„Krone“-Interview

Chris Eckman: „Meine Songs haben alle eine Farbe“

Musik
09.08.2021 06:00

Mit den Walkabouts, als Produzent und Kreativkünstler in unterschiedlichsten Sphären wurde Chris Eckman ab Mitte der 80er-Jahre von Seattle bis nach Slowenien zu einer alternativen Underground-Legende. Auf seinem neuen Album „Where The Spirit Rests“ verbindet er düstere Melancholie mit dem Erzählen packender Geschichten - und im Interview blickt er auch auf die Mythologie der Seattle-Grunge-Explosion in den 90er-Jahren zurück.

(Bild: kmm)

Behände schmiegt sich der Nebel über eine Gebirgslandschaft, deren Schneezunge bis an den Boden reicht. Die Tannenwipfel biegen sich von der Geschwindigkeit des Windes. Das naturbelassene Szenario auf dem Album-Cover kann als Metapher für die Zerbrechlichkeit und Unsicherheit der Gegenwart gesehen werden - oder schlichtweg als Verbildlichung für die zerbrechlichen Songs des seit vielen Jahren in Slowenien wohnhaften US-Amerikaners Chris Eckman, der es seit Mitte der 80er-Jahre schafft, Gefühl, Kompetenz, Verletzlichkeit und eine Prise Hoffnung in lyrischen Geschichten mit poetischer Instrumentierung zu vereinen. „Where The Spirit Rests“ ist das fünfte Soloalbum und hätte viel besser in den Spätherbst gepasst, als inmitten der kontinentalen Hitzewellen, die einem die Konzentration für den dringend notwendigen, sanften Hörgenuss des Albums raubt. Eckman sucht sein klangliches Heil seit jeher in der Melancholie. Die neuen Songs strotzen nur so vor Verlust, Desorientierung, Wiedergutmachung und der Suche nach Heimat. Die Heimat ist dort, wo liebende Menschen sind und nicht wo das Schicksal einen ausgespien hat. Das weiß Eckman nur zu gut.

Suchend und kreativ
„Ich habe hier die dunkelsten Songs meines Lebens geschrieben“, verrät er der „Krone“ im Interview, „man braucht nur die Nachrichten einzuschalten oder die Zeitung aufzuschlagen und wir sehen, dass die Welt auf der Kippe steht. Meine Songs sollten trotz der melancholischen Grundstimmung aber dazu dienen, die Menschen durch diese unsichere Welt zu navigieren. Wir brauchen mehr Luft um zu atmen und die Kultur kann sie dir geben. Wir können gewisse Strukturen auf dieser Welt nicht ändern, aber durch eine Form von Gemeinschaft eine andere Stimmung kriegen. Die Leute müssen sich mit Songs identifizieren können und spüren, dass sie verstanden werden.“ Lieder wie „Early Snow“, „Northern Lights“ oder „Drinking In America“ suchen nach Trost und Wärme. Sie können einen Hörer in einen warmen Kokon hüllen, stellen aber auch gleichzeitig Fragen und werfen Thesen auf. Eckman verwandelt persönliche Kurzgeschichten zu allgemeinen, bildhaften Texten. Ein Suchender und Kreativer mit dem immanenten Trieb zur künstlerischen Entfaltung.

Eckman begann seine Karriere mit den Walkabouts schon vor der großen Grunge-Welle in Seattle. Er versuchte sich über all die Jahre in unterschiedlichsten Bereichen vom Alternative Country, über Folkmusik, dem portugiesischen Fado bis hin zur Umsetzung slowenischer Lyrics. Er führt ein Label, produziert, tourt und hat sich in unzähligen Projekten ausgetobt, deren kleinster gemeinsamer Nenner stets die Grenzenlosigkeit war - im musikalischen, wie auch geografischen Sinne. „Ich habe lange gedacht, dass ich stärker mit meiner alten Heimat Seattle verbunden wäre, als es in der Realität der Fall war“, sinniert er über das Gefühl des Zuhauseseins, „ich bin und bleibe für immer Amerikaner, diese Haut kann ich mir ohnehin nie abziehen. Seattle war schon immer progressiver als die anderen Städte Amerikas und der Großteil meiner Familie und meiner alten Freunde lebt dort. Aber ich sehe auch, wie sich die Leute dort entwurzeln, wie das Land sich spaltet. Die Fronten verhärten sich in jeder Diskussion und ich vermisse es, dass man früher über alles diskutieren konnte. Das ist freilich kein reines US-Phänomen, es passiert genauso in Slowenien, Kroatien oder Österreich.“

Hilfe von außen
Die Geschichten auf seinem neuen Album bezeichnet Eckman als Dialoge zwischen einer Person und ihrer Außenwelt, die an die engstirnigen Monologe des irischen Schriftstellers Samuel Beckett erinnern sollen. „Ich wollte es so authentisch wie möglich halten, mit Dreck unter den Fingernägeln.“ Trotz seiner jahrelangen Erfahrung hat Eckman auf „When The Spirit Rests“ darauf verzichtet, alles selbst aufzunehmen, sondern den ebenso in Slowenien wohnhaften Alastair McNeill dafür herangezogen. Erst als die zarten, zerbrechlichen und filigranen Basic Tracks eingespielt waren merkte Eckman, dass die Kompositionen noch etwas Würze von außen vertragen würden und holte sich unterschiedliche Künstlerinnen wie Country-Pionier Chuck Johnson, seinen alten Kumpel John Hyde, Violinistin Catherine Graindorge oder Keyboarder Chris Cacavas ins Boot. „Ich bekam alle Songs innerhalb von vier bis fünf Tagen zurück und musste nicht eine Note ändern. Sie ergänzten die Tracks einfach perfekt.“ So war es Eckman trotz der Schwierigkeiten mit der Pandemie möglich, ein intimes, ehrliches und ganz und gar greifbar fühlendes Album einzuspielen.

Dass Eckman trotz seines bunten Lebenslaufs nie den ganz großen Durchbruch geschafft hat, sieht er alles andere als einen Nachteil. „Als wir jung waren, waren die meisten von uns Metalheads. Wir haben einfach experimentiert, aber auch wenn Seattle voller großer Musiker war, herrschte kein Wettbewerbsgedanke. Ich habe mein ganzes Leben lang viel Unterschiedliches gemacht und weiß, was mir die Walkabouts ermöglicht haben. Wären wir in den 90er-Jahren so explodiert wie viele Grunge-Bands aus meiner alten Heimat, wären wir spätestens rund ums Millennium verpufft. So haben wir einfach immer kontinuierlich dahingearbeitet. Jeder hatte Zeit für seine Projekte und dazwischen haben wir uns immer wieder mal gefunden und Platten aufgenommen. Das ist für mich auch heute noch die beste Lösung. Ich möchte jetzt während Covid nicht Teil der Walkabouts sein und auf 120 abgesagten Konzerten festsitzen müssen.“ Finanziell lukrative Reunion-Festivalshows, wie sie längst Usus sind, sieht Eckman kritisch. „Nur für das Geld würde das keinen Sinn machen. Ich habe das bei den Pixies und den Velvet-Underground-Shows mit Lou Reed in den 90ern gesehen. Die hassten sich und waren auf der Bühne gelangweilt. Einfach furchtbar.“

Marketing-Coup
Auch für die retrospektive Kult-Verklärung Seattles und der Grunge-Welle hat Eckman nur ein Schmunzeln übrig. „Das Märchen wurde ja von Sub Pop selbst in die Welt gesetzt. Die Dinge waren schon anfangs nicht ganz korrekt und dann rechne noch 30 Jahre Stille Post dazu“, lacht der Künstler. „Die Bands klangen damals alle völlig anders, aber Sub Pop hat sie perfekt in einem Genre vermarktet. Das Label hat ganz ohne Budget eine Szene kreiert, die es eigentlich gar nicht gab und die vor dem Internetzeitalter per Mundpropaganda weitergetragen wurde - und zwar in die ganze Welt hinaus. Seattle hatte damals einen Gothic-Chic, über den heute keiner mehr redet. The Cure oder Joy Division waren extrem populär. Die Kids aus den Vororten hörten Metal, die Städter selbst hatten damit wenig Berührungspunkte. Die Grunge-Szene besteht aus sehr viel Mythologie, aber es hat auch einen Grund, warum sie die Menschen noch heute so lieben. Nirvana sprechen 16-Jährige an, die nicht wissen, wo sie im Leben hinwollen. Das hat keine Band so gut geschafft wie sie. Bands wie Pearl Jam und Nirvana waren irgendwann dazu gezwungen, sich für den Underground-Keller zu entscheiden oder große Stadien zu bespielen. Eddie Vedder konnte damit umgehen, Kurt Cobain nicht. Man kann seinen Selbstmord nicht der Musikindustrie umhängen, aber diese innere Zerrissenheit war gewiss ein großes Problem.“

Eckman wird, unabhängig von Erwartungshaltungen von außen, auch weiterhin so bunt wie möglich unterwegs sein, um seine kreative Ader bestmöglich zu befriedigen. „Auch wenn mein Sound zwischen den USA, Slowenien, Portugal, Westafrika oder der Türkei anders klingt, gibt es immer ein gewisses Schema. Es gibt Menschen, die malen gerne in hellem Rot oder in dunklem Blau. Meine Songs haben alle eine Farbe. Von den Walkabouts aus fühlte ich mich immer wie in einer Steinschleuder, aus der in allen Richtungen geschossen wurde. Mir war immer wichtig authentisch und nicht dilettantisch zu sein. Ich wollte immer Dinge machen, von denen ich im Vorfeld keine Ahnung hatte und nicht solche, in denen ich sowieso schon firm bin.“ Auch der 2020 begangene 60. Geburtstag wirft Eckman nicht aus den Schuhen. „Eine Zahl, die nichts weiter bedeutet. Ich fühle mich aber schon seit mehr als zwei Jahren seltsam, die große Depression gab es offenbar bereits davor. Ich kann heute tun, was ich tun will. Mit den Leuten, die ich schätze und mag. Die Welt besteht schon aus genug Drama, da brauche ich nicht auch noch das persönliche dazu.“

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele