Expertin im Interview

Warum der Herdenschutzhund-Trend problematisch ist

Tierecke
21.10.2021 11:11

Der Fall eines fünfjährigen Sarplaninacs aus Wien, der zugebissen hatte und dann wie durch ein Wunder einen Einschläferungsversuch überlebte, schlug hohe Wellen. Gerettet wurde er durch Sissy Lippitz, die seit 20 Jahren speziell Herdenschutzhunde betreut und eine Notstelle in Wolfsberg führt. Rassen wie Kangal, Kaukasische Owtscharka und Sarplaninac sind leider in jüngster Zeit in Mode gekommen, haben aber in unserer Gesellschaft eigentlich nichts zu suchen. Die Expertin erklärt, warum das so ist.

„Krone“: Warum sind Herdenschutzhunde so populär geworden?
Sissy Lippitz: Es besteht der Wunsch nach einem Beschützer, einem treuen Freund und dazu der Reiz des Exotischen, der Größe, der machtvollen Ausstrahlung. Dazu kommen Medien, die in reißerischen Berichten den Wolf anprangern und den Herdenschutzhund als ‘eierlegende Wollmilchsau‘ darstellen, die alle Probleme löst. Zum anderen wird die Haltung von Listenhunden in Österreich zunehmend erschwert und es wird eine Alternative gesucht.

Wer eignet sich, diese Rassen zu halten, was muss erfüllt sein?
Menschen mit der Möglichkeit, ihr Leben so zu gestalten, dass diese Hunde, die sich gegenüber Fremden eher reserviert zeigen, ihren Rückzugsort haben. Personen, die ganz klar verstehen, dass Herdenschutzhunde einen größeren Individualabstand brauchen. Und auch, dass diese Rassen sehr oft ‘Einmannhunde‘ sind. Aber jetzt kommt der wichtigste Punkt: Wer sich die Frage ‘Warum will ich einen Herdenschutzhund haben?‘ ehrlich beantworten kann und dabei den Fokus rein auf die Bedürfnisse des Vierbeiners legt, wird sich selbst eingestehen, dass es unter den vielen Rassen weitaus geeignetere gibt, als genau Herdenschutzhunde.

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Die Dunkelziffer bei Einschläferungen ist sehr hoch.

Sissy Lippitz, Obfrau "Secure Base"

Was sind häufige Probleme, die auftreten?
Blitzschnelles Umschalten aus ruhigem, vermeintlich gechilltem Verhalten in eine höchste Alarmbereitschaft, mit für Laien kaum ersichtlichen Vorzeichen. Bellverhalten bei Gefahr, territorial motivierte Angriffsbereitschaft - gepaart mit einer Wohnungshaltung im 8. Stock mitten in Wien - was denken Sie, welche Problematik daraus entstehen wird? Oder stellen Sie sich diesen Hund in einer Hundeschule vor… Die Dunkelziffer bei Einschläferungen ist sehr hoch.

Was passiert mit den Hunden, die abgegeben werden, üblicherweise?
Die Anzahl der Herdenschutzhunde in Tierheimen steigt dramatisch. Dadurch kommt es unumgänglich zu einer großen Gefährdung von Mitarbeitern, Pflegern und Tierärzten. Wer das Wesen eines Herdenschutzhundes versteht, weiß, was es für sie bedeutet, eingesperrt zu werden. In der Regel werden die herausfordernden Hunde einige Male fehlvermittelt, durch unpassendes Training in ihren Verhaltensweisen verstärkt und landen dann schlichtweg entweder in isolierter Sicherheitsverwahrung oder verschwinden still und leise.

Welche Regelungen würden Sie sich wünschen?
Eine Lobby für jene Herdenschutzhunde, die schon hier sind und die ‘nicht funktionieren‘. Finanzielle Hilfestellung bei der Betreuung dieser Rassen sowie dringende Schulung und Fortbildung für Tierheimmitarbeiter. Die Einfuhr von bestimmten Herdenschutzhunderassen sollte eingeschränkt werden, und es braucht individuelle Haltungsgenehmigungen, ein Haltungsverbot in Wohnungen oder urbanen Gebieten und strenge Zuchtauflagen, sowie hohe Strafen für sogenannten Hobbyzüchter.

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