In Massen ausgewandert

Russland will IT-Experten im Gefängnis rekrutieren

Web
04.05.2022 10:54

Der Angriff auf die Ukraine hat zu einem beispiellosen „Brain-Drain“ in Russland geführt - der Abwanderung Zehntausender Wissenschaftler und Ingenieure aus der Elektronik- und IT-Branche. Um die russische Hightech-Wirtschaft am Laufen zu halten, erwägt man nun drastische Maßnahmen: In russischen Gefängnissen sollen zur Zwangsarbeit verurteilte Häftlinge mit Know-how im IT-Bereich an private Unternehmen „verliehen“ werden. Die Tätigkeit sollen sie direkt in den 117 Arbeitslagern verrichten, die in 76 russischen Regionen betrieben werden.

Das berichtet der IT-Security-Journalist Brian Krebs unter Berufung auf russische Medienberichte. Bereits Ende April wurde demnach in russischen Zeitungen berichtet, dass die Abwanderung von IT-Experten teilweise kompensiert werden soll, indem IT-affine Häftlinge in staatlichen Arbeitslagern an russische Privatunternehmen „verliehen“ werden.

Alexander Khabarov, stellvertretender Leiter des Strafvollzugsdienstes, bestätigte entsprechende Anfragen privater Unternehmen. Geschäftsleute hätten ihm vorgeschlagen, Häftlinge mit den notwendigen Kenntnissen in russischen Arbeitslagern Telearbeit im IT-Bereich verrichten zu lassen. Der Monatslohn der Insassen russischer Arbeitslager beträgt umgerechnet rund 285 Euro - ein geringer Preis für einen IT-Fachmann.

Unternehmer wandten sich an Strafvollzug
Khabarov zur Nachrichtenagentur TASS: „Man ist mit dieser Initiative in mehreren Regionen und auf Betreiben mehrerer Unternehmer an uns herangetreten.“ Noch stehe man bei der Vermittlung von IT-Zwangsarbeitern am Anfang. Man sei willens, Häftlinge mit Spezialwissen im IT-Bereich nicht für Tätigkeiten heranzuziehen, die nicht ihrer Qualifikation entsprechen.

In eine ähnliche Kerbe schlägt Sergei Boyarsky von der Pro-Putin-Partei Einiges Russland: „Ich weiß, dass wir einen Bedarf für IT-Spezialisten haben, das ist ein Wachstumsmarkt.“ Und nachdem diese Personen ohnedies zur Zwangsarbeit verurteilt wurden, „wäre es vielleicht richtig, Menschen mit einem Beruf, den man auch von weitem verrichten kann, diese Möglichkeit anzubieten, damit sie ihre Qualifikationen nicht verlieren.“

Bereits Zehntausende IT-Profis ausgewandert
Die russische IT-Branche kämpft aufgrund des Angriffskrieges gegen die Ukraine nicht nur mit massiven westlichen Wirtschaftssanktionen, sondern auch mit Arbeitskräftemangel. Allein im März sollen mehr als 50.000 IT-Experten Russland verlassen haben, schätzt der Branchenverband RAEC. Beliebte Auswanderungsziele seien etwa die USA, Deutschland, Georgien, Zypern oder Kanada. In den USA lockt man IT-Experten aus Russland derzeit sogar gezielt mit Visa-Erleichterungen ins Land.

Derweil gäbe es in Russland bis zu 95.000 offene Stellen im IT-Sektor, berichtet das Nachrichtenportal Lenta.ru. Ein Teil der Ausschreibungen sei zwar aufgrund der Sanktionen ausgesetzt worden. Trotzdem gibt es am russischen IT-Arbeitsmarkt ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage - und ein Ende der Abwanderung ist noch nicht in Sicht. Jüngsten Schätzungen des RAEC-Verbandes könnten noch 70.000 bis 100.000 weitere IT-Experten auswandern.

Russland hat eine der weltgrößten Häftlingspopulationen
Wie viele IT-Fachleute Russland tatsächlich in seinen Gefängnissen und Arbeitslagern rekrutieren kann, bleibt abzuwarten. Insgesamt sitzen laut Schätzungen der BBC rund 875.000 Häftlinge in russischen Gefängnissen, auf 100.000 Einwohner kommen 615 Gefangene. Damit hat Russland neben China und den USA (2,2 Millionen Häftlinge, 737 pro 100.000 Einwohnern) eine der größten Häftlingspopulationen weltweit.

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