Totgesagte leben länger - die italienischen Durchstarter Måneskin spielten am Samstag vor mehr als 70.000 Fans ein beeindruckendes Konzert im Römer Circus Maximus und bewiesen eindrucksvoll, dass Stromgitarren und dekadentes Gepose längst nicht der Vergangenheit angehören. Man muss die Rockmusik nur mit zeitgemäßer Haltung vermischen. Die „Krone“ war beim Freiluftspektakel live dabei.
Eine knappe halbe Stunde Fußweg legt man zwischen der berühmten Via del Corso und dem antiken Circus Maximus in Rom hin. In Måneskin-Dimensionen gerechnet bedeutet das: in 25 Minuten von den ersten Straßenauftritten vier musikbegeisterter Schulfreunde zum größten Auftritt ihrer bisherigen Karriere. Mehr als 70.000 Menschen jubelten den Italienern vergangenen Samstag zu, womit der Rock’n’Roll temporär sogar das Virus besiegte. Die Durchführung des Konzerts wurde von der römischen Ärztevereinigung und diversen Experten angesichts der steigenden Corona-Zahlen argwöhnisch beäugt, schlussendlich aber doch durchgezogen. Inklusive Promis wie Angelina Jolie oder Russell Crowe, die sich gerade für Dreharbeiten in der antiken Stadt befanden und Fans aus aller Herren Länder. Denn auch wenn Gigs wie im Vorprogramm der Rolling Stones in Las Vegas oder zweimal beim Coachella Festival in Los Angeles für unvergessene Momente in der Band sorgten - ein derartiger Triumphzug in der Heimat ist noch einmal ein ganz anderes Kaliber.
Perfekte Mischung
Bei brütend heißen Sommertemperaturen campierten die ersten Fans schon früh am Vormittag rund um das Areal. Zwischen Einlass und Konzertbeginn sollten ganze sieben Stunden ohne Schattenplatz vergehen, doch die Anhänger der Rocker nahmen das für ihre Lieblinge problemlos in Kauf. Der Hype um Måneskin hat innerhalb der letzten eineinhalb Jahre ungeahnte Ausmaße angenommen. Von Straßenmusikern und der Castingshow-Band bei „X Factor“ zu den Erfolgen beim Sanremo-Festival und dem Song Contest. Dazu hatten Frontmann Damiano David und Co. nicht nur das Gespür für die richtigen Cover-Songs zwischen Britney Spears und Iggy Pop, sondern spielten auch geschickt auf der Klaviatur der Social-Media-Portale. Die Mischung aus musikalischem Talent, perfektem Marketing, exaltierten Bühnenauftritten, mitreißenden Konzerten und einer trotz aller Erfolge fühlbaren Nahbarkeit ist zwar nicht so Rock’n’Roll, wie es die Altvorderen gerne hätten, rettet ebenjenen Rock’n’Roll aber stilvoll ins 21. Jahrhundert.
Das Quartett bedient sich geschickt an den Stärken von David Bowie, T.Rex, The Clash und Co., schafft es aber, eine eigene Note dazuzugeben und trotz der erfolgreichen Cover-Songs nicht zur reinen Persiflage zu verkommen. Eine ganze Generation junger Fans weltweit dürstet nach der Stromgitarre und Måneskin geben ihnen, was sie wollen. Der Clou dabei: man tappt nicht in die Falle der Boomer und hält veraltete Traditionen und Dogmen am Leben, sondern mischt optische Dekadenz mit den richtigen Botschaften. We are one, wir sind eine Familie. „Fuck Putin, fuck war and dictators“, tönt es da mitten im Set schon einmal aus Davids Mikro und für Gleichberechtigung und LGBTQ-Rechte setzt man sich seit Anbeginn ein, was den angrenzenden Vatikan an diesem Abend ein paar Mal durchbeutelte. Måneskin verbinden Optik und Wildheit der 70er-Jahre mit dem Hedonismus der 80er und einer zeitgemäßen Haltung zu gesellschaftspolitischen Themen. So dringt man im Zeitalter generischer EDM- und unkreativer Cloud-Rap-Kultur mit dem Stromruder an die Spitze und stellt den ständig „Rock ist tot“ propagierenden KISS-Chef Gene Simmons als lächerlich dar.
Gigantische Bühne
Hunderte junge Frauen und Männer schminkten und kleideten sich wie ihre Idole und teilten die Botschaft der Gemeinschaft. Auf dem opulenten Gelände ließ sich maximal erahnen, ob wirklich „nur“ 70.000 Fans ihr Auslangen fanden, oder man inoffiziell nicht noch einige Menschen dazu addieren musste. Der Top-Hit „Zitti e buoni“ wurde von vielen Kindern schon am Weg zum Stadion skandiert und eröffnete den gut zweistündigen Konzertreigen gleich einmal wuchtig. Die 50 Meter breite Bühne wurde mit einem 25 Meter langen Steg verstärkt, der zu einer zweiten, etwa 40 Quadratmeter großen Bühne in Publikumsnähe führte. Dort zeigten sich Måneskin gewohnt nahbar und zertrümmerten bei „I Wanna Be Your Slave“ mit klassischem Rock-Gestus mitten im Set ihre Instrumente. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie das Heft längst in der Hand. Dem Spears-Cover „Womanizer“, „Mammamia“ oder der fantastischen neuen Single „Supermodel“ sei Dank, die auf eine goldene Zukunft hinweist.
Die englischsprachigen Songs wie „We’re Gonna Dance On Gasoline“ oder „For Your Love“ sind längst erprobt, aber auch in der ehrwürdigen Kulisse des Circus Maximus zeigte sich, dass gerade das Frühwerk in Italienisch besonders stimmig wirkte. „Torna a casa“ oder das nach Lenny Kravitz gemahnende, funkige „Moriró da re“ gehörten zu den absoluten Höhepunkten des Abends. Die einzelnen Musiker erfüllten ihre jeweiligen Rollen perfekt. Schlagzeuger Ethan Torchio begeisterte oberkörperfrei und mit stampfendem Rhythmus, Bassistin Victoria De Angelis behielt - wohl der katholischen Landesstrenge geschuldet - ihre Kleidung dieses Mal an und Frontmann Damiano David erwies sich mit launigen Ansagen, kratzig-rauem Timbre und gewohnt exaltierter Gockelhaftigkeit als perfekter Präsentator dieses einzigartigen Abends. Der geheime Star der Band ist aber Gitarrist Thomas Raggi. Nicht nur seine Soli überzeugten, beim Iggy-Pop-Cover „I Wanna Be Your Dog“ warf er sich ins Publikum und den Zugabenteil begann er ganz in weiß mit beeindruckendem Rockstar-Gestus.
Song-Weltpremiere
Als Belohnung für die Fans gab es auch noch die Weltpremiere eines Songs namens „Angels“, der laut David noch nicht fertiggeschrieben ist und mit Raggi gemeinsam akustisch und gekürzt als sanfte Ballade präsentiert wurde. Geschickt changierte die Band zwischen romantischen Ausruhmomenten, eruptiven Passagen und purer Lebensfreude. Natürlich wurden am Ende auch wieder Dutzende Fans auf die Bühne geholt, um mit einer Pride-Flagge und weiteren Fahnen aus aller Herren Länder die Party des Jahres zu feiern. Bemerkenswert: das durchwegs junge Publikum genoss tatsächlich den Moment und die Smartphones blieben auf der Bühne in der Tasche. Bleibt nur zu hoffen, dass Måneskin nicht am eigenen Hype und den damit einhergehenden, stressigen Verpflichtungen scheitern - momentan bleibt die junge Karriere der Römer im unaufhaltbaren Raketenmodus. Und es ist kein Ende in Sicht.
2023 live in Wien
Am 28. April 2023 kommen Måneskin nach zwei großartigen Festivalshows nun endlich für ihre erste Headliner-Show in die Wiener Stadthalle. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und alle weiteren Infos. Allzu lange wird es aber wohl nicht mehr dauern, bis die Rockshow des kommenden Jahres ausverkauft ist…
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