„Summer In Berlin“

Schiller: „Die Muse ist ein eigenwilliges Wesen“

Musik
12.02.2021 06:00

Jahrelang streifte Christopher von Deylen quasi heimatlos durch die Welt, ließ sich von Orten und Menschen inspirieren und machte einfach Musik. Seine Musik. Die elektronischen Traumwelten-Klänge, die teils von starken und bekannten Stimmen getrieben und begleitet werden. Den typischen Schiller-Sound eben. Nun bringt der Deutsche ein neues Album heraus. Und mitten in der Entstehungsphase von „Summer in Berlin“ ist der 50-Jährige sesshaft geworden.

(Bild: kmm)

Nicht etwa in der brummenden Hauptstadt, in der er zuvor bereits 15 Jahre gelebt hatte, sondern mitten auf dem platten Land im niedersächsischen Landkreis Rotenburg/Wümme - und zwar gemeinsam mit einem bis dahin ebenso umherstreunenden Kater. „Er hat mir das Herz geraubt und ist im Herbst mit eingezogen“, sagte von Deylen der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg.

Nah an sich selbst dran
Seinen Sound hat der Abbruch des etwa sechsjährigen Nomadenlebens („Das lag überwiegend daran, dass ich das Synthesizer-Studio, mit dem das Album entstanden ist, ja nicht einfach in die Tasche packen konnte“) nicht verändert. Im Gegenteil: Das neueste Werk von Schiller klingt so beruhigend, Herzschlag-senkend und verträumt wie viele Alben zuvor. Von Deylen ist davon überzeugt, dass er mit Nummer elf so nah an sich selbst dran ist, wie lange nicht. „Es ist vielleicht eines der intuitivsten Alben der letzten Jahre“, so der Musiker weiter. So seien viele Melodien eben einfach passiert. „Die Muse ist ein sehr eigenwilliges Wesen. Wie der Kater.“

Durch die Corona-Zwangspause sei ihm die Zeit geschenkt worden, „in aller Ruhe meiner inneren Stimme zu lauschen“. Und dabei sei auf einmal ganz viel Musik entstanden, die eigentlich gar nicht beabsichtigt war. „Ich hatte damit eine musikalische Unbefangenheit, die ich früher immer versucht habe, mit teilweise auch sehr viel Anstrengung zu erreichen.“

Workaholic
Für seine Musik steht von Deylen jeden Tag stundenlang in seinem Studio - nachdem er morgens gegen 5 Uhr laufen gegangen ist. „Ich bin da wie ein Sportler, der jeden Tag übt, und komponiere und probiere einfach drauf los.“ Dabei ist ihm durchaus klar, dass „wenn in der ersten Stunde nichts passiert, dann in der zweiten auch nichts passiert“. Dennoch arbeite er immer bis zum Abend weiter. „Wider besseres Wissen. Ich habe einfach die Illusion, dass man jeden Abend was dazu gelernt hat.“

Gleichzeitig habe das für ihn nichts mit Stress, Anspannung oder Arbeit zu tun. „Ich empfinde nichts von dem als Arbeit. Ich bin nach dem Laufen immer voller Tatendrang und voll in meiner Welt versunken. Da ist der Ausgleich mit eingebaut.“ Und den will er auch seinen Hörern schenken - ohne die Bilder im Kopf vorzugeben. „Auf gar keinen Fall. Wenn man an ein Bild erst einen Zettel zur Erklärung kleben muss, dann ist das keine Kunst, sondern ein Schulbuch“, so von Deylen. „Das ausschlaggebende Kriterium bei jeder Art von Kunst ist doch, dass überhaupt Bilder entstehen.“

Die Ferne als Bereicherung
Das neue Album bringt Berlin und sommerliche Leichtigkeit auf die innere Leinwand. Dafür musste von Deylen nicht einmal in die Stadt fahren. Wäre wegen der Coronapandemie ja ohnehin nicht so gut gegangen. „Ich habe Fingerabdrücke von Berlin auf meiner Seele“, sagt er dazu. Und vielleicht habe die Sicht auf die Hauptstadt von Niedersachsen aus den Blick auch noch zusätzlich geschärft und der Musik so eine andere Klarheit gegeben. Diese Klarheit hat von Deylen in das fast 20 Minuten lange und mystische wie pulsierende Elektro-Pop-Stück „Der Klang der Nacht“ fließen lassen, ein Epos, wie er es selbst nennt. „Aus der Ferne fühle ich mich der Stadt sogar näher als in der Zeit, in der ich dort gelebt habe.“

Dass sich von Deylen schon als musikalischer Jungspund vor allem von Jean-Michel Jarre, Tangerine Dream und Kraftwerk inspirieren ließ, ist der neuesten Platte ebenfalls gut anzumerken. Allzuleicht wird man beim Hören direkt in die 80er-Jahre gebeamt. Für den Titelsong hat sich von Deylen den Alphaville-Kulthit „Summer in Berlin“ vorgenommen, ein Lied, das er als Teenager selbst rauf und runter gehört hat. Wer den Sound dieses Jahrzehnts mag, wird sich mit dem Album wunderbar wohlig aufhoben fühlen.

Eskapismus: Ja, bitte
Ansonsten ist auch „Summer in Berlin“ wieder ein Aufruf zur Flucht aus der Wirklichkeit - dem von Deylen selbst in seiner Lebensrealität mit Disziplin gelebten Eskapismus. Ein Lebensmotto, das er nur allzugern weiter gibt. „Denn die Träume kommen ja nur dann, wenn man ihnen auch Raum lässt. Und wenn Musik dafür ein kleiner Urknall sein kann, dann wäre das doch wunderschön.“

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