Stadtspaziergänge

Der altmodische Kampf für ein bisschen Freiheit

Wien
08.04.2023 16:00

„Krone“-Reporter Robert Fröwein flaniert durch die Stadt und spricht mit den Menschen in Wien über ihre Erlebnisse, ihre Gedanken, ihre Sorgen, ihre Ängste. Alltägliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Am 3. April 1973 passierte an der 6th Avenue mitten in New York Epochales, obwohl es damals noch nicht einmal im Ansatz so wahrgenommen wurde. Der Motorola-Ingenieur Martin Cooper wollte auf einer Pressekonferenz das erste Mobiltelefon vorstellen, doch nach einer kurzen Unterhaltung mit einem anwesenden Journalisten ging er gleich dazu über, ihm diese technische Revolution mit einem Beispiel zu präsentieren. Cooper rief kurzerhand einen Kollegen an, der deshalb erst einmal so baff war, dass er vor Schreck verstummte. Dass dieser Tag der erste Schritt zu einer flächendeckenden Veränderung der Kommunikation werden würde, konnte damals noch niemand so richtig ahnen. Coopers Prototyp war 25 Zentimeter lang und wog etwa 800 Gramm. Erst zehn Jahre später bekam der Erfinder die Zulassung und das Gerät ging in Serienproduktion.

50 Jahre später werden wir links und rechts von der digitalen Evolution überholt und überrundet. Auf rund acht Milliarden Menschen kommen 6,8 Milliarden Smartphones, mit denen wir nicht mehr nur telefonieren und kommunizieren, sondern von Zahlungsgeschäften über Urlaubsbuchungen bis hin zu Firmenbesprechungen alles erledigen, was im Alltagsleben so benötigt wird. Mittlerweile ist der Grat zwischen Dienstleistung und der sogenannten „Zombifizierung“ der Nutzer schmal geworden. Für den Wiener Musikmanager Walter ein guter Grund, trotz seines kommunikativen Berufs auf ein Nokia-Tastenhandy zu vertrauen. „Ich weiß, es wirkt komisch, aber ich habe es bislang ohne Smartphone geschafft und kriege meinen Alltag auch ohne auf die Reihe.“

Walter steht im ständigen Austausch mit Künstlern, Grafikern, Journalisten, Plattenfirmen, Konzertagenturen, Lokalbetreibern oder bürokratischen Stellen - bei der Kommunikation setzt er dabei auf die alte Schule. „Ich telefoniere und das kann ich auch mit meinem alten Handy. Zudem habe ich einen Beruf, bei dem ich die meiste Zeit vor dem Laptop verbringe und sehr schnell auf E-Mails antworten kann. Nachrichten auf Social-Media-Plattformen wie WhatsApp oder Facebook fallen weg, aber das wird mir ohnehin zu unübersichtlich.“ Walter genehmigt sich dabei Ausruhphasen, die in einer Welt der ständigen Erreichbarkeit längst verloren gingen. Wenn er sich beim Bäcker ums Eck eine Jause holt oder schlicht eine Runde spazieren geht, dann klingeln maximal Anruf oder SMS-Nachrichten, jedoch keine Push-Meldungen, Insta-Likes oder selbstprogrammierte Alltagserinnerungen.

Walter gegenüber sitzt Hermann, ein erst 21-jähriger Nachwuchskünstler. Er ist einerseits vom 80er-Retro-Boom begeistert, den vor geraumer Zeit die Netflix-Serie „Stranger Things“ ausgelöst hat, andererseits ist sein Smartphone aber wie ein dritter Arm. Er bewundert Walter für sein Durchhaltevermögen und überlegt auch, sich ein altes Tastenhandy zuzulegen, um zumindest temporär nicht der datenfressenden Smartphone-Krake ausgesetzt zu sein. „Aber dann weiß ich wieder, ich sollte die Social-Kanäle mit Content bedienen, weil man das als Künstler einfach machen muss. Daran kommt man nicht vorbei.“ Pionier Cooper prophezeite unlängst in einem Interview: „Jede Generation wird klüger. Die Menschheit wird lernen, das Handy effektiver zu nutzen, als es jetzt der Fall ist.“ Walter hält einstweilen wacker durch. „Jetzt setze ich mich dann wieder zu den Mails. Meine Antworten kommen früh genug.“

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