Sonderbare Maßnahmen

Die kuriosen Blüten der Datenschutzverordnung

Österreich
20.10.2018 06:00

Seit Mai gilt die Datenschutzgrundverordnung EU-weit verbindlich. Bei vielen ruft sie jedoch oftmals Stirnrunzeln, Verärgerung oder einfach ein Schmunzeln hervor. Die „Krone“ sammelte Skurriles aus den Bundesländern.

Im Zweifel den schwarzen Peter der neuen Datenschutzgrundverordnung in die Schuhe schieben, lautet wohl oftmals das Motto. Wie berichtet, tauscht Wiener Wohnen aufgrund der DSGVO 220.000 Namensschilder in Top-Nummern um. Von der EU-Kommission hieß es aber, dass diese das gar nicht vorsieht. Wiener Wohnen bleibt trotzdem bei den Zahlen statt Namen - weil es künftig bei Wechseln Vorteile bringt.

Verwunderung in Wiener Schulen und Kindergärten
Eine Mutter aus Wien berichtet, dass in der Volksschule ihrer Tochter die Lehrer Zettel, auf denen die Namen der Kinder standen, von den Wänden nahmen, Fotos und Geburtsdaten blieben. Gleichzeitig reichen die Kleinen aber Freundschaftsbücher herum, in denen Adressen oder Handynummern notiert werden. Eine andere Mama wunderte sich im Kindergarten: Eintragungen für Aktivitäten dürfen nicht mehr öffentlich im Foyer, sondern nur noch direkt bei den Pädagogen getätigt werden.

Keine Auskunft in Arztpraxis
Noch vor dem 25. Mai übte eine Arztpraxis aus Tulln in Niederösterreich bereits ambitioniert für den „Ernstfall“ -  sehr zur Verwunderung eines 34-jährigen Anrufers. Er wollte per Telefon erfragen, um welche Uhrzeit seine Frau einen Termin hat. Doch aus Datenschutzgründen wollte man ihm das nicht sagen. Die Sprechstundenhilfe erklärte: „Auch wenn Sie Ihre Frau in die Ordination bringen, einkaufen gehen und dann im Anschluss fragen, ob sie noch da ist, dürfen wir Ihnen nicht sagen, ob sie noch im Gebäude ist.“

Geheimnis um Versicherungsnummer des eigenen Kindes
Am Telefon gescheitert ist auch eine Flachgauerin nach der Geburt ihrer Tochter. Sie wollte die Versicherungsnummer ihres Neugeborenen erfragen. „Darf ich Ihnen nicht sagen“, lautete die Antwort. Die Mutter musste warten, bis die E-Card per Post kam.

In Arztpraxen und Krankenhäusern dürfen keine Namen ausgerufen werden, behaupten viele. „Es gab in diesem Bereich durch die Datenschutz-Verordnung keine Änderungen. Patienten werden nach wie vor mit Namen aufgerufen“, weiß Johannes Schwamberger, Sprecher der Tirol Kliniken. Trotzdem: Sollte dagegen Beschwerden erhoben werden, werde man das Vorgehen prüfen.

Absichern will sich ein Grazer Fotostudio, wenn es Erstkommunions- und Firmkinder begleitet. Die Fotografen stellen vor den Kirchen Plakate auf und „warnen“, dass Bilder gemacht werden.

Kein Zutritt in Volksschule für Absolventen
In der Volksschule Bad Hall in Oberösterreich durften ehemalige Schüler nicht eintreten. Edmund Hauswirth, Datenschutzbeauftragter an den Oberösterreichischen Schulen, erklärt: „Die Direktorin hätte sonst alle Zeichnungen an den Wänden, unter denen Namen stehen, herunternehmen und alle Schulhefte versperren müssen, weil die Absolventen ihrer Meinung nach aufgrund der DSGVO die Namen der aktuellen Schüler nicht sehen dürften.“

Interessant ist auch der Newsletter eines Bowling-Vereins. Die Bilder mancher Teilnehmer sind gepixelt - weil diese keine Zustimmung zur Fotoveröffentlichung gaben -, Namen und die Erfolge stehen aber sehr wohl in dem Dokument.

Datenschutz-Posse vor Gericht in Klagenfurt
Ratlos zurück blieb ein Angeklagter am Landesgericht Klagenfurt. Bei einem Prozess berief sich ein Richter auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Graz. Einziges Problem: Der Betroffene erfährt vorläufig nicht, was genau darinsteht - denn ebendiese Entscheidung darf der Richter laut der DSGVO nicht an andere weitergeben, weil sie noch nicht öffentlich ist, die Namen in den Akten noch nicht geschwärzt sind.

„Anonyme Spieler“ in Vorarlberg
Hellseherische Fähigkeiten braucht man in Vorarlberg, wenn man die Ergebnislisten eines Golfturniers durchliest. Der Verband hat von seinen Mitgliedern eine Erlaubnis für die Verwendung bestimmter Daten eingeholt. Allerdings haben viele Golfer die Mail ignoriert oder stimmten nicht zu. Deshalb werden sie jetzt als „Anonyme Spieler“ geführt.

„Wir hängen alten Konzepten nach“
Dr. Hans G. Zeger ist Vorstand der Arge Daten und Experte in Sachen Datenschutz. Die derzeitige Lösung sei kein Vorbild für andere Länder.

„Krone“: Haben die Österreicher die DSGVO verstanden?
Hans Zeger: Man muss zwischen Betroffenen und Verantwortlichen unterscheiden. Bei Letzteren muss ich sagen: leider nein. Die DSGVO verlangt eine neue Art der Organisation, wie mit den persönlichen Daten umgegangen wird. Die Grundzüge sind aber nicht neu. Viele haben die Chance Übergangszeit genutzt.

Ist der derzeitige Datenschutz gut, wie er ist?
Wir hängen alten Konzepten aus den 70ern nach. In Europa wird dieses Thema viel zu bürokratisch abgehandelt. Die EU hat den Anschluss an die Informationsgesellschaft verloren. Der Konsument gilt als armes Opfer, dessen Daten man schützen muss. Viele Prozesse funktionieren ohne Daten gar nicht. Dieser Datenschutz ist kein Vorbild für Länder außerhalb der EU.

Was erwartet uns noch?
Es hat acht Jahre gedauert, bis diese Verordnung zusammengestückelt worden ist. Die letzte Bestimmung hat 26 Jahre gehalten, die neue wird für den gleichen Zeitraum bestehen.

Die DSGVO und was sich änderte

  • Die EU-Datenschutzgrundverordnung trat am 25. Mai 2016 in Kraft, es gab aber eine Übergangsfrist von 24 Monaten. Damit kam sie also heuer erst zur Anwendung.
  • Mit der neuen Verordnung sollen die Regelungen EU-weit vereinheitlicht werden. Es geht um die Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch private Unternehmen, aber auch von öffentlichen Stellen.
  • Was sich geändert hat: Verbraucher haben ein Recht auf Information. Heißt, sie müssen informiert werden, wer ihre persönlichen Daten erhebt, und sie müssen dem zustimmen.
  • Es gibt auch das Recht auf das Vergessenwerden: Das heißt. Alle Daten, die nicht mehr benötigt werden, müssen gelöscht werden.
  • Weiter sollen so wenig persönliche Daten wie möglich verarbeitet werden.
  • Jeder hat das Recht auf Auskunft: Unternehmen müssen die gespeicherten Daten auf Anfrage zur Verfügung stellen.
  • Wechselt ein Verbraucher den Anbieter, kann er seine Daten mitnehmen.
  • Die Daten müssen so gesichert sein, dass ein externer Zugriff nicht möglich ist.
  • Auch der Strafrahmen wurde erhöht. Bis zu 20 Millionen Euro bzw. bis zu vier Prozent des Konzernumsatzes sind möglich.

Kronen Zeitung

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