Das freie Wort

Gedanken zu Allerseelen

Wenn der Mensch eine Seele hat (was immer das ist), dann haben auch unsere Mitlebewesen – die Tiere – eine Seele. Sollten die Tiere keine Seele haben, dann haben auch wir Menschen keine Seele. Dieses ist so sicher wie unsere Existenz. Unsere Religionen prägen das Weltbild der Menschheit. Der Glaube fast aller Religionen, der Mensch sei das einzige gottähnliche, mit einer unsterblichen Seele und besonderer „Würde“ ausgestattete „auserwählte“ Wesen im All widerspricht jeder Logik, jedem nur einfachsten naturwissenschaftlichen Denken, er widerspricht allem, was mit offenen Sinnen in der Natur wahrnehmbar ist. Die Anthropozentrik dieses Glaubens, die Diskriminierung, die Entehrung und Entwürdigung allen nichtmenschlichen Lebens, dieser Speziesismus ist an Primitivität und arroganter Bösartigkeit, an gelebter Brutalität und ethischer Verwerflichkeit nicht zu überbieten. Dies kann nicht Wille eines Schöpfers sein. Allein dieser offensichtliche essenzielle Glaubensirrtum mit fürchterlichen Folgen für die Natur zwingt uns, auch andere Glaubensinhalte dieser Religionen, ja die Religionen selbst zu hinterfragen. „Wachset und mehret euch und macht euch die – seelenlose – Erde untertan!“, ist der Urgrund des barbarischen und selbstzerstörerischen Umgangs des Menschen mit der Natur. Der „auserkorene“ Mensch glaubt, sich zügellos vermehren zu dürfen. Er glaubt, die Natur nach Belieben ausbeuten und zerstören, ein massenhaftes Artensterben verursachen, grausamste Tierversuche machen zu dürfen. Der Mensch glaubt, ein Züchten, Mästen, Schlachten und Fressen „seelenloser Nutztiere“ betreiben zu dürfen, das in Art und Ausmaß an Barbarei und Dekadenz, an Gedanken- und Herzlosigkeit nicht zu überbieten ist. Der Mensch glaubt, aus Spaß und mit mörderischer Lust der Jagd und der Fischerei als Hobby und Sport frönen zu dürfen. Die Menschheit wird erst dann Versöhnung und Frieden mit ihren Mitlebewesen und mit sich selbst finden, wenn sie sich von diesen verhängnisvollen Glaubensirrtümern verabschiedet hat. Vegetarismus und Veganismus – vielleicht der nächste große geistige Quantensprung der Menschheit. Auf alles Schöne und Gute an Religionen, auf tröstenden und stärkenden Glauben an liebende und helfende Götter, auf das Beten, auf Verehrung, auf Danken und Bitten, auf Segen und Hoffnung, auf den Glauben an „ewiges Leben“ müssen wir deshalb nicht verzichten. Wir sind nichts als das Tier namens Mensch. Transzendenz und „ewiges Leben“ sind für uns alle – oder für keinen. Vor Gott – so es ihn gibt – und vor der Ewigkeit sind wir alle gleich: der Papst und der Kaiser, mein Hund, meine Katze, das arme Schwein im Stall – und ich.

Dr. Hans Renner, Innsbruck

Erschienen am Mi, 2.11.2022

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