Spannung in Australien

Social-Media-Verbot: Kinder als Versuchskaninchen

Web
07.12.2025 11:11

Am Mittwoch tritt in Australien das weltweit erste Gesetz in Kraft, das Plattformen wie TikTok, Instagram und Snapchat erst ab 16 Jahren erlaubt. Ob das Social-Media-Verbot Kinder wirklich schützen wird, ist umstritten. Sicher ist jedoch, dass es Wissenschaftlern die einmalige Gelegenheit bietet, die Auswirkungen digitaler Medien auf das Gehirn von Heranwachsenden besser zu verstehen. 

Befürworter des Verbots verweisen auf eine Vielzahl von Studien, die darauf hindeuten, dass Teenager zu viel Zeit online verbringen und damit ihre psychische Gesundheit gefährden. Gegner argumentieren jedoch, dass es nicht genügend unumstößliche Beweise gebe, um die neue australische Gesetzgebung zu rechtfertigen. Sie warnen, dass das Verbot mehr schaden als nutzen könnte.

  „Da sich die Technologie schnell weiterentwickelt, wird die Beweislage immer ungewiss bleiben“, sagt die Psychologin Amy Orben, die an der britischen Universität Cambridge den Einfluss sozialer Medien auf die geistige Gesundheit Heranwachsender erforscht. Aber eine „riesige Menge“ von Beobachtungsstudien habe einen Zusammenhang zwischen der Nutzung der Plattformen und einer schlechteren psychischen Gesundheit bei Jugendlichen festgestellt.

Schlussfolgerungen schwierig
Es sei allerdings schwierig, eindeutige Schlussfolgerungen zu ziehen, da Smartphones so fest im Alltag integriert sind und junge Menschen möglicherweise auf Online-Netzwerke zurückgreifen, weil sie bereits leiden, räumt die Wissenschafterin ein. „Was die Situation verändern könnte, sind experimentelle Studien oder natürliche Experimente. Daher ist die Auswertung des australischen Verbots enorm wichtig, weil es uns tatsächlich einen Einblick in die möglichen Auswirkungen gibt.“

  Laut einer Umfrage der Weltgesundheitsorganisation WHO vom vergangenen Jahr haben elf Prozent der Jugendlichen Schwierigkeiten, ihre Nutzung sozialer Medien zu kontrollieren. Andere Untersuchungen fanden einen Zusammenhang zwischen übermäßiger Nutzung der Plattformen und Schlafproblemen, einem negativen Körperbild, schlechten Leistungen in der Schule sowie emotionalen Schwierigkeiten.

Eine 2019 in der Fachzeitschrift „JAMA Psychiatry“ veröffentlichte Studie mit Schulkindern in den USA ergab, dass diejenigen, die täglich mehr als drei Stunden in sozialen Medien verbrachten, ein erhöhtes Risiko für psychische Probleme hatten.

Es ist eine Frage der Werte
Einige Forscher fordern deshalb, sofort zu handeln. „Es ist eine Frage der Werte, nicht der Wissenschaft“, sagt der australische Psychiater Christian Heim. „Es geht hier um Dinge wie Cyber-Mobbing, Suizidgefahr und den Zugang zu Websites über Magersucht oder Selbstverletzung.“

  „Wir können nicht warten, bis wir mehr Beweise haben“, sagt er und verweist dabei insbesondere auf eine Studie des deutschen Psychologen Christian Montag von 2018, die eine Abhängigkeit vom chinesischen Messaging-Dienst WeChat mit einer Abnahme der grauen Substanz in einem Teil des Gehirns in Verbindung bringt.

  Es sei unwahrscheinlich, dass es bald einen unzweifelhaften wissenschaftlichen Beweis für die Gefahr durch Social Media gebe, sagt der Psychologe Scott Griffiths von der Universität Melbourne. Dennoch sei das Verbot einen Versuch wert. Vor allem hofft Griffiths darauf, dass das Gesetz „die großen Social-Media-Unternehmen endlich motiviert, die Gesundheit und das Wohlergehen junger Menschen sinnvoller zu schützen“.

Erwachsene für das Gesetz
Laut einer Umfrage befürworteten mehr als drei Viertel der Erwachsenen in Australien die neue Gesetzgebung. 140 Wissenschaftler und Experten unterzeichneten allerdings einen offenen Brief, in dem sie das Verbot als „zu plumpes Instrument“ kritisieren. „Die Leute sagen: ,Nun, die Kinder werden immer ängstlicher. Das muss einen Grund haben – verbieten wir doch einfach die sozialen Medien‘“, argumentiert einer der Unterzeichner, Axel Bruns, Professor für digitale Medien an der Queensland University of Technology.

Aber möglicherweise hätten junge Menschen mehr Gründe, ängstlich zu sein – als Folge der Pandemie oder wegen der Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen, sagt er. Ein Verbot könnte Teenager zu Websites mit extremeren Inhalten treiben und gleichzeitig junge Menschen aus Randgruppen daran hindern, Unterstützung in einer Online-Community zu finden. Die Organisation Digital Freedom Project geht juristisch gegen die Reform vor, die sie als „ungerechte“ Einschränkung der freien Meinungsäußerung bewertet.

Der australische Regierungschef Anthony Albanese lässt sich von solchen Warnungen nicht beirren. „Soziale Netzwerke schaden unseren Kindern“, ist er überzeugt. „Deshalb sage ich: Es reicht.“

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