Versöhnung

Meeting Brno: 17. Gedenken an Brünner Todesmarsch

Niederösterreich
30.07.2022 11:10

Das pure Grauen erlebten rund 27.000 deutschsprachige Frauen, Kinder und alte Männer ab dem 31. Mai 1945. Etwa drei Wochen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden diese Altösterreicher aus ihrer Heimat Brünn/Brno (CZ) über die Grenze nach Niederösterreich getrieben. Rund 5.200 von ihnen (manche Quellen sprechen von 4.000 bis 8.000 Opfern) starben dabei. Am vergangenen Samstag gedachten Tschechen, Deutsche und Österreicher bereits zum 17. Mal gemeinsam der Ereignisse von 1945 - und zogen dabei auch Parallelen zum aktuellen Konflikt in der Ukraine.

Historischer Hintergrund
Viele Jahrhunderte lang war die südmährische Metropole Brünn (Tschechisch: Brno) ein Schmelztiegel der Kulturen. Tschechen, Juden und deutschsprachige Altösterreicher lebten friedlich Seite an Seite. Bis 1918 gehörte die Stadt zur k. u. k. Monarchie, danach fiel sie an die neugegründete Tschechoslowakei. In den folgenden Jahren steigerte sich auf beiden Seiten der Nationalismus. Zwischen 1938 und 1945 - in den Jahren der deutschen Besatzung des Landes - wurde die etwa 12.000 Bürger zählende jüdische Bevölkerung Brünns fast vollständig von den Nazis ermordet. Das Zusammenleben zwischen der tschechisch- und der deutschsprachigen Volksgruppe war von steigenden Spannungen und gegenseitigem Misstrauen geprägt. Vor allem die Tschechen, die unter der Fremdherrschaft zu leiden hatten, sehnten die Befreiung ihrer Heimat sehnlichst herbei.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann am 31. Mai 1945 die Vertreibung von 27.000 deutschsprachigen Zivilisten - fast alles Frauen, Kinder, Alte und Kranke - durch so genannte „tschechoslowakische Revolutionsgardisten“. Zunächst wurden die Menschen im Augustinerkloster der Stadt zusammengetrieben und anschließend bei brütender Hitze ohne Wasser und Verpflegung unter „Nemci ven!“ („Deutschsprachige raus!“)-Rufen in Richtung der niederösterreichischen Grenze getrieben.

„Wer vor Erschöpfung nicht mehr weiterkonnte, wurde von den tschechischen Begleitmannschaften erschlagen oder erschossen und blieb einfach im Straßengraben liegen“, wissen Überlebende, die damals noch Kinder waren, heute zu berichten. Die traumatischen Erlebnisse haben sich tief in ihre Seele eingebrannt.

Doch selbst wer es nach Österreich schaffte, war noch nicht in Sicherheit. Viele Menschen erlagen in Niederösterreich den Strapazen des Todesmarsches oder starben an Krankheiten - allein auf dem Friedhof von Drasenhofen befindet sich ein Massengrab mit 186 Opfern des Brünner Todesmarsches.

Doch auch auf tschechischer Seite gibt es etliche Massengräber entlang der Straße nach Niederösterreich. Eines davon befindet sich in Pohrlitz (Pohořelice), rund 30 Kilometer südlich von Brünn. Es ist laut Überlieferungen das einzige, das auch als Grab gekennzeichnet ist. Hier sind nach offiziellen Angaben rund 900 Menschen begraben, die die Strapazen der Flucht oder die Schikanen ihrer Bewacher nicht überlebten.

Versöhnung und Gedenken
Seit mittlerweile 17 Jahren veranstalten junge Tschechen im Rahmen des Kulturfestivals „Meeting Brno“ am Massengrab in Pohrlitz eine Gedenkveranstaltung und einen Versöhnungsmarsch, der vom Massengrab nach Brünn führt und einn Akt der symbolischen Rückkehr nach Brünn darstellt.

Unter den Teilnehmern sind viele junge Tschechen, Familien mit Kindern, Österreicher und Deutsche, aber auch die letzten überlebenden deutschsprachigen Brünner und andere deutschsprachige Südmährer, die 1945 aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Dabei ergeben sich immer wieder auch bewegende Gespräche zwischen Tschechen und deutschsprachigen Teilnehmern der Gedenkveranstaltung. Sprachbarrieren gibt es kaum, viele Tschechen sprechen Deutsch und Englisch und ein fast 100-jähriger heimatvertriebener deutschsprachiger Brünner überraschte tschechische Journalisten einmal mit einem Interview auf Tschechisch. „Das hab’ ich ja damals in der Schule gelernt“, so der rüstige Senior.

Ehemaliger Vizepräsident der Nationalbank bei Gedenken
Aus dem Bezirk Hollabrunn war auch Manfred Frey (82) nach Pohrlitz gereist. Frey war mit seiner Familie 1945 aus seinem Geburtsort Joslowitz (Tschechisch: Jaroslavice), etwa 30 Kilometer von Brünn entfernt, vertrieben worden und machte später in Österreich eine beachtliche Karriere. Zuletzt war er Präsident der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland sowie Vizepräsident der österreichischen Nationalbank.

Für Frey ist das Gedenken an die Opfer und die Versöhnung mit den Tschechen eine Herzensangelegenheit. „Es ist beachtlich und sehr erfreulich, dass in Tschechien ein Umdenken Platz greift und vor allem die Jugend seit einigen Jahren beginnt, sich mit der Vertreibung ihrer ehemaligen deutschsprachigen Landsleute 1945/46 auseinanderzusetzen.“ Frey sieht darin ein positives Zeichen der Aufarbeitung der Geschichte durch die tschechische Jugend.

Zum Auftakt der diesjährigen Veranstaltung legte der Bürgermeister der Stadt Pohrlitz, Miroslav Novák, einen Kranz am Gedenkkreuz nieder und entzündete eine Kerze.

Parallelen zum Krieg in der Ukraine
In seiner Ansprache zog Novák auch Parallelen zwischen den Ereignissen von 1945 und dem Krieg in der Ukraine. Die Tschechische Republik hat seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar dieses Jahres fast 400.000 ukrainische Flüchtlinge, fast ausschließlich Frauen und Kinder, aufgenommen. Die Solidarität mit den Menschen aus der Ukraine ist groß und ungebrochen.

Allein in „seiner“ rund 5.000 Einwohner zählenden Stadt haben rund 300 Ukrainer Schutz gefunden, so der Bürgermeister. „Das erste Quartier für viele Flüchtlinge war der Pfarrhof. Und dort gab es auch ein wunderschönes Ereignis, ein Zeichen der Hoffnung. Ein schwangere Frau schaffte es nicht mehr uns Krankenhaus und vor der Kirche wurde ein gesundes Mädchen geboren. Es heißt Viktoria, das bedeutet Sieg“, führte Novák bei seiner bewegenden Ansprache aus, ehe sich mehrere Hundert Menschen zu Fuß auf dem Weg nach Brünn machten.

Dort wurden am Abend im Garten des Augustinerklosters Kerzen zum Gedenken an die vertriebenen deutschsprachigen Brünner entzündet.

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