Die Letzten

„Sich bei der Arbeit vergessen können“

Vorarlberg
21.11.2021 13:40

In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert Autor Robert Schneider Menschen, die einem alten Handwerk nachgehen. Kürzlich hat er den Keramiker Michael Hummer in Nenzing besucht.

Es sind Zeiten, da man sich am liebsten hinter dem warmen Ofen verkriechen und die Welt Welt sein lassen möchte. „Warum diese Idee nicht wörtlich nehmen?“, denke ich mir und recherchiere nach dem alten Handwerk des Keramikers. Es gibt nicht mehr viele in unserem Land. Kaum eine Hand voll. In Nenzing werde ich fündig. Dort gibt es noch einen Meister dieser alten Zunft des Keramikmachers. Er heißt Michael Hummer, ist 53 Jahre alt, hat die Fachschule für Keramik und Ofenbau in Stoob im Burgenland besucht, dem einzigen Ort in Österreich, wo dieses Handwerk noch gelehrt wird. Im Jahr 1993 hat er die Meisterprüfung gemacht, und seit 1999 ist er selbstständig.

Als ich seine Werkstatt betrete, ähnelt sie mehr einem Atelier. Und es weihnachtet in der Werkstatt. Keramikengel nach eigenen Entwürfen stehen auf schlichten Holzregalen, Kerzenhalter aus Ton, weiß glasierte Sterne für die Dekoration. An einer Wand hängt ein akkurat gezeichneter Plan mit den Aufmaßen für die Bekachelung eines Ofens. Dieses Projekt ist gerade in Arbeit. Jede Kachel wird von A bis Z handgefertigt. „Die Kundschaft will etwas Uriges, Unregelmäßiges. Keine Kachel soll wie die andere aussehen. Das ist die Vorgabe“, erklärt Michael und nimmt eine Grundplatte aus lederhartem Ton zur Hand - also noch form- und modellierbar -, um mir die einzelnen Schritte der Kachelwerdung zu erläutern.

Erst rechnen, dann werken
Dass die Kunst des Kachelmachens auch immer eine große Rechenaufgabe ist, wird mir erst klar, als Michael die Aufmaße in die Grundplatte ritzt. „Jeder Ton hat eine Schwindung. Das Wasser verdunstet, und beim Brennen auch noch das chemisch gebundene Wasser. Dieser Ton hier hat zum Beispiel eine Schwindung von sechs Prozent. Also muss ich diese sechs Prozent schon am Anfang einkalkulieren. Auch die Fugen müssen miteinberechnet werden. Würde ich das nicht tun, würde der Ofen immer weiter auseinanderlaufen.“

Michael erzählt das mit sanfter Stimme. Er ist ein Mann, der eine wohltuende Ruhe und Zufriedenheit ausstrahlt. „Das Kachelmachen ist für mich eine Art Meditation. Ich liebe die Stille beim Arbeiten. Manchmal läuft dabei das Radio, aber nur, damit ich mich ganz vergessen kann. Ich kriege oft nicht einmal mit, was in den Nachrichten gesagt wurde.“ „Ist gegenwärtig vielleicht auch gar nicht so schlecht“, scherze ich, und er lächelt.

Für seine Kacheln verarbeitet Michael einen ganz speziellen Ton. Es handelt sich dabei um einen aus mit Schamott gemagerten Ton-Schlicker, der getrocknet und geschrüht (vorgebrannt) wird. „Das gewährleistet geringere Schwindung, beugt aber auch Spannung und Rissbildung vor.“

Den Ton knetet er nicht selbst. „Da wäre ich am Abend k. o., besonders bei den vielen Ofenkacheln!“ Diese Arbeit übernimmt ein Ungetüm von Maschine, das in seiner Werkstatt steht. Das Gerät nennt sich Vakuumtonschneider und entzieht dem Material die Luft, was ja beim Kneten auch der Fall ist. Jetzt nimmt Michael ein feines Instrument zur Hand, das in der Fachsprache Töpferschlinge genannt wird. Damit zieht er Vertiefungen in die Tonplatte und erzeugt so die Strukturen oder Zeichnung der Kachel. Die Kanten verschließt er wiederum mit einem angefeuchteten Lederstück. „Wenn ich das mit den Fingern machen würde, hätte ich am Abend wunde Hände, weil die feinen Körner wie Schleifpapier wirken.“

Nun müssen die Kachel gewendet und der sogenannte Steg aufgebracht werden. Das ist die Umrandung der Hinterseite der Kachel, die dann mit Schamott ausgegossen wird. Mit Schlicker verklebt Michael die Stegelemente und verstärkt die Garnierstellen, also die Ecken, mit zusätzlichem Ton. Jetzt werden die Kacheln zum Lufttrocknen für ca. eineinhalb bis zwei Wochen in Regalen abgelegt. „Die Trocknungszeit hängt von der Luftfeuchtigkeit ab. Bei nebligem Wetter muss ich die Kacheln oft drei bis vier Tage länger trocknen lassen.“

Viel Erfahrung notwendig
Fehlen noch die beiden letzten Arbeitsschritte, die einer Ofenkachel das typisch heimegele Aussehen verleihen. Das Brennen und Glasieren. Bei dem gegenwärtigen Projekt hat sich der Kunde für eine Glasur aus unterschiedlich intensiven Grüntönen entschieden. „Die Schwierigkeit beim Glasieren liegt darin, dass man anhand des Glaspulvers nicht die endgültige Farbe ermessen kann, weshalb man immer wieder Muster herstellen muss. Ein Glaspulver, das braun aussieht, kann nach dem Brand tiefgrün werden. Da braucht es natürlich viel Erfahrung.“ Michael zeigt mir so ein Muster. Daran lässt sich ermessen, wie der ganze Kachelofen am Ende aussehen wird.

Dass der Keramiker sogar etwas mit Musizieren zu tun hat, legt Michael am Ende unserer Begegnung ironisch dar, indem er eine umgebaute Holzsäge zeigt, wo anstelle des Sägeblatts eine Stahlsaite aufgespannt ist. Er zupft an der Seite, und sie klingt. Michael lacht. „Das ist eine sogenannte Hafnergeige, mit der der weiche Ton wie Butter durchgeschnitten werden kann.“ Er zupft noch einmal an der Hafnergeige. Beide lachen wir. Das haben wir auch bitter nötig in diesen Zeiten.

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