Psychische Krankheiten

„Es ist die Hölle – du wirst selbst krank“

Steiermark
08.02.2020 06:00

Jahrzehntelang war Karin S. (Name von der Redaktion geändert) mit einem Mann verheiratet, der unter paranoider Schizophrenie und einer bipolaren Störung leidet. Seine Krankheit hat ihre Familie zerstört - und sie selbst. Nach all den Jahren fühlt sie sich nun stark genug, um über ihr Martyrium zu sprechen.

Der Messerangriff eines psychisch Kranken am vergangenen Dienstag in Graz hat der gesamten Steiermark die Sprache verschlagen. Karin S. weiß, wie das Leben mit so einem Menschen ist. Sie will nicht mehr schweigen - aber das Reden fällt ihr dennoch nicht leicht. „Ich bin jetzt stark genug. Davor habe ich mich nie getraut, darüber zu sprechen“, erzählt die Frau.

„Wir haben das damals auf den beruflichen Stress geschoben“
Mehr als zwei Jahrzehnte lang hat ihr Leidensweg gedauert. Zu Beginn schien alles perfekt. Karin S. und ihr Mann waren ein junges Ehepaar, drei Kinder, ein Haus. Das war Anfang der 1980er. Nach einigen Jahren kamen die ersten Vorzeichen. „Er war mir gegenüber aggressiv. Wir haben das damals auf den beruflichen Stress geschoben. Er hat nächtelang nicht geschlafen, hatte einen Eifersuchts-Wahn, ich durfte mit niemandem reden. Ich war total abhängig von ihm.“ Sie spricht von Erniedrigungen, von Gewalt. Davon, wie sie um ihr Leben gefürchtet hat.

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Zuerst habe ich alles vertuscht. Ich habe bis zuletzt gehofft, dass es sich ändert. Ich habe auf ein Wunder gehofft, aber es gibt kein Wunder.

Karin S.

Bis die Situation eskalierte. „Irgendwann ist er einmal wieder nicht nach Hause gekommen. Bis er dann aufgetaucht ist, um vier in der Früh. Er dachte, er sei Jesus und hat gesagt, der Teufel wäre im Haus.“ Sie fuhren nach Graz ins heutige LKH Süd, vormals Siegmund-Freud-Klinik.

„Sie haben ihn vor mir fixiert, am Boden“
Dort wurde ihr Mann in die geschlossene Psychiatrie gebracht. Sie konnte es kaum mit ansehen. „Ich habe die Abteilung gesehen, die Leute gesehen und mir gedacht: Nein, dort lasse ich ihn nicht. Dann ist die Zwangsjacke gekommen. Sie haben ihn vor mir fixiert, am Boden.“

Den Nachbarn erzählte sie von einem Herzinfarkt
Wie es ihr damit gegangen ist? „Das hat nie jemand gefragt“, sagt Karin. „Zu Hause habe ich den Nachbarn erzählt, dass mein Mann einen Herzinfarkt hatte. Ich habe jahrelang alles gedeckt, um meine Familie zu schützen.“ Monatelang bleibt Karins Mann in der Klinik. „Ich habe geglaubt, ich muss ihn heilen, ich kann ihn heilen. Es hat mir keiner gesagt, dass ich das nicht kann.“

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Ich habe gesehen, wie meine Tochter ihn anbettelt, er solle sich die Spritzen geben lassen. Die Tabletten hat er auch nicht geschluckt.

Karin S.

Heute weiß sie nicht, wie sie das geschafft hat. Magersucht, Fettsucht, Hypochondrie waren die Folge. „Als Angehöriger wirst du auch krank. Es ist die Hölle“, erzählt sie. „Die Tabletten hat er nicht geschluckt. Wenn er nicht will, bringst du ihn nicht ins Krankenhaus.“ In der Klinik habe er sich „vorbildlich verhalten“, sagt Karin, „aber zu Hause ist es rundgegangen.“ Er habe damit gedroht, sie umzubringen, wenn sie ihn einweisen lässt.

Karin S. sah keinen Ausweg mehr
Irgendwann konnte sie es nicht mehr ertragen. Schulden, die Krankheit - alles lastete auf ihren Schultern. Karin sah keinen Ausweg mehr - außer Suizid. Schwer verletzt hat sie überlebt.

Wann sie sich selbst professionelle Hilfe gesucht hat? „Jetzt erst. Nach der Scheidung“, sagt Karin. Die liegt einige Jahre zurück. Heute ist sie in die Obersteiermark gezogen, hat all das hinter sich gelassen. Trotzdem: Wenn sie in der Zeitung von Schizophreniekranken liest, wird sie zurückgeworfen. Auch deshalb wollte sie ihre Geschichte jetzt erzählen. Weil sie die Hölle erfahren hat, die nicht nur den Kranken betrifft.

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