„Krone“-Interview

Bernhard Eder: „Ein absolutes Ausnahmealbum“

Musik
01.06.2021 08:00

Fernab des großen Mainstreams sorgt Bernhard Eder seit Jahren für eine besonders nachhaltige Farbe im heimischen Singer/Songwriter-Zirkus. Nach einem Ausflug in die Elektronik ging der Künstler während der Corona-Lockdowns zurück zu seinen Wurzeln und stapfte aus dem Nichts das Album „Subterranean Echoes“ heraus. Dringlich, verspielt, imperfekt und melancholisch fängt Eder darin seine Gefühle zu den Themen Isolation und Räumlichkeit ein, was sich zu einem kongruenten Klangerlebnis formt. Am 2. Juni spielt er im Wiener Haus der Musik und wir haben ihn zum Gespräch gebeten.

(Bild: kmm)

„Krone“: Bernhard, „Subterranean Echoes“ ist im Prinzip ein Corona-Album, das du nicht als Corona-Album gelten lassen willst.
Bernhard Eder: Ich mag den Begriff „Corona-Album“ nicht. Niemand will mehr davon hören oder lesen, es reicht einfach allen. Das Album entstand während der Lockdowns und es existiert nur, weil es Lockdowns gab. Ansonsten würde es maximal eine EP geben.

An den Songs hast du ganz anders gearbeitet, als man es sonst von dir gewohnt ist...
Ich habe angefangen, auf meinen alten Festplatten nach Musikleichen im Keller zu suchen. (lacht) In erster Linie, weil ich zur Beschäftigung einen musikalischen Adventkalender machte. Ich habe jeden Tag einen unveröffentlichten Song hochgeladen und eine Geschichte dazugeschrieben. Es war gar nicht so leicht, Unveröffentlichtes zu finden, aber ich hatte dann, als ich solche Songs fand, einige Aha-Momente. Als ich sie für den Adventkalender in eine schöne Demoform verpackte kam mir Gedanke, mehr daraus zu machen. Zur Hälfte besteht das Album aus alten Ideen, zur Hälfte aus neuen Songs.

Der erste Lockdown im Frühling 2020 mäanderte zwischen Romantik und Angst. Wie war für dich das Arbeiten anfangs in der Isolation?
Es war schwierig, ins Musikmachen zu kommen. Ich hatte viel Zeit zum Musik konsumieren und zum Lesen und habe dann am „Earth Day“ im April das Licht ausgeschalten und die Gitarre in die Hand genommen. Da kam mir dann gleich ein Song, den ich als Demo aufnahm und den Leuten schenkte. So fing alles an und plötzlich waren Gitarrensongs da, die lange liegengeblieben und dann im Winter irgendwann zum Album wurden. Der musikalische und textliche Faden sind einigermaßen homogen zueinander.

Spielt der Albumtitel „Subterranean Echoes“ das Leben wider, das du während des Lockdowns erlebt hast?
Ja, es ist aber eher eine Wiederspiegelung der Zeit an sich. Jetzt, wo das Album da ist, passt alles zusammen. „Subterranean“ steht mitunter für „im stillen Kämmerlein arbeiten“ und das Wort an sich steckt im Opener „Dmaj Song“ und sieht extrem gut aus. Ich wollte dann unbedingt ein weiteres Wort dazu kombinieren. Ganz kurz war es „Subterranean Lovesick Blues“, aber dann merkte ich, da war doch was mit Bob Dylan und so blieb das nur als Songtitel. (lacht) Ich fand es schön, aus „Homesick Blues“ einen „Lovesick Blues“ zu machen. Der Schlüsseltrack ist der „Dmaj Song“. Da war klar, dass ich ein Album daraus machen würde.

Was kurios ist, denn der „Dmaj Song“ wurde ursprünglich für ein Theaterstück und die Rolle der schottischen Königin Maria Stuart geschrieben.
Manchmal funktioniert die Musik magisch. Den Song habe ich für die Schauspielerin und meine Kollegin Petra Staduan geschrieben, die die Rolle von Maria Stuart bekleidete. Ich habe einen Song geschrieben, in dem wir beide gut harmonieren können. Ich begann zu texten, erstellte ein Demo, das sehr gut klang, und dann zündete es. Ich habe alleine gearbeitet, alles selbst aufgenommen und experimentiert - es war einfach programmatisch für die Art und Weise, wie das ganze Album entstand.

Hattest du beim Songwriting und beim Komponieren ein Gefühl der Ohnmacht oder der Hoffnung?
Der erste Lockdown war wirklich tricky. Ich wusste nicht, was los ist und was kommt und ob ich meinen Job überhaupt weiter ausführen könnte. Dann kam das Problem mit den Zahlungen, weil ich anfangs komplett aus allen Förderrastern rausfiel. Die AKM hat mich zwei Monate durchgerettet und irgendwann wurde die Lage besser. Wir konnten natürlich keine Tour buchen, haben aber schnell gehandelt und ich habe zwischen den beiden Lockdowns 20 Konzerte gespielt. Im Prinzip also alles rausgeholt, was irgendwie ging. Ich habe im Salzburger Rockhouse sogar im großen Saal gespielt, denn durch die Bestuhlung und das Fehlen der Top-Stars war das möglich. Derzeit bin ich völlig ausgelastet. Von Mitte Februar bis Anfang Mai hatte ich immer den ganzen Tag zu tun. Mir fiel der letzte Lockdown gar nicht mehr so auf.

Wie die Lage ökonomisch für Künstler war, wissen wir leider alle. Aber wie ging es dir kreativ damit?
Ich bin ein Mensch, der Deadlines braucht. Ich bin manchmal zu faul, um meine Instrumente zu ordnen. Meine ganzen Synthesizer habe ich erst gar nicht verkabelt. Also machte ich lieber nichts, weil ich sonst eh immer was zu tun hatte. Wenn ich aber an einem Projekt arbeite, dann bin ich voll drin. Dann höre ich gar nicht mehr auf. Das war der Grund, warum das Album entstand. Ich gehe von einem Instrument zum nächsten und arbeite so lange, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden bin.

Den Beatles-Touch im „Dmaj Song“ haben schon andere entdeckt. Ansonsten ist die Platte sehr melancholisch ausgefallen.
Ja, vor allem am Schluss hört man „Dear Prudence“ gut raus. (lacht) Ich wollte bewusst die trübe Stimmung einfangen, denn so fühlte ich mich selbst. Das Album war noch reduzierter geplant, wurde dann aber durch die Produktion und diverse Beifügungen opulenter. Da kam dann eine Schicht nach der anderen dazu. Ich liebe es Klangkörper zu erschaffen und in die Breite zu gehen. Ich arbeite sehr viel mit Kopfhörern und es ist schön, wenn in mir das Klangpanorama aufgeht.

Das Vorgängeralbum „Reset“ war extrem elektronisch und ganz anders als alles davor, „Subterranean Echoes“ geht doch wieder mehr zu deinen Wurzeln zurück. War die Abkehr von der Elektronik schon vor Covid geplant oder ergab sich das währenddessen?
„Reset“ war ein Album, das ich so nur einmal mache. Ich hatte keine Lust auf ein weiteres Gitarrenalbum. Mit der Entscheidung, so ein Album zu machen, habe ich angefangen zu suchen. Es gab schon noch Überbleibsel aus der „Reset“-Zeit, aber ich wollte das neue Album auf keinen Fall wiederholen. Ich habe mich zu Weihnachten entschlossen, „Subterranean Echoes“ zu machen, habe dann begonnen zu texten und über Ostern landete alles im Presswerk. So schnell habe ich noch nie ein Album gemacht. In derselben Zeit habe ich zwei Theaterstücke gemacht. 2021 habe ich bislang ordentlich genutzt. (lacht)

Du hast auf dem Album auch der Imperfektion Raum gegeben. Man hört das Knarzen der Dielen und andere Alltagsklänge. Eine bewusste Entscheidung?
Ich mag es, wenn die Musik atmen kann. Ich hasse glatte Populärmusik und verwende sehr gerne First Takes. Sobald ich etwas reproduziere, mache ich es mit dem Kopf und nicht mehr mit dem Bauch. Denn dann kann ich mich nicht mehr so vermitteln, wie ich möchte. Ich kann schon viel Gefühl reinhauen, aber es wird nie so wie beim ersten Mal. Andererseits waren einige Demos, mit denen ich arbeitete, sehr grob aufgenommen. Ohne Klick, manchmal über zwei Mikros, bei „Deprivation“ nur über eines. Es kam so aus mir raus und das wollte ich aufs Album bannen. Der Text dazu entstand direkt aus dem Zustand. Ich habe Gitarre gespielt und der Text ergab sich quasi beim Singen. Das war ein magischer Moment. Da kann es dann schon mal knarzen und quietschen. (lacht)

Welchen Entzug, angelehnt an „Deprivation“, hast du selbst am Ärgsten verspürt?
Menschen nicht mehr treffen und umarmen zu können war am Härtesten. Andererseits habe ich zehn Wochen lang keinen Schluck Alkohol getrunken, was mir sehr guttat. Wenn man keinen Kater hat, fällt man nicht so leicht in Depressionen. Auf der Bühne zu stehen und zu Konzerten zu gehen fehlte natürlich auch extrem. Es war ein Wechselbad der Gefühle. Im ersten Lockdown habe ich beim Spazierengehen auf der Wienzeile oft ewig lang kein Auto gesehen. Der Himmel war blau und völlig ohne Kondensstreifen und man hat gespürt, dass die Luft reiner war. Ich habe die Stadt beim Spazieren ganz anders kennengelernt. Ich ging in Hinterhöfe, in denen ich nie war und wenn ich mal zwei Stunden unterwegs war, um wen mit Abstand zu treffen, war das kein Problem.

War diese romantische Zeit inspirierend für das Songwriting?
Schon ein bisschen. Das kommt dann beim nächsten Album. (lacht) Zumindest ein Song geht in diese Richtung, aber wir werden sehen. Vielleicht ändere ich den Text wieder, weil sich in dem Jahr auch viel geändert hat. Vieles passiert unbewusst, das öffnet sich einem erst später. Ich habe viel gekocht und jeden zweiten Tag einen Apfelstrudel gemacht. Ich habe fotografiert und alle Single-Cover sind von mir. Ich zog eine Woche vor dem ersten Lockdown um und musste meine Wohnung beziehen. Ich bin vom Landestheater St. Pölten weggeschickt und direkt in eine Kartonflut geleitet worden, in der ich erst einmal einziehen musste. (lacht)

Hast du dich im letzten Jahr selbst anders oder besser kennengelernt?
Absolut. Ich bin ruhiger und gelassener geworden. Dadurch bin ich vielleicht auch für andere ein angenehmerer Mensch geworden. Das müssen andere beurteilen, aber ich kann mehr zuhören und nehme mir mehr Zeit. Leider bemerke ich, dass ich mit Fortdauer der Zeit wieder kürzer angebunden bin, weil der natürliche Stress wieder eintritt. In der Hektik des Alltags ist der Terminkalender wieder voll, man muss alles planen und ständig Dinge verschieben. Ich habe im letzten Jahr auch viel besser geschlafen. Die Tage waren ohne Druck, ohne Termine und große Checklisten. Das hat mir extrem gutgetan.

Viele Menschen fürchten sich vor leeren Terminkalendern und vor der Freizeit.
Ich hatte es extrem nötig. Anfang 2020 war ich schon ziemlich nahe an einer Art Burn-Out. Im Jänner 2020 habe ich Termine abgesagt und das „Melodica Festival“ in Wien abgegeben, weil es nicht mehr ging. Im Februar hatte ich noch eine Tour, aber eigentlich wollte ich im März wieder richtig durchstarten. Das kam dann eben anders. (lacht)

Der Song „Sleep Today“ spricht aber nicht auf dein gesünderes Schlafverhalten an…
Nein, hier geht es um die tragische Terrornacht von Wien am 2. November 2020. Ich habe den Text zum Teil am Tag danach geschrieben und wollte für den Titel eine Phrase aus dem Text holen, der nicht das große Drama widerspiegelt.

Es war die Nacht direkt vor dem nächsten großen Lockdown, der dann bis Mitte Mai dauerte. Man hatte das Gefühl, die Welt würde jetzt völlig untergehen.
Ich war in Oberösterreich bei meiner Mutter, die gerade im Krankenhaus war. Ich habe das Haus geputzt, gekocht und habe überall geholfen. Sie wurde dann früher heimgeschickt, weil sie von einer Zimmerkollegin K1 war. Sie wusste nicht, ob sie positiv ist und so musste ich sofort gehen, weil ich ja mein Leben in Wien habe und in Oberösterreich nicht in Quarantäne sein konnte. Für mich war es extrem schlimm, meine Mutter zurückzulassen, weil ich mich als Egoist fühlte. Es ging aber nicht anders. Als ich dann im Zug saß, kamen die Meldungen und keiner wusste, was los ist. Wie viele Terroristen sind es? Wie viele Opfer? Es gab ja auch zahlreiche Falschmeldungen. Ich bin dann in einer leeren U4 heimgefahren und war völlig hinüber. Ich habe die ganze Nacht die News gesehen und im Fünften bei mir die Hubschrauber und Polizeisirenen gehört.

Du hast in dieser Nacht somit eine persönliche und eine kollektive Tragödie miterlebt.
Meine Mama ist total fit, aber sie ist über 70 und war in der Risikogruppe. Ich hatte Angst um sie, ließ sie zurück und dann passierte in Wien noch der Terroranschlag. Eine Freundin, von der ich wusste, dass sie in der Innenstadt unterwegs war, hat lange nicht geantwortet. Ich war in der Nacht voller Sorge. Der Song ist auch eine gute Mischung aus Synthesizern und erdigerer Musik. Das ist einfach so passiert und er hat es so benötigt.

Auf dem Album findet sich zudem das Goldfrapp-Cover „Utopia“. Hast du es gewählt, um die Sehnsucht nach einem schöneren Utopia zu verstärken?
Es hängt damit zusammen, dass es auf dem Album gelandet ist, aber die Idee kommt nicht von mir, sondern von einem Regisseur. Er wollte ein Goldfrapp-Stück und eine Schauspielerin hat den Song gesungen. Ich habe ihn instrumental für den Adventkalender umgesetzt.

Das „Motel One“ ist ein fragwürdig schöner Zufluchtsort für Reisende aller Art. Welche Erlebnisse hast du damit gemacht?
(lacht) Für eine Theaterproduktion war ich in Berlin, wo ich früher mal zwei Jahre lebte, und die quartierten uns gegenüber dem Hauptbahnhof in einem „Motel One“ ein. Ich war quasi in meiner alten Heimatstadt, wo ich Freunde habe und dann in diesem seelenlosen Hotel. Drinnen war es saukalt, weil sie die Klimaanlage extrem runterdrehen und man sie nicht verändern kann, während es draußen gefühlt 40 Grad hatte. Das war im Sommer 2019. Ich musste dann beim Fenster stoßlüften, um die Raumtemperatur zu regulieren. Völlig absurd. Es ist die Absurdität eines Reisenden und Künstlers im Alltag. Egal in welcher Stadt und in welchem Land du bist, in deinem Hotel sieht es immer gleich aus. Abgesehen von den Bildern auf der Wand weißt du nicht, wo du bist.

Gibt es einen textlichen roten Faden, der sich kongruent durch die einzelnen Songs zieht?
Es geht eigentlich sehr stark um Räume. Physische und solche, die man seelisch hat. Die Songs handeln von Isolation und vom Warten. Es gibt keinen direkten roten Faden, aber die Lieder passen einfach perfekt zueinander.

Was bedeutet dir „Subterranean Echoes“ in deiner persönlichen Diskografie? Wo würdest du es selbst einordnen?
Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich habe gelernt, dass man in kürzester Zeit ohne großen Druck etwas erzeugen kann. Man kann in drei Monaten ein Album machen, das einfach gut ist und man kann sich trauen, Dinge einfach zu belassen und den Moment abzuwarten. Das hat mir hoffentlich für die Zukunft geholfen. Vor allem produktionstechnisch. Ich werde dadurch künftig nicht schneller arbeiten, aber es ist schon einfacher, sich kompakt auf ein Projekt zu konzentrieren. Normalerweise habe ich x Projekte und bin dauernd auf Tour, arbeite nebenbei eineinhalb Jahre auf ein Album hin. „Subterranean Echoes“ ist ein Ausnahmealbum, das in einer Ausnahmesituation entstand. Die muss ich so nicht mehr erleben.

Worauf darf man sich bei deinem Auftritt am 2. Juni im Wiener Haus der Musik freuen?
Ich werde das Album nicht durchspielen, weil wir in einer kleineren Besetzung auftreten. Der Großteil der Songs kommt ohne Schlagzeug aus, also ist das auch live so. Ein Song wie „Subterranean Lovesick Blues“ wird dann nicht vorkommen, weil der von den Drums lebt. Der kommt dran, wenn ich mit großer Band spiele. Im Haus der Musik dabei sind Petra Staduan und mein Leipziger Freund Peter Piek. Er arbeitet viel mit Synthies und E-Gitarren. Im Sommer gibt es auch Termine, aber zum Buchen einer Tour ist die Lage vorerst noch zu schwierig.

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