Dort wurden manche von ihnen ab 25. September zu rassistischen Studienobjekten degradiert, später die meisten in das KZ Buchenwald deportiert. Nur wenige überlebten. Der Hintergrund: Nach dem Angriff der Deutschen Wehrmacht auf Polen hatte der Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, die Verhaftung aller männlichen Juden mit polnischer Herkunft verfügt.
Im Prater-Stadion mussten die Gefangenen auf Strohlagern in den Gängen unter den Tribünen nächtigen, berichtet der Historiker David Forster, der sich seit sechs Jahren mit dem Thema beschäftigt. Die sanitären Verhältnisse waren prekär, die Verpflegung dürftig.
"Rassekundliche" Vermessungen an 440 Häftlingen
Einige Inhaftierte erkrankten aufgrund der schlechten Bedingungen. 440 Häftlinge wurden von einer "anthropologischen Kommission" des Naturhistorischen Museums Wien untersucht, die von 25. bis 30. September 1939 "rassekundliche" Vermessungen an ihnen durchführte. Dabei wurden unter anderem die Kopflänge und -breite eruiert, Haarproben genommen und Fotos gemacht.
Am 30. September 1939 wurden die Internierten zum Wiener Westbahnhof gebracht. Einige wenige Männer wurden dort entlassen, der Großteil der Häftlinge - insgesamt 1.038 Menschen - wurde ins KZ Buchenwald deportiert. Am nächsten Tag herrschte im Prater schon wieder "Fußball-Alltag". Wien gewann ein Städtespiel gegen Budapest mit 3:1.
Bescheidene Entschädigung von 62,50 Euro
Nur wenige Stadion-Häftlinge überlebten den Holocaust: 44 Männer wurden freigelassen, 27 wurden 1945 befreit. Der Umgang mit den Vorkommnissen im Wiener Stadion während der NS-Zeit war nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit typisch österreichisch: Es wurde ein Mantel des Schweigens darüber gebreitet. Im Jahr 1988 gab es für manche "Stadion-Häftlinge" wenigstens eine "Entschädigung": Nach heutiger Währung bescheidene 62,50 Euro. Von 2001 bis 2004 wurden die NS-Studien an den Stadion-Häftlingen im Zuge des Projekts "Anthropologie im Nationalsozialismus" wissenschaftlich aufgearbeitet.
"Dunklen Seite der Sport- und Kulturgeschichte"
Im Jahr 2003 erreichte eine von Forster ehrenamtlich betriebene Initiative die Anbringung einer Gedenktafel beim Sektor "B" des nunmehrigen Ernst-Happel-Stadions. Bürgermeister Michael Häupl (SP) bezeichnete die Gedenktafel damals als "sichtbaren Teil der auch dunklen Seite der Sport- und Kulturgeschichte des Wiener Prater-Stadions". Sie solle daran erinnern, "dass nur Humanität und Toleranz das friedliche Miteinander und das Überleben der Menschheit sichern können".
Ein Vorhaben der Stadt Wien, anlässlich des 70. Jahrestages eine Gedenkveranstaltung abzuhalten, verlief zum Bedauern des Historikers letztlich im Sand. Damit wurde eine Geste des Erinnerns verpasst, meint er: "Im Jänner 2009 ist wieder einer der wenigen Überlebenden der Deportation aus dem Stadion nach Buchenwald verstorben."
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