Tödliche Sparwut?

“Horror-Bohrloch” machte Mitarbeitern Angst

Ausland
15.06.2010 12:11
Die Untersuchung des Unglücks auf der Ölbohrplattform Deepwater Horizon fördert jetzt unglaubliche Details zu Tage. Nicht nur, dass ein BP-Ingenieur kurz vor der Explosion von einem "Horror-Bohrloch" sprach - es wird auch immer deutlicher, dass der Ölkonzern für Zeit- und Geldvorteile auf essenzielle Sicherheitsmaßnahmen verzichtete.

Sechs Tage vor der verhängnisvollen Explosion vom 20. April, die die schlimmste Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA auslöste, schlug BP-Ingenieur Brian Morel Alarm. "Deepwater Horizon ist ein echtes Horror-Bohrloch", schrieb der Experte in einem E-Mail. Doch es waren offenbar weniger die schwierigen äußeren Bedingungen, die die Ölquelle bei den Arbeitern so in Verruf brachte, sondern selbst produzierte Unzulänglichkeiten. Denn durch das auch bei Schiffen übliche "Ausflaggen" der Plattform zum Mini-Staat Marschall-Inseln konnten strenge Sicherheitsstandards umgangen werden.

Deepwater Horizon sollte die Quelle zunächst nur anbohren, die Förderung des Öls hätte dann eine neue Plattform übernommen. Kurz vor dem Unglück sollte das Bohrloch für die Übergabe versiegelt werden. Doch genau hier wurde geschlampt, wie jetzt zwei US-Kongressabgeordnete BP vorwerfen. Und zwar offenbar nur deswegen, um Zeit und Geld zu sparen. Die von ihnen vorgelegten Dokumente enthüllen haarsträubende Leichtsinnigkeiten.

Billigere Versiegelung sparte zehn Millionen Dollar
Entgegen der Warnungen der Ingenieure vor Ort wurde zum Beispiel auf eine aufwendige und sichere Versiegelungsmethode verzichtet. "BP entschied sich für den einfacheren Weg, weil der sieben bis zehn Millionen Dollar billiger war", so die Abgeordneten Henry Waxman und Bart Stupak. Auch bei den Beton-Leitschienen, die dafür sorgen sollen, dass der Stutzen genau in das Bohrloch eingepasst werden kann, wurde offenbar gespart. Entgegen den Empfehlungen der ausführenden Bohrfirma verwendete BP nur sechs statt 21 der Betonelemente. Außerdem wurde die Qualität des Zements nicht geprüft. Denn dies hätte bis zu zwölf Stunden gedauert und bedeutet, dass die Facharbeiter nicht mit einem der planmäßigen Hubschrauberflüge von der Bohrinsel gebracht hätten werden können.

"Ausflaggen" ermöglichte Senken der Sicherheitsstandards
Experten vermuten, dass die mangelhafte Versiegelung mit dafür verantwortlich war, dass nach einer Druckveränderung unter dem Meeresboden Öl und Gas aus dem Bohrloch schießen konnten. Wenig später entzündete sich das Gemisch und löste die Explosion aus, in Folge derer die Bohrinsel sank. Ein fehlerhaftes Sicherheitsventil ermöglichte schließlich, dass nach wie vor große Mengen Öl aus dem Bohrloch strömen. "BP scheint sich immer wieder aus wirtschaftlichen Gründen für Vorgehensweisen entschieden zu haben, die das Risiko für ein solches Unglück in die Höhe trieben", so die Kongressabgeordneten.

Möglich wurde dieses leichtsinnige Vorgehen offenbar auch durch das aus der Schifffahrt bekannte "Ausflaggen". Offiziell bohrte Deepwater Horizon unter der Flagge des Mini-Staates Marschall-Inseln (ca. 63.000 Einwohner). Zwar wehren sich die dortigen Behörden gegen den Vorwurf, dass die Sicherheitsvorschriften des Landes zu lax seien, doch unter Insidern ist klar, dass die Regelungen längst nicht so strikt sind wie in andernorts. "Allein schon deswegen, weil kleine Länder die Ausarbeitung und Überwachung der Vorschriften oft an leicht zu manipulierende private Dienstleister überträgt", so ein Experte, der namentlich nicht genannt werden will.

"Im Laufe der Zeit nahm die Besatzung immer weiter ab"
Die "LA Times" zitiert den Chefmechaniker der Plattform mit deutlichen Worten zu der Problematik. Demnach sei Deepwater Horizon von dem Marschall-Inselns in eine Bohrinsel-Kategorie eingeordnet worden, auf der vergleichsweise wenig Personal anwesend sein muss. "Im Laufe der Zeit nahm die Besatzung immer weiter ab. Ich glaube, dass die Sicherheit dadurch beeinträchtigt wurde."

Nun, wo das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, versucht BP die Folgen der Katastrophe zu mindern. Doch auch der zuletzt vorgelegte Plan, mit dem bis zur Fertigstellung einer Entlastungsbohrung das gesamte ausströmende Öl aufgefangen werden soll, birgt offenbar gravierende Risiken. Der Konzern selbst warnt vor Sicherheitsrisiken für mehrere Hundert Personen, die auf den Schiffen arbeiten, die das Öl aufnehmen und abtransportieren sollen. Vier Schiffe werden auf engem Raum manövrieren müssen. Außerdem strömen gemeinsam mit dem Öl giftige und hochentzündliche Kohlenwasserstoffe aus dem Bohrloch.

Gleichzeitig warnte BP-Vizepräsident Doug Suttles davor, dass auch der neue Plan scheitern könnte. Denn die bei einer vorherigen Rettungsaktion in das Bohrloch gepumpten Materialien könnten die Schläuche verstopfen, mit denen das Öl an die Oberfläche geleitet werden soll. Was passiert, wenn der Plan wirklich scheitert, verriet Suttles nicht.

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