Marcus Nigsch:

„Glück ist eine Entscheidungssache“

Vorarlberg
24.04.2022 09:00

In seiner Reihe „Hier war ich glücklich“ begleitet Robert Schneider Menschen aus Vorarlberg an die Lieblingsplätze ihrer Kindheit. In Frastanz hat er jüngst den Komponisten Marcus Nigsch getroffen.

Ein gebückter Herr, kahl geschoren, in weinroter, tibetischer Mönchsrobe, läuft in Sandalen über die Löwenzahnwiese. Der kleine, weiße Stupa auf der Anhöhe mit seiner vergoldeten Spitze blendet fast die Augen. Ein sanfter, noch kühler Ostwind kämmt durch das junge Gras der Lichtung. Es herrscht vollendete Ruhe. Was mir an diesem Ort sofort auffällt: Jeder, der an mir vorbeigeht, grüßt freundlich. Hier, beim buddhistischen Kloster „Letzehof“ in Frastanz, treffe ich meinen Freund, den Komponisten Marcus Nigsch, ehemals „Marque“. Die Anhöhe war der Platz seiner Kindheit, noch lange, bevor es das Kloster überhaupt gab.

Robert Schneider: Wie hast Du diesen Ort gefunden?
Marcus Nigsch: Das war in der Volksschulzeit. Ich habe die Nadja hier heraufbegleitet, die wohnte dort hinten. Da kamen wir an diesem Platz vorbei, und ich dachte, das ist ja wie ein Zimmer. Das Wäldchen sind die Wände. Als Kind habe ich mit anderen Kindern oft hier oben gespielt. Deshalb wurde der Platz noch nicht unbedingt wichtig für mich. Das kam erst viel später, dieses Gefühl, hier ist alles gut. Solche Plätze gab es einige in meinem Leben. Zum Beispiel die Kapelle im Marianum in Bregenz. Das war auch so ein Ort. Dort verbrachte ich als Zögling oft ganze Nächte, weil ich so Heimweh hatte. Der Satz „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen“ stimmte aber nicht. Es war stockdunkel. Nur das Ewige Lichtlein flackerte. Dennoch war es ein guter Ort. Ich will das auch gar nicht erklären oder entmystifizieren.

Schneider: Was bedeutet für Dich Glück?
Nigsch: Glück hat viele Gesichter für mich. Oft war das Glück wie ein flüchtiger Gast in meinem Haus. Ich habe ihn erst bemerkt, als er weg war. Glück ist eine Entscheidung. Dass ich mich nämlich an dem freue, was ich habe, und dass ich es nicht immer mit etwas in Verbindung bringe, was ich gerne hätte. Oder anders gesagt: Je weniger Ego, je mehr ich mich annehmen kann, desto größer das Glück, die Zufriedenheit. Das habe ich in der Corona-Zeit oft zu meiner Frau gesagt: Lass uns einfach auf die Terrasse sitzen und innehalten, wie schön es ist. Wir sind gesund, unsere Eltern sind gesund, usw.. Heute ist der Moment, wo es uns so gut geht. Eigentlich müssten wir ein Freudenfest machen. Man springt immer zum Herrgott, wenn es irgendwo klemmt. Man könnte auch einfach mal nur „Du, danke!“ sagen. Dankbarkeit ist eine konstruktive Energie und eben auch eine Form des Glücks.

Schneider: Warst Du als Kind mehr der Anführer oder doch eher zurückgezogen?
Nigsch: Ich hatte wohl mehr die Neigung zum Macher. Habe mich dadurch natürlich schwer getan, weil ich anders gedacht habe, missverstanden wurde. Ich war nämlich fast plakativ stolz auf Dinge, die ich konnte, die ich mir selbst beigebracht habe. Das mögen die Leute nicht so gern. So wurde ich ein Einzelgänger, schon zu Internatszeiten. Dort, im Musikzimmer, habe ich mich dann völlig verloren. Da war nämlich nie jemand. Die Instrumente lagen herum. Ich habe mir selbst Schlagzeug beigebracht, Gitarre, Klavier. Bis man mir den Schlüssel weggenommen hat, weil die schulischen Leistungen zu wünschen übrig ließen. Aber das hat auch nicht gefruchtet. Ich wollte Musik machen, nicht die lateinische Strafe ... ein Freud’scher! ... die lateinische Sprache lernen.

Schneider: Erzähle mir von Deinen Eltern.
Nigsch: Die ersten Jahre meines Lebens war ich bei meiner Oma. Sie starb, als ich drei war. Das war vermutlich der eigentliche Verlust meiner Mutter. Ein Vater war nicht da. Meine Mama arbeitete den ganzen Tag. Sie war Sekretärin in Liechtenstein, später im Landhaus in Bregenz. Ich bin bei der Familie meines Onkels aufgewachsen, der drei Söhne hat, die für mich emotional wie Brüder sind. Mit dreißig habe ich mich auf die Suche nach meinem Vater begeben. Ich habe ihn gefunden und kennengelernt. Wir haben ein Gespräch geführt. Dann war es für mich erledigt, ad acta. Es ging mir danach nicht gut, aber ich war froh, dass ich ihn aufgesucht hatte, nach dem Motto: Jetzt können wir alle in Frieden sterben, das ist okay für mich.

Schneider: Wann verliert so ein Ort die Wichtigkeit?
Nigsch: Dadurch, dass ich 21 Jahre im Ausland gelebt habe, ging ich zwangsläufig nicht mehr oft auf die Letze. Aber weil meine Mama ja hier lebt, kam ich oft ins Ländle zurück, und auch gern. Wir hängen sehr aneinander. Sie ist 89. Unsere Beziehung war nicht immer einfach. Auch im Erfolg, wenn sie gefragt hat: Du, wann kommt wieder was? Vielleicht kommt nichts mehr, habe ich geantwortet. Ich bin dein Kind, und das muss reichen. Heute habe ich eine große Freude daran, dass mein Sohn in denselben Kindergarten geht, in dem ich schon war, in derselben Straße Radfahren lernen und auf dieselbe Volksschule gehen wird. Wir haben vor vier Jahren in Feldkirch gebaut. Dort habe ich auch mein Tonstudio. Jetzt komme ich wieder - wie früher - mit dem Fahrrad oder mit meinen Hunden die Duxgasse herauf auf die Letze.

Schneider: Was gibt Dir Trost in Krisen?
Nigsch: Wenn Menschen um mich sind, die mir nichts ersparen, mich nicht schlampig werden lassen, oder einfach nur sagen: Marcus, du musst gar nichts. Es ist alles gut.

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