Gerichtspsychiaterin Adelheid Kastner begutachtet Straftäter und macht sich auch in Büchern Gedanken über die Gesellschaft. Nun spricht sie im großen „Krone“-Interview.
OÖ-Krone: Frau Kastner, in einem Vortrag sprachen Sie kürzlich zum Thema „Zwischen Emotion, Vernunft und Gleichgültigkeit“. Mir fielen da noch Adelheid Kastner: Dummheit und Wut ein – welche dieser Befindlichkeiten macht Ihnen Angst?
Dummheit.
Der Sie sogar ein Buch gewidmet haben.
Weil sie mich ein Leben lang immer wieder ratlos gemacht hat. Dummheit erzeugt das Gefühl, dass man da einem Phänomen ohnmächtig gegenübersteht – auch in unerwarteten Situationen. Und es ist ja nicht angenehm, Menschen zu begegnen, denen man eine sehr gute Grundintelligenz zutrauen müsste, die aber unsäglich dumme Dinge tun bzw. getan haben. Und eine dumme Entscheidung auch auf Vorhalt oder in einer Diskussion nicht relativieren, und wenn man noch so gute Argumente vorbringt. Das hat mich im besten Fall fasziniert, im schlimmsten hilflos gemacht. Deshalb habe ich mich damit befasst.
Und welche der Befindlichkeiten beobachten Sie derzeit in unserer Gesellschaft?
Es ist alles da. Ich glaube auch nicht, dass die Dummheit mehr geworden ist. Sie ist wahrnehmbarer geworden, sie ist lauter geworden, sie rottet sich mehr zusammen.
Ich glaube, die Befindlichkeiten sind alle verteilt. Nur ist es halt so, dass die Vernünftigen weniger laut schreien als die Dummen, daher nimmt man sie auch weniger wahr.
Adelheid Kastner
In Ihrem Buch „Dummheit“ gibt es ein Kapitel „Querulanten“. Täusche ich mich, oder hat diese Spezies zur Zeit Hochkonjunktur?
Ich glaube nicht, dass die Hochkonjunktur haben. Die hat es immer schon gegeben, aber auf die trifft halt auch zu, was wir vorher gesagt haben. Sie sind wahrnehmbarer geworden, sie demonstrieren durch die Gegend. Und sie sind wahrnehmbarer geworden, weil sich in ihrem Dunstkreis auch Menschen bewegen, die das sonst nicht täten, weil sie ein gemeinsames Thema haben. Der übliche Querulant queruliert halt an seinem ureigenen Thema herum, aber es gibt selten ein gemeinsames Thema für querulatorische Störungen. Die Ereignisse der letzten Jahre, das muss man mittlerweile sagen, haben uns aber halt so ein einendes Thema beschert, an dem sich die Querulanten festbeißen können.
Sie begutachten Menschen, normalerweise Straftäter: Kann man das ausschalten im Alltag? Oder analysieren Sie immer Ihre Umwelt?
Um Gottes Willen, ich arbeite ja nicht dauernd. Das ist ja Arbeit, mein Beruf und meine Tätigkeit auch, dass ich mit allen Sinnen in eine Begutachtung gehe und versuche, möglichst viel über den Menschen herauszufinden. Nicht im Hinblick auf das Delikt, sondern auch auf die Fragen: ,Wie funktioniert, wie denkt, wie empfindet, wie schlussfolgert der? Warum kommt dieser Mensch so und nicht anders ins Handeln?‘. Das erfordert ja Konzentration und Fokus auf alles, was er äußert, nicht nur verbal, sondern auch nonverbal. Und das ist anstrengend. So wie andere Menschen ins Büro gehen, gehe ich begutachten.
Aber Ihre Umgebung analysieren Sie nicht?
Nein, nicht mehr als andere Menschen. Es ist eine völlige Fehlannahme, dass andere Leute jemanden treffen und sich nichts dabei denken. Und natürlich denke auch ich mir etwas und habe ein geschärfteres Sensorium. Das hat jeder, der einen Beruf lange und gerne ausübt, dass er aus dem Beruf heraus genauer auf Dinge schaut. Ein Schuster wird sich halt eher die Schuhe von den Leuten anschauen, denen er begegnet.
Gibt es Täter, die Sie besonders faszinieren oder fasziniert haben?
Täter überhaupt nicht, wann, dann eher, welche Blüten manche Störungen treiben können. Wie scheinbar Allerweltsstörungen wie eine neurotische Persönlichkeitsorganisation zu ganz skurrilen und im Ergebnis auch strafrechtlich relevanten Handlungen führen kann. Wie sehr Störungen und auch Krankheiten Leute auch zu Handlungen treiben, wie dieser Mechanismus funktioniert. Das heißt auch nicht, dass ich die Person besonders faszinierend finde. Das Spannende ist, wie sich manche Störungen auswirken. Wenn der Kontext passt und auch der Zeitpunkt, dann kommt halt wirklich manchmal Seltsames raus.
Ihr herausragendster Fall?
Das ist die Frage, welchen Maßstab man anlegt. In der Wahrnehmung war es der aus Amstetten, klarerweise (Anmerkung: Josef Fritzl, der seine Tochter von 1984 bis 2008 in einem Keller gefangen hielt und mit ihr Kinder zeugte). Inhaltlich würden mir jetzt andere einfallen. Das sind Fälle, die gar nicht besonders aufpoppen. Fälle, bei denen man länger braucht, bis man den Mechanismus herausfindet, der den Menschen dahinter antreibt. Und das sind nicht immer die großen Delikte, sondern oft auch ganz banale G’schichteln. Aber es gibt schon auch Fälle, die sind mir hängengeblieben, weil sie so abgrundtief grauenhaft waren.
Und es sind auch immer wieder mal die unspektakulären Fälle gewesen, die für mich gutachterlich herausfordernder und spannend waren.
Adelheid Kastner
Aber Josef Fritzl gilt als Ihr Paradefall . . .
Der Herr Fritzl war stinkfad. Das war 23 Jahre lang dasselbe. Ohne Modifikation.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.