Giftanschlag 2008

Der Fall „Mon Cherie“: Antrag für Wiederaufnahme

Niederösterreich
11.03.2022 18:46

Der zu lebenslanger Haft verurteilte Winzer Helmut Osberger will einmal mehr seine Unschuld beweisen. Nun hat er Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer an seiner Seite.  

Es ist seine letzte Chance. Zur Flucht aus Vergangenheit und Gegenwart. Helmut Osberger sitzt seit bald 15 Jahren im Gefängnis. Wegen versuchten Mordes. Lebenslänglich wegen besonderer Heimtücke. „Wahrscheinlich hofft man, dass ich mit 70 im Häf‘n bald sterbe. Dann wäre es vorbei.“ Noch ist es nicht vorbei. Der Kremser Winzer will eine erneute Wiederaufnahme seines Verfahrens. Er sei unschuldig. Das sagen freilich viele. Dennoch ist es ein spezieller Fall.

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Wahrscheinlich hofft man, dass ich mit 70 im Häf‘n bald sterbe. Dann wäre es vorbei.

Helmut Osberger

Streit um Gutachten und neue Beweise
Krems, 20. Mai 2008. Helmut Osberger wird von einem Schwurgericht wegen versuchten Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Er soll im Februar den Bürgermeister von Spitz, Hannes Hirtzberger, mit Strychnin töten haben wollen. Es ist der „Mon-Cherie-Fall“, eines der spektakulärsten Kriminalstücke der letzten Jahrzehnte. Die Praline landete auf dem Auto des Opfers und danach in den Schlagzeilen. Mit Gift versetzt vom verfeindeten Weinbauern und Lokalbetreiber Osberger, dessen DNA-Spuren auf einer beigelegten Grußkarte festgestellt wurde. So die offizielle Version. Hirtzberger überlebte nur knapp, ist als Wachkomapatient seitdem ein Pflegefall.

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Der Fall hat mich interessiert. Ich wollte allerdings erst aktiv werden, wenn wir genügend Beweise haben.

Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer

Es gab Versuche einer Wiederaufnahme des Verfahrens. Wegen möglicher falscher Gutachten. Erfolglos. Nun ein weiterer, wohl finaler Versuch. Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer und seine Kanzlei haben sich der Causa angenommen. „Der Fall hat mich interessiert. Ich wollte allerdings erst aktiv werden, wenn wir genügend Beweise haben.“ Seit Monaten recherchiert das Juristenteam. Und hat nun einiges zusammengetragen, das in einem erneuten Wiederaufnahmeverfahren mündete. Man habe auch neue Beweise, die nötig sind für ein solches Verfahren.

Kann ein Laie die Praline präparieren?
Zentral bleibt der Vorwurf zum „Tatwerkzeug“, also der Mon Cherie. Laut aktuellen Berechnungen passen 881 mg. Strychnin in die Kirsch-Praline. Dem Opfer sollen 952 mg. verabreicht worden sein. „Somit scheidet die Praline naturwissenschaftlich als Giftträger aus“, halten die Verteidiger fest. Nicht nur habe es - wie sich nun herausstellte - eine weitaus größere entnommene Menge an Magensaft gegeben als ursprünglich angegeben, sondern es habe auch eine unvollständige und auf falschen Methoden basierende Untersuchung gegeben. So habe auch nicht festgestellt werden können, ob das Opfer überhaupt eine Praline gegessen habe. Die Gutachten bildeten ein zentrales Argument für die Verurteilung Osbergers.

Weiteres neues Beweismittel: Ein Gutachten eines Sachverständigen für Konditor- und Schokoladewaren ergab, dass die Manipulation einer Mon Cherie in Form von Entnahme von Likör, Vermischung dessen mit Strychnin, Wiederfüllung der Praline und Wiederherstellung des Verpackungszustandes von einem Laien nicht machbar sei.

Zudem habe Osberger zum Zeitpunkt und schon lange vor dem Vorfall unter Polyarthrose gelitten, die Finger, Handgelenke, Ellenbogen und Schultern beeinträchtigte - wie ein Attest eines Allgemeinmediziners und eines Gutachters zeigen. Der Verurteilte hätte also selbst bei Fachkenntnis die Praline rein von seinen motorischen Einschränkungen her nicht präparieren können. Er selbst sagt: „Ich konnte in meinem Lokal den Gästen nicht einmal in den Mantel helfen.“

Was ist mit weiteren Verdächtigen?
Weiterer Widerspruch laut Verteidigung: Als Tatmotiv wurde im Prozess eine Feindschaft zwischen Osberger und Hirtzberger konstatiert. Die Verteidiger präsentieren nun Unterlagen, die ein Naheverhältnis bzw. Freundschaft nahelegen. Sie präsentieren zahlreiche schriftliche Aussagen von Zeugen. Der Bürgermeister habe überdies dem Wirt regelmäßig Gästegruppen bis zu 50 Personen vorbeigeschickt. Es gab auch gemeinsame Treffen und gegenseitige Besuche.

Laut Ermittlungsakten ist die Polizei weiteren eindeutigen Spuren zu mutmaßlichen Verdächtigen nicht nachgegangen. Und - die Anklage gegen Osberger wurde erhoben, noch bevor der polizeiliche Ermittlungsbericht vorrätig war.

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Wenn das Gift nicht in die Praline passt, dann ist auch die Karte obsolet. Außerdem ist bewiesen, dass es ganz leicht ist, falsche DNA-Spuren zu legen.

Dieter Böhmdorfer

Entscheidung obliegt Landesgericht Wien
Für Dieter Böhmdorfer alles eindeutige Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Er stellt zudem mehrere Anträge, u.a. auf Einholung neuer toxikologisch-pharmakologischer Befunde durch das Gericht. Doch was ist mit den DNA-Spuren seines Mandanten auf der Grußkarte? „Wenn das Gift nicht in die Praline passt, dann ist auch die Karte obsolet. Außerdem ist bewiesen, dass es ganz leicht ist, falsche DNA-Spuren zu legen.“

Die Staatsanwaltschaft Krems sieht das anders und hat das neue Begehren Osbergers abgewiesen. Nun obliegt die Entscheidung dem Oberlandesgericht in Wien. Sie soll demnächst fallen. Und sie wird wohl endgültig wegweisend sein.

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