When You See Yourself

Kings Of Leon: Die Kraft der Familienbande

Musik
04.03.2021 06:00

Fast fünf Jahre haben die Stadionrocker der Kings Of Leon gebraucht, um das neue Album „When You See Yourself“ fertigzustellen. Eine Zeit, in der die Followill-Familie viel Zeit zur Reflektion hatte und Nostalgie mit Gedanken und Zielen für die Zukunft vermischte. Sänger Caleb Followill gab uns im ausführlichen Interview Auskunft über die einzigartige Familienbande, die Tücken der Pandemie und was es bedeutet, als Stadionband zur Untätigkeit gezwungen zu sein.

(Bild: kmm)

Stellen Sie sich vor, Sie sind Teil einer weltweit bekannten und enorm erfolgreichen Stadionband und plötzlich ist es Ihnen nicht mehr möglich, Ihr Werk zu tun. Dieser Tage veröffentlichen gleich zwei Kapazunder neue Studioalben, ohne sich dafür den gewohnten Applaus von zigtausenden Menschen unter sternenklarem Himmel abholen zu können. Die Foo Fighters haben eine Art „Punk-Weg“ gewählt und ihr Album „Medicine At Midnight“ bewusst kurz, kompakt und optimistisch gestaltet. Die Kings Of Leon, deren letzter Output „Walls“ gut viereinhalb Jahre zurückliegt, versuchen es nun mit dem Altbekannten und Bewährten - der großen Geste. Doch diese lebt bekanntlich von einer großen Erscheinung und eine solche ist noch bis auf unbestimmt unmöglich. „Allein schon einen Schritt auf eine Bühne zu machen ist aus heutiger Sicht fast unglaublich“, erzählt Frontmann Caleb Followill im „Krone“-Interview nicht ohne gewisse Wehmut in der sanften Stimme.

Geduldsspiel
Er weiß natürlich sehr gut, dass Wohl und Wehe seiner global beliebten Band von ekstatischen und vereinnahmenden Livekonzerten abhängen. „Ich kann mich ehrlich nicht erinnern, dass ich in meiner Karriere als Musiker so lange nicht mehr auf einer Bühne gestanden wäre und realisiere jetzt mit jedem Tag, wie sehr ich diese Zeit vermisse.“ Umso bitterer für Rudelführer Caleb, da viele Songs auf dem neuen Werk „When You See Yourself“ für genau diese magischen Momente gemacht sind - und nun im Kings Of Leon-Bandcamp berechtigte Zweifel darob aufkommen, ob diese Nummern mit Fortdauer der Zeit nicht viel zu unbemerkt verpuffen werden. Zumal die Followill-Sippe die Songs schon vor der Corona-Pandemie eingespielt hat und gut ein Jahr auf dem fertigen Material sitzt. Aber wie es derzeit so ist, mit neuen Songs und Veröffentlichungsplänen - irgendwann hat die Taktik keinen Sinn mehr, denn ansonsten würden die Tracks wohl nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Und Geduld hatten die vielen Fans nun lange genug.

„Wir sind tatsächlich nicht viel herumgesessen, sondern haben hart gearbeitet“, nimmt Caleb der langen Albumpause sofort den Wind aus den Segeln, „mit dem Vorgängeralbum ,Walls‘ waren wir ein paar Jahre auf Tour, gönnten uns danach ein halbes Jahr Pause und dann ging es an dieses Album. Erst seit wir uns selbst isolieren mussten, haben wir die Zügel schleifen lassen, aber da war dann ohnehin nichts mehr möglich.“ Für die Kings Of Leon ist die Umstellung zum „vorigen Leben“ ein gewaltiger. „Walls“ war, obwohl von den Kritikern teilweise harsch verrissen, ihr erstes Nummer-eins-Album in den USA, in England gelang die Spitzenposition damit schon das fünfte Mal in Folge. Es folgten Headliner-Slots beim Reading- und Leeds-Festival und auch beim „Summer Time“ im Londoner Hyde Park - die Briten hatten bekanntlich schon immer einen besonderen Narren am Familienbetrieb aus Tennessee gefressen. Und auch wenn böse Zungen behaupten, ihre letzten guten Alben wären wahlweise „Because Of The Times“ (2007) oder „Only By The Night“ (2008) gewesen, sagt der immerwährende Erfolg doch anderes über die drei Brüder und den Cousin aus.

Altersmilde erkennbar
Die Kings Of Leon befinden sich als vier weiße Männer aus Nashville mit der Liebe zu bodenständigem Stadionrock samt Country-Feeling nicht unbedingt im großen Zeitgeist der Popindustrie, weshalb die Vorverurteilungen umso schneller vonstattengehen. „When You See Yourself“ ist in erster Linie ein Familienalbum, mit dem sich die Followills einerseits gereift zeigen, andererseits aber auch wieder den Weg zurück zum persönlichen Ursprung suchen. „Dieses Album entstand sehr kollaborativ. Wir wissen, wie der jeweils andere arbeitet und niemand hat bei uns die arrogante Haltung, sich in den Vordergrund stellen zu müssen, um die Komplimente einzuheimsen. Wir werfen unsere Ideen in die Runde und diskutieren alles im Team aus.“In nachdenklicheren Songs wie „A Wave“ oder „Time In Disguise“ kommt auch eine gewisse Altersmilde zum Vorschein. „Wir sind an einem Punkt in unseren Leben angekommen, wo wir oft darüber nachdenken, wie alt wir sind und werden können. Auch wenn das textlich eher in Metaphern verpackt ist.“

Die Selbstreflektion über sich und den Weg mit seiner Band hat Caleb Followill schlussendlich auch in den Albumtitel gegossen. „Die Frage der Sichtweise auf uns stellte sich mir öfter“, führt er aus, „man wird von außen allgemein ganz anders aufgenommen, als man sich selbst sieht. Beruflich als auch privat. Jetzt, da wir seit etwa einem Jahr in einem Lockdown sind, haben die Wörter noch mehr Gewicht bekommen. Wenn man zwangsläufig von anderen Menschen getrennt ist, hat man mehr Zeit, sich selbst zu sehen und zu reflektieren. In gewisser Weise haben mich die Songs automatisch dazu gebracht.“ Auch hier spielt die Familienbande eine wichtige Rolle. „Dass die Songs manchmal schwerer wirken hängt wohl direkt damit zusammen, wie wir erzogen wurden. Wir sind unser ganzes Leben auf Tour und umgeben von flüchtigen Begegnungen. Man weiß, dass man am nächsten Tag in einer anderen Stadt ist, also lässt man emotional nichts an sich heran. Deshalb haben wir auch so ein starkes Band als Brüder und Familie. Wir sind mehr oder weniger dazu gezwungen, beste Freunde zu sein, weil - mit Ausnahme unserer Frauen und Kinder - nur wir uns selbst immer haben.“

Kindsein erlaubt und erwünscht
Von den politischen Umbrüchen und Rassenunruhen ihrer Heimat hat bei der Nashville-Bands nichts Einzug gehalten. Die Kings Of Leon sahen sich noch nie als Protestliedsänger mit Hang zum Aufrührerischen, sondern als demütige Lieferanten des massentauglichen Eskapismus. „Darum geht es bei uns, das sollen die Leute bei uns finden. Sie sollen sich in der Musik fallen lassen und wohlfühlen können. Es ist nicht meine Aufgabe darüber zu urteilen, was in dieser Welt richtig oder falsch läuft. Wir leben allgemein in ziemlich verrückten Zeiten und ich hoffe, die Zukunft wird wieder angenehmer und leichtfüßiger.“ Für die Followills ist Kings Of Leon nicht zuletzt eine familiäre Fluchtmöglichkeit. „Sobald wir im Proberaum die Instrumente einstöpseln, fühlen wir uns in die Zeit zurückversetzt, als wir in der Garage unserer Eltern lärmten. Wir haben den besten Job der Welt, weil wir ganz legal für ein paar Stunden pro Tag wieder zu Kindern werden dürfen. Je älter wir werden, umso mehr wissen wir das zu schätzen.“

Musikalisch verlassen sich die Kings Of Leon zu oft auf Altbekanntes. Der Wunsch nach Rückbesinnung der alten, spannenderen Tage ist größer als es das Ergebnis im Detail vermitteln kann. So findet man zum Beispiel mit „The Bandit“ wieder in die Spur der alten Tage zurück, verheddert sich im Gassenhauer „100,000 People“ aber zu schnell in einem Synthie-basierten 80er-Song, der mit seiner offensichtlichen Nähe zu gängigen Trends etwas zwanghaft wirkt. Am Stärksten klingt Caleb Followill freilich immer dann, wenn das Tempo zurückgenommen wird und seine eindringliche Stimme den nötigen Raum zur Entfaltung bekommt. In einer Band voller hervorragender, aber nicht unbedingt herausstechender Instrumentalisten ist seine Mischung aus Timbre und Charisma noch immer der kleinste gemeinsame Nenner für den Gemeinschaftserfolg. Inhaltlich sieht Caleb das Wasser als roten Faden durch die einzelnen Songs - ohne das bewusst so durchdacht zu haben. „Irgendwie zieht sich das Thema durch jede Nummer. Vielleicht liegt es daran, dass mir jeder geschriebene Text die Schwere von der Brust nimmt. So als verlöre ich Wasser und würde meinen Geist reinigen.“

Wünsche und Hoffnungen
Als die „Bandits“ kann sich Caleb Followill das Wesen seiner Band gut vorstellen. „Wir haben immer davon fantasiert. Diese romantische Idee des Wilden Westens kam ja nicht nur bei Songwritern wie Townes Van Zandt vor, sondern auch bei Rockern wie Thin Lizzy. Wir waren in dieser Industrie immer die Country-Boys. So etwas hat es damals nicht gegeben und wir waren mit der Zuschreibung immer glücklich. Ich hoffe, die Leute sehen uns nach all den Jahren noch immer so, denn der Hunger ist nach wie vor da.“ Mit „When You See Yourself“ gelingt den Kings Of Leon im Endeffekt nur bedingt der Sprung zurück in eine Zeit, wo man den Stadion-Pomp noch mit erfrischender Rock-Attitüde vermischt hat. Doch wie eingangs schon erwähnt - mit Konzerten wird es noch länger nichts. „Wir können nur hoffen, dass die Songs auf der Bühne dann noch halbwegs frisch sind, denn wir werden auf jeden Fall alles aus uns rausholen und hoffen, dass so etwas wie diese Pandemie nie wieder passieren wird.“ Der Wunsch als Vater der Gedanken. Vielleicht müssen sich aber auch die Kings Of Leon in einer „neuen Konzertwelt“ anders positionieren.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele