Katias Kolumne

Liebe Austro-Türken – warum wählt ihr Erdogan?

Österreich
27.06.2018 11:47

72 Prozent - fast drei Viertel: So viele der in Österreich lebenden türkischen Wähler haben also Recep Tayyip Erdogan gewählt. Ein sattes Ergebnis, auch wenn man bedenkt, dass von den rund 100.000 wahlberechtigten Türken nur in etwa die Hälfte Erdogans Aufruf gefolgt ist, bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen seine Stimme abzugeben. Erdogan scheint somit bei der hiesigen Wählerschaft beliebter zu sein als in der Türkei selbst, dort kam er nämlich „nur“ auf 52,5 Prozent der Stimmen. Es stellt sich die Frage: Was ist los mit den Austro-Türken?

In der Nacht auf Montag feierten Erdogan-Anhänger den erneuten Doppel-Wahlsieg mit Hupkonzerten, Jubelparolen und wehenden Fahnen. Und der war deswegen so wichtig, weil nun dem neuen, alten Präsidenten durch das Wirksamwerden des Präsidialsystems noch mehr Macht zuteilwird. Erdogan füllt ab jetzt alleine die Funktionen des Staats-, Partei- und Regierungschefs, das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft, er kann unter anderem fortan per Dekret regieren oder auch das Parlament auflösen. Eine „Ein-Mann-Herrschaft“, vor der die Opposition im Vorfeld eindringlich gewarnt hat.

Krasser Widerspruch: Freiheit genießen, autokratisches System wählen
Eine auf nur eine Person gebündelte Machtfülle, die hierzulande schier undenkbar wäre - zum Glück. Umso erstaunlicher ist die anhaltende große Beliebtheit des streitbaren Präsidenten Erdogan und seines autokratischen Regierungsstils, die er in einem stark westlich geprägten Land wie Österreich genießt - ein Phänomen, das sich auch schon beim Verfassungsreferendum im Vorjahr beobachten ließ.

Fast 40.000 Erdogan-Anhänger leben in Österreich, genießen alle Vorteile eines demokratischen, liberalen und freien Wohlfahrtsstaates und wählen aus der Ferne ein antidemokratisches Regime, dessen Spitze von diktatorischen Machtstrukturen träumt, konsequent einen antieuropäischen Kurs fährt, die Presse- und Meinungsfreiheit mit Füßen tritt und Kritiker einsperren lässt. Ein schier unverständlicher Widerspruch.

Video: So haben die in Österreich lebenden Türken gewählt

Ausbaden müssen das Wahlergebnis dann andere
Den Genuss des Erdogan’schen Präsidialsystems in Anwendung überlassen sie dann allerdings ihren Landsleuten in der Türkei. Die gewaltsam niedergeschlagenen Demonstrationen und die unfairen Gerichtsverfahren unter dem Deckmantel des Ausnahmezustandes kennen sie nur vom Hörensagen. Vom letzten Heimaturlaub sind viel mehr die neuen Straßen und schönen Einkaufszentren, die Erdogan erbauen ließ, in Erinnerung.

In den vergangenen Tagen hatten Türkei-Experten alle Hände voll zu tun, wieder einmal zu erklären, wie es zu einem solchen Wahlergebnis kommen konnte. Ob die kurz vor den Wahlen von der österreichischen Regierung verkündeten Moschee-Schließungen einen Protest nach dem Motto „Jetzt erst recht“ bewirkt haben könnten, sei dahingestellt. Sicher ist, dass das Ergebnis einmal mehr aufzeigt, wie es um den Integrationsstatus einiger Tausend Austro-Türken bestellt ist. Und das sollte der türkis-blauen Regierung jedenfalls zu denken geben.

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