Zu viele Fehlurteile

EU will Rating-Agenturen einen Maulkorb verpassen

Ausland
13.11.2011 16:44
Ratingagenturen stehen in der Schuldenkrise als Buhmann und Brandbeschleuniger am Pranger. Der jüngste Patzer von Standard & Poor's bei der angeblichen Herabstufung der Kreditwürdigkeit Frankreichs ist Wasser auf die Mühlen der Politik. Nun will die EU den Agenturen einen Maulkorb verpassen. "Europa braucht schärfere Regeln", sagt EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier.

Der Franzose präsentiert am Dienstag Reformideen, die das Geschäft mit der Benotung von Finanzprodukten, Unternehmen und Staaten aufmischen könnten. Schon im Vorfeld laufen die drei Marktführer - Standard & Poor's, Moody's und Fitch - Sturm gegen die EU-Pläne. Eine "Katastrophe" sei die Reform, verlautete es aus den Häusern, die um ihr Geschäftsmodell und um zahlungskräftige Kunden fürchten.

In der Tat sind die Pläne der EU-Kommission geradezu revolutionär. Nach einem Entwurf, der der dpa vorliegt, will Brüssel den Ratingagenturen notfalls verbieten, Urteile über kriselnde Euro-Länder wie Griechenland, Irland oder Portugal zu veröffentlichen. Dahinter steckt der Vorwurf, dass die Bonitätswächter die Lage einzelner Länder falsch bewerten und mit ihren Urteilen die Krise verschärfen würden.

Herabstufungen der Kreditwürdigkeit von Staaten sorgen regelmäßig für Unruhe an den Märkten. Es ist ein Teufelskreis: Sinkt das Rating, wird es für ein Land teurer, sich Geld zu leihen - was wiederum aufs Rating drückt. "Das Thermometer muss richtig funktionieren, um nicht mehr Fieber anzuzeigen, als tatsächlich vorherrscht", betont Barnier.

Einheitlicher Kriterienkatalog für Ratings
Damit die Ratings vergleichbarer werden, will Brüssel der EU-Wertpapieraufsicht ESMA eine Kontrolle über die Methodologie der Ratings geben. Ziel ist ein einheitlicher Kriterienkatalog für alle. Auftraggeber sollen zudem verpflichtet sein, alle drei Jahre die Ratingagentur zu wechseln, damit es keine "Gefälligkeitsratings" gibt. Für fehlerhafte Benotungen sollen Ratingagenturen zudem erstmals haften. "Wenn ein Investor deswegen Geld verliert, muss er vor Gericht Schadenersatz verlangen können", so Barniers Sprecherin.

Zahlreiche Bedenken gegen Beschränkung der Agenturen
Doch es gibt rechtliche Bedenken. "Das Verbot von Ratings wäre eine starke Beeinträchtigung der Rede- und Meinungsfreiheit", kritisiert der Ökonom Nicolas Véron vom Brüsseler Bruegel-Institut in einer Studie. "Es gibt kein öffentliches Interesse, das solch eine radikale Maßnahme rechtfertigen würde."

Die Branche hält ein Verbot für unpraktikabel, da Ratings nicht unter dem Deckel gehalten werden könnten. "Die pure Ankündigung einer Aussetzung des Ratings wird das Vertrauen verringern und Kursschwankungen schaffen", schreibt die Agentur Moody's in einem Beschwerdebrief an die EU-Kommission.

Unabhängiger "Länder-TÜV" gefordert
Manchen Ökonomen gehen die Pläne allerdings nicht weit genug. Immer mehr setzt sich die Meinung durch, dass das Geschäft mit den Noten, die über das Schicksal von Staaten entscheiden, nicht in der Hand privater Firmen bleiben sollte. "Wir brauchen einen unabhängigen Länder-TÜV", fordert der Finanzexperte Ottmar Schneck von der European School of Business in Reutlingen. "Das Casino privater Agenturen muss durch ein internationales Institut ersetzt werden."

Vielleicht gibt es ja bald eine europäische Konkurrenzagentur zu den US-Giganten. Die Unternehmensberatung Roland Berger wirbt seit mehr als einem Jahr dafür. Träger sollen Banken, Versicherungen und Finanzdienstleister sein, die rund 300 Millionen Euro Startkapital bereitstellen. "Wir finden gute Zustimmung für unser Projekt", sagt Roland-Berger-Partner Markus Krall. Den Termin Jahresende werde man nicht schaffen, neuer Starttermin sei das erste Quartal 2012.

S&P: "Frankreich-Herabstufung war Computerpanne"
Unterdessen gab Standard & Poor's am Sonntag bekannt, dass ein Computerfehler für die versehentliche Bonitäts-Herabstufung Frankreichs verantwortlich gewesen sei. Bei Änderungen zur Bewertung der Bankensektoren verschiedener Länder seien die Daten für Frankreich vom System falsch interpretiert worden, ließ S&P laut Medienberichten mitteilen. Der Computer habe dann eigenständig E-Mails an Abonnenten versandt, in denen die Herabstufung des Länderratings von Frankreich vermeldet wurde.

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