Elektromobilität

185 Wissenschaftler wenden sich an EU-Parlament

Motor
04.06.2022 07:08

„Einseitige Elektrifizierung bringt nichts fürs Klima, dafür aber gigantische Rohstoffprobleme und Umweltschäden, gefährliche Abhängigkeiten, ein wachsendes Sicherheitsrisiko und sie destabilisiere die Stromnetze, behindere die Energiewende und sei in höchstem Maße unsozial.“ Das ist eine der Kernaussagen des offenen Briefes von 185 Wissenschaftlern an das EU-Parlament. Die Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Fachgebieten fordern die EU-Parlamentarier auf, am kommenden Dienstag gegen das faktische Verbrennerverbot zu stimmen.

(Bild: kmm)

Der vorliegende Entwurf, der die Emissionen von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen regeln soll, beruhe auf irreführenden Annahmen und falschen Berechnungen, stellt Prof. Dr. Thomas Willner, einer der Mitinitiatoren der Aktion, fest. Der Hamburger Verfahrensentwickler betont in einem aktuellen Statement zu dem offenen Brief: „Aufgabe der Politik ist es, Ziele zu setzen und für deren Erfüllung einen technologieoffenen Wettbewerb um die besten Lösungsansätze anzuregen.“ Was der europäischen Wirtschaft zu ihrer heutigen Stärke verholfen habe, werde jetzt durch die einseitige Fokussierung auf die E-Mobilität, die nicht der Physik, sondern ideologischen Annahmen folge, leichtfertig aufs Spiel gesetzt, mahnt Willner.

Als Beispiel und Beweis für die ideologische statt logische Basis nennt der Hamburger „die seitens der Wissenschaft mannigfaltig als falsch entlarvten Bemessungen des CO2-Fußabdrucks von batterieelektrischen Fahrzeugen“. Offiziell werde nur der reguläre Strommix als Berechnungsgrundlage herangezogen. Korrekt sei aber die Berücksichtigung des fossilen Marginalstroms im Ladestrom. Dabei zeige sich, dass der tatsächliche CO2-Fußabdruck des Ladestroms wesentlich höher als der offiziell veranschlagte sei. Die falsche Bewertung der E-Mobilität gipfele in einer mehrfachen Anrechnung des vermeintlich „grünen“ Ladestroms auf die Klimabilanz.

Synthetische Kraftstoffe unverzichtbar
„Im Jahr 2030 wird sich wohl leider zeigen, dass der Klimaschutz so auf der Strecke bleibt,“ mahnt auch der Biotechnologe Prof. Dr. Matthias Brunner aus Saarbrücken. Die angestrebte CO2-Reduktion im Verkehrssektor von 55 Prozent könne nur im Verbund mit einer Defossilisierung des sehr großen vorhandenen Fahrzeugbestands erreicht werden. Dafür seien nachhaltige Biokraftstoffe sowie abfallbasierte synthetische Kraftstoffe und e-Fuels einschließlich der gasförmigen Varianten wie Methan, Wasserstoff und anderen unverzichtbar.

Diese sind vielfach schon heute am Markt, wie das Beispiel des bis zu 90 Prozent klimaneutralen Dieselersatz-Treibstoffs HVO (Hydrierte Pflanzenöle oder Hydrogenated Vegetable Oils) zeigt. Dank seiner günstigen Energiebilanz ist dieser Kraftstoff auch in unseren Breiten herstellbar - und mit einem Anteil von 33 bis 100 Prozent im Dieselkraftstoff bereits an mehr als 7700 Tankstellen in Europa erhältlich.

Schlechter e-Fuel-Wirkungsgrad spielt keine Rolle
„Solche abfall- und reststoffbasierten Kraftstoffe werden im Verbund mit e-Fuels in acht Jahren in großen Mengen verfügbar sein“, prognostiziert Willner. Bis dahin werde auch die überflüssige Diskussion um den hohen Energiebedarf der e-Fuel-Herstellung längst ein Ende gefunden haben. Zum einen benötigten abfallbasierte e-Fuels deutlich weniger Strom pro km Fahrstrecke als durchschnittliche rein elektrische Autos, zum anderen würden reine e-Fuels dann in wind- und sonnenreichen Regionen produziert, wodurch der Energiebedarf dank überschüssiger Ressourcen keine Rolle spiele.

Synthetische Kraftstoffe verbrennen sehr sauber und verbessern damit die Klima- und Umweltbilanz in der gesamten Flotte einschließlich alter Fahrzeuge sofort nachhaltig. „Den Verbrennungsmotor zu verteufeln ist vor diesem Hintergrund ebenso abwegig wie die Unterstellung, wer im Interesse einer vernünftigen Transformation für einen ausgewogenen Verkehrsmix plädiere, sei gegen E-Mobilität und verweigere sich dem Fortschritt“, konstatieren beide Wissenschaftler.

Klimaschutz und Energiewende brauchten dringend Technologievielfalt, um gefährliche Abhängigkeiten zu vermeiden, die Widerstandsfähigkeit gegenüber unvorhersehbaren Krisen zu erhöhen und allen Technologien im Wettbewerb um die besten Lösungen eine Chance zu geben.

Dialog statt Vorschriften
Der Politik empfehlen die Unterzeichner des Briefes an das EU-Parlaments, den Dialog mit der Wissenschaft zu suchen, anstatt technische Lösungsansätze vorzuschreiben. „Für die Politik ist die Einschätzung, welche Innovationen in welchem Technologiefeld mit welchem Leistungspotenzial in der Zukunft kommen werden, ein schwieriges Unterfangen. Verbote ersticken Innovationen und berauben uns wertvoller Handlungsoptionen“, appellieren die Wissenschaftler an die EU-Parlamentarier.

Verbrennerverbot „strategischer Fehler“
Ein Verbrennerverbot und die damit verbundene Fokussierung auf Elektromobilität wären ein schwerwiegender strategischer Fehler, dessen Tragweite angesichts der damit einhergehenden Risiken, Schäden und Probleme dem europäischen Parlament hoffentlich bewusst sei. Kein anderer Kontinent sei im Begriff, diesen Fehler der einseitigen Elektrifizierung der Sektoren Energie, Wärme und Transport zu begehen. Außerhalb Europas habe man längst erkannt, dass eine einseitige Elektrifizierung nichts fürs Klima bringe, gigantische Rohstoffprobleme und Umweltschäden herbeiführe, gefährliche Abhängigkeiten schaffe, ein wachsendes Sicherheitsrisiko darstelle, die Stromnetze destabilisiere, die Energiewende behindere und in höchstem Maße unsozial sei.

„Wer falsch rechnet, den bestraft das Klima“
„Alle genannten Risiken und Folgen sind wissenschaftlich belegt und den EU-Gremien gegenüber dokumentiert,“ stellt Willner fest und weist darauf hin, dass auch die G7-Minister für Klima, Energie und Umwelt in ihrem aktuellen Kommuniqué vom 27. Mai 2022 die von der Wissenschafts-Initiative aufgeführten Risiken unbedingt vermeiden wollen.

Über die Unterzeichner
Bereits im April hatte es einen ersten offenen Brief an das EU-Parlament gegeben. Die 185 Unterzeichner des aktuellen Briefs kommen ebenfalls aus unterschiedlichsten Wissenschaftsbereichen von Ingenieurwissenschaften wie z. B. Verfahrenstechnik, Biotechnologie, Maschinenbau, Fahrzeug- und Antriebstechnik, Luftfahrttechnik, Energietechnik und Elektrotechnik über reine Naturwissenschaften wie Mathematik, Physik, Chemie und Biologie bis hin zu angewandten Naturwissenschaften wie z. B. Thermodynamik, Wirtschaftswissenschaften, Informatik, Agrar-, Forst- und Umweltwissenschaften sowie Atmosphärenchemie und Klimaforschung. Bemerkenswert ist, dass auch Forscher und Entwickler der Elektromobilität dabei sind.

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