Tödliche Schüsse

Polizeibeamte: “Maskierte sprangen auf uns zu”

Österreich
09.08.2009 18:34
Nach den Schüssen in einem Merkur-Markt in Krems, durch die am vergangenen Mittwoch ein mutmaßlicher Einbrecher (14) getötet und ein seit Sonntag 17-Jähriger in beide Oberschenkel getroffen wurde, steht nun Aussage gegen Aussage. Während der überlebende Jugendliche angab, sein Freund sei auf der Flucht erschossen worden (auch die Obduktion ergab, dass der Bub von hinten tödlich getroffen wurde), sagten die Beamten, sie seien von Maskierten angegriffen worden. Der Rechtsanwalt der beiden Kremser Polizeibeamten, Hans-Rainer Rienmüller, teilte am Wochenende mit, dass seine Mandanten in "Notwehr" gehandelt hätten.

Die Freunde des 14-Jährigen, der am kommenden Donnerstag beerdigt werden soll, sind geschockt, entzünden vor dem Tatort Kerzen. Was genau in den verhängnisvollen Augenblicken im Merkur-Markt passiert ist, soll in den nächsten Wochen ein Lokalaugenschein klären. Denn nach der Einvernahme der Beamten und dem Verhör des am Sonntag 17 Jahre alt gewordenen Mittäters, der derzeit in U-Haft sitzt, steht Aussage gegen Aussage.

"Maskierte Täter griffen uns an"
Die erfahrenen Polizisten (ein Familienvater und eine Mutter) betonen immer wieder: "Wir wurden angegriffen. Die Täter waren größer als wir und sprangen bewaffnet aus einer Nische hervor. Es war für uns eine lebensbedrohliche Notwehrsituation. Aufgrund der Maskierung konnten wir ja nicht ahnen, dass es sich um noch so junge Menschen handelt." Der durch die Schussabgabe verletzte Teenager sagt jedoch aus, dass er und sein auf so tragische Weise tödlich getroffener Freund fliehen wollten.

Die Burschen waren lediglich mit einem Schraubenzieher und einer Gartenharke ausgerüstet. Demnach seien sie zwar "im technischen Sinn" bewaffnet gewesen, nicht jedoch "nach dem Waffengesetz", erläuterte der Kremser Staatsanwalt Friedrich Kutschera. Die beiden seien nicht dazu gekommen, etwas zu stehlen.

Wie viele Einbrecher waren im Supermarkt?
"Unklar ist nach wie vor, wie viele Täter sich tatsächlich im oder vor dem Supermarkt aufgehalten haben", so Oberstleutnant Roland Scherscher vom Landespolizeikommando NÖ. Nach der Festnahme eines Verdächtigen (28) aus Rumänien gehen die Ermittler vorerst von drei an dem Einbruch beteiligten Tätern aus. Weitere Komplizen seien jedoch nicht ausgeschlossen". Man könne sicher von einer Bande sprechen, so die Kriminalisten. 

Verdächtige beschuldigen einander gegenseitig
Der am Freitagabend festgenommene Rumäne wurde in die Justizanstalt Krems eingeliefert und dort am Samstag einvernommen. Er bestreitet nach wie vor jegliche Beteiligung an dem Einbruch und erhebt seinerseits Vorwürfe gegen die beiden Jugendlichen. Er bezichtigt sie, in den vergangenen Tagen und Wochen im Raum Krems bei gleich drei Einbruchsdiebstählen dabei gewesen zu sein. Der 17-Jährige wiederum belaste den Rumänen, mit ihm und dem 14-jährigen späteren Todesopfer im Auto unterwegs gewesen zu sein, so Scherscher, dem zu Folge die Tat im zweiten Versuch erfolgt sei. Nach einem ersten Anlauf seien die Täter weggefahren, um festzustellen, ob Alarm ausgelöst worden sei. Weil das nicht der Fall gewesen sei, seien sie zurückkehrt und in den Supermarkt eingedrungen.

"Plötzlicher Kontakt" in völliger Dunkelheit
Der stille Alarm ging schließlich los, als die Burschen um 2.28 Uhr den Rollbalken einer Laderampe aufzwängten. Daraufhin wurde eine Streife in die Landersdorfer Straße 8 entsandt und traf etwa gleichzeitig mit einem Vertreter des Supermarktes ein.

Bei der Kontrolle in dem Objekt sei es gegen 2.55 Uhr zu einem "plötzlichen Kontakt" mit den Tatverdächtigen gekommen. Obwohl in dem Supermarkt das Licht eingeschaltet war, sei es in der Nische vor dem Fleischlagerraum, in dem sich die Verdächtigen versteckten, absolut dunkel gewesen.

Dann fielen drei Schüsse. Die erste Kugel traf eine Glasvitrine, die zweite durchschlug beide Oberschenkel des 16-Jährigen, das dritte Geschoss traf in den Rücken des 14-Jährigen. Er starb etwa eine Stunde nach der Schussabgabe im Landesklinikum Krems. In dieses Krankenhaus ist auch der nun 17-Jährige eingeliefert worden. Laut Kutschera haben beide Beamte gefeuert. Kutschera: "Wer getroffen hat, weiß ich nicht", sagte er am Donnerstag.

Bruder des Toten schlug Fotografen nieder
Bestätigt wurde unterdessen, dass der Bruder des Getöteten in einen Fall von Körperverletzung involviert ist. Er soll am Donnerstag einen Fotografen niedergeschlagen haben. Dieser musste daraufhin ins Landesklinikum Krems eingeliefert werden. Der Beschuldigte ist vorerst noch nicht einvernommen worden. Die Befragung werde "wegen der derzeitigen Situation erst später durchgeführt", hatte es am Freitag geheißen. "Ich habe eigentlich recht freundlich mit ihm geredet, mit Mitgefühl natürlich, und war dann ganz baff, dass er so reagiert, einfach so direkt mit der Faust", berichtete der verletzte Fotograf dem ORF. Das Opfer erlitt schwere Gesichtsverletzungen, darunter einen Jochbeinbruch.

Mutter erhebt schwere Vorwürfe
Am Freitag hatte die Mutter schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben, von den Informationen zu den Ermittlungen abgeschnitten zu sein. "Wir haben nur gehört, dass unser Kind tot ist. Aber sie (die Kriminalisten, Anm.) lassen nicht mit sich reden, sie geben keine Auskunft", meinte die Frau im Gespräch mit dem ORF-Radio. Auch der 19-jährige Bruder hatte in Interviews Kritik erhoben.

Oberstleutnant Roland Scherscher sagte hingegen, die Mutter, ihr Lebensgefährte und der Bruder des Jugendlichen sowie der Vater des 14-Jährigen seien noch in den Nachtstunden am Mittwoch über die Ereignisse in dem Merkur-Markt informiert worden. Zur Betreuung der Angehörigen habe die Polizei das Akutteam NÖ verständigt. Darüber hinaus sei eine Information über juristische und psychosoziale Prozessbegleitung erfolgt. Die Angehörigen seien zudem am Freitag neuerlich kontaktiert und eingehend informiert worden.

Kritik an U-Haft für 16-Jährigen
Kritik wurde auch an der U-Haft laut, die über den 16-jährigen Tatverdächtigen verhängt wurde. Der Beschluss wurde mit Tatbegehungsgefahr begründet. "Die U-Haft ist für mich nicht nachvollziehbar", sagte der Wiener Strafverteidiger Manfred Ainedter am Freitag. "Wo soll da die Tatbegehungsgefahr bestehen? Das halte ich in der Situation für maßlos überzogen", erklärte Ainedter. Er kenne zwar den Akt nicht, schränkte der Strafverteidiger ein und wies darauf hin, dass grundsätzlich allfällige Vorstrafen oder bedingte Haftentlassungen bei einer derartigen Entscheidung eine Rolle spielen. "Trotzdem ist das aus meiner Sicht nicht in Ordnung", unterstrich der Anwalt. Später wurde bekannt, dass der 16-Jährige bereits mehrfach einschlägig vorbestraft ist.

Staatsanwaltschaft Korneuburg übernahm den Fall
Indes werden die Erhebungen nach den tödlichen Schüssen seit Freitag von der Staatsanwaltschaft Korneuburg geführt. Da es den Anschein einer möglichen Befangenheit erwecken könne, wenn die Kremser Anklagebehörde gegen in Krems tätige Polizisten ermittle, würden die Erhebungen - wie im Sprengel der Oberstaatsanwaltschaft Wien mittlerweile üblich - einer anderen Staatsanwaltschaft übertragen, erklärte Ilse-Maria Vrabl-Sanda, die Mediensprecherin der OStA.

Fekter: Keine beurteilende Stellungnahme
Innenministerin Maria Fekter, die zunächst ihr Bedauern auf den tödlichen Ausgang des Polizei-Einsatzes äußerte, will zu dem Vorfall vorläufig "keine beurteilende Stellungnahme" abgeben. Es gelte nun, den Ausgang der Ermittlungen abzuwarten. Wenig kann sie der Idee von Amnesty International-Generalsekretär Heinz Patzelt abgewinnen, der vorgeschlagen hatte, dass bei Todesfällen durch Waffengebrauch eines Polizisten immer eine Gerichtsverhandlung stattfinden sollte. "Ich halte es nicht für gerechtfertigt, dass jedes Mal Anklage erhoben wird, selbst wenn ganz klar Notwehr vorliegt", sagte Fekter.

von Gregor Brandl, Christoph Matzl und Christoph Budin (Kronen Zeitung) und krone.at

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