüber unseren Konkurrenten. Wir haben eine tolle Renn-Pace, Brad Binder führt dieses Jahr leider eine deprimierende Statistik an - er hat schon 65 Überholmanöver im Rennen vollbracht. Also wir haben einen super Renn-Speed, gerade wenn man die letzten beiden Rennen in Assen und Silverstone betrachtet. Die Rennen waren 10 Sekunden schneller als im Vorjahr, die schnellste KTM hat sich um die 20 Sekunden verbessert. In Silverstone waren wir eine knappe Sekunde pro Runde schneller als letztes Jahr, dann bist du 2,7 Sekunden hinter dem Sieger im Ziel und trotzdem nur Sechster. Aber das Rennen geht eben am Freitag los, wir können uns nicht vor dem Qualifying verstecken. Das ist momentan unsere größte Schwäche, wenn man sich ansieht, was wir netto für einen Renn-Speed haben, der ist echt sehr konkurrenzfähig, da sind wir auf Podium-Performance. Das war und ist unser Ziel für dieses Jahr, ums Podium zu kämpfen und da sind wir momentan nicht bei unseren eigenen Erwartungen. Wir gehen nach dem Samstag-Qualifying als 14., 15., 16. ins Rennen und bis du dann in einer Position bist, wo es um die guten Plätze geht, ist entweder das Rennen vorbei oder der Reifen ruiniert. Das ist der frustrierende Teil der Saison in kurzer Zusammenfassung.

Nicht erst diese Saison. Binder sagte ja schon im Winter, dass er nicht mehr der Sonntagsfahrer sein will, der erst im Rennen schnell ist …
Ja, im ganzen Projektverlauf war das Qualifying noch nie unsere beste Performance. Auf eine Runde das Beste herauszuholen, hat sich schon in der letzten Saison als schwierig gezeigt, da legen wir auch sehr viel Augenmerk drauf, aber das scheint uns noch nicht so zu gelingen. Wenn alle neue Reifen drauf stecken, werden andere um bis zu eine Sekunde schneller und wir legen ein paar Zehntel zu, das ist zu wenig. Den Satz neuer Reifen zu nutzen, für diese eine Runde, da muss uns noch etwas Besseres einfallen. Ich such‘ das aber nicht bei Binder, da übersehen wir etwas auf der technischen Seite, wo wir dem Fahrer einfach helfen müssen, damit er in einer Runde schneller sein kann.

Woran kann das liegen?
Es gibt ja im Rennen keine Phase, wo wir langsamer sind, weder zu Beginn noch zum Schluss. Die Tendenz ist eindeutig, es gibt Qualifying-Bikes, die richtig auf eine Runde zugeschnitten sind, aber mit dem Thema konnten wir uns bisher zu wenig beschäftigen, weil wir einfach immer noch für das große Ganze zu sehr gefordert sind. Das wird unser nächster wichtiger Schritt in dem Projekt sein.

Es ist jetzt die sechste Saison seit eurem MotoGP-Einstieg 2017. Es ist auch extrem schnell gegangen mit den ersten Siegen 2020 - seither scheint es, als ob die Entwicklung ins Stocken gerät, speziell wenn man die KTM-DNA, die ja Siege als normal empfindet, als Maßstab anlegt.
Ja, wir waren schon mal sehr nahe dran, eben 2020 mit drei Siegen. Dann war schon die Erwartung da, dass wir jetzt das Spiel verstanden haben und konstant am Podium stehen. Und dann haben wir doch eine sehr schwierige, durchwachsene vergangene Saison hinter uns. Dieses Jahr ist es ähnlich, aber schon auf dem unglaublichen Niveau, wenn du sagst, das Motorrad wird 20 Sekunden schneller als im Vorjahr, und du bist trotzdem nur Sechster. Netto kann ich jetzt unseren Technikern nicht den Vorwurf machen, dass wir nicht besser geworden wären, du musst erst einmal auf dem Niveau ein Motorrad bauen, das pro Runde eine Sekunde schneller fährt wie im Vorjahr. Aber dieser Vergleich interessiert keinen, wir wollen MotoGP fahren und da wirst du an den Besten gemessen und da ist der Leistungsstandard momentan eben, dass wir Sechster werden, wenn es gut läuft. Und dafür gibt es keine Blumen und nicht allzu viele Punkte. Wir haben noch eine große Aufgabe zu knacken, und das ist der Samstag um die Mittagszeit herum - dann, wenn es um die Startplätze geht.

Jetzt kommt das große Heimrennen, jetzt kommt Spielberg. Was ist am Red-Bull-Ring von KTM zu erwarten?
Wir freuen uns darauf, haben dort bisher immer ordentliche Leistungen abgeliefert. Wir haben die Strecke als unsere Teststrecke nominiert, du darfst dir ja nur drei Strecken als solche aussuchen. Wir waren jetzt mit Dani Pedrosa zweimal dort zum Testen, damit wir ein ordentliches Setup haben, um gut reinzustarten. Die Fahrer kennen und mögen den Red-Bull-Ring, wir haben mit Binder und Oliveira zwei Spielberg-GP-Sieger im Team, somit sind wir schon voller Erwartungen, dass wir angreifen können.

Der Ring hat ja den Ruf, eine Ducati-Strecke zu sein, vielleicht auch ein bisserl eine KTM-Strecke?
Zwei Siege hätten wir hier zumindest schon am Konto, das ist mehr, als man sich eigentlich wünschen kann von einem Heim-GP. Allerdings alles immer noch mit einem weinenden Auge: 2020 gab es keine Zuschauer und 2021 mit dieser verrückten Regenfahrt von Binder einen sehr wild und mutig eingefahrenen Sieg. Um das Projekt erfolgreich voranzubringen, brauchen wir aber die Siege im Trockenen, unter ganz normalen Bedingungen. Aber wir haben auf jeden Fall etwas vor, wenn wir nächste Woche an den Spielberg kommen.

Wo ist der größte Aufholbedarf, im Qualifying?
Wenn ich die letzten Rennen hernehme, nur im Qualifying, im Rennen sind wir mit die Schnellsten. Aber wenn du als 14. oder 15. in der Startreihe stehst, siehst du zu denen vorne ja fast nicht mehr hin. Und nachher ist es ein Kampf um Zehntel. Die Fahrer haben sich auch ständig verbessert in dem Projekt. Das waren junge Fahrer, Rookies, die jetzt richtig angekommen sind in der MotoGP. Die liefern unglaubliche Leistungen. Wir sind teilweise wirklich am Verzweifeln, weil diese eine Runde verbaut uns momentan den Erfolg im Projekt. Das Problem müssen wir lösen und das müssen wir schnell lösen. Aber wir haben eine gute Idee.

Für 2023 sind die Weichen am Fahrersektor mit der Verpflichtung von Jack Miller auch schon gestellt, erwartet man mit ihm den nächsten Schritt?
Jack ist natürlich ein großartiger Fahrer, man muss auch immer schauen, wie die Motorräder funktionieren, welcher Fahrer passt drauf, was bringt er mit. Und da glauben wir jetzt schon, dass wir mit Binder/Miller eine sehr entschlossene Fahrerpaarung haben. Wir versuchen jetzt schon noch, die zweite Saisonhälfte erfolgreicher zu sein, als die erste. Aber unsere Technikpakete laufen längst auch mit Vollgas fürs nächste Jahr, da haben wir einige sehr gute Sachen in der Pipeline und zwei Fahrer, die entschlossene Kämpfer sind. Wenn wir in lockerer Runde zusammensitzen, dann sagen wir schon: „Nächstes Jahr ist Showtime“, ich glaube 2023 wird ein richtungsweisendes Jahr werden für unsere Zukunft.

Intern spricht man also schon davon, um die Weltmeisterschaft zu fahren - wann sagt man auch öffentlich: „Das ist jetzt unsere siebente Saison, jetzt wollen wir angreifen!“?
Leider sind wir momentan etwas Leistung schuldig, unser Ziel war dieses Jahr ums Podium zu fahren. Wir haben einen Sieg, ein Podium, aber natürlich nicht in der Konstanz, in der wir das vorgehabt haben. Darum wäre es vermessen, jetzt vom Titel zu reden. Auf der anderen Seite gab’s so einen Leitspruch von KTM-Boss Stefan Pierer: „Wir gehen da rein, wir machen da mit, aber der olympische Gedanke steht nicht im Vordergrund“. In jeder Sportart, in der KTM teilgenommen hat, sind wir Weltmeister geworden, außer der MotoGP. In der Dakar haben wir sieben Jahre gebraucht, sieben Jahre Scheitern, Ausfälle, Verletzungen, am Sieg schnuppern und dann doch nicht - aber dann nach sieben Jahren haben wir den ersten Dakar-Sieg eingefahren. So gesehen waren wir schon demütig und haben gewusst, dass dieses große Projekt einen solchen Zeitraum braucht, bis du alle Puzzle-Teile beisammenhast. Aber im siebenten Jahr werden die Erwartungen hoch sein, ohne das Wort Titelkampf in den Mund zu nehmen.

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(Bild: KMM)



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