Therapie in den 60ern

Wiener Heimkind mit Malaria infiziert: “Litt Höllenqualen”

Österreich
06.02.2012 17:46
Es ist ein heutzutage unvorstellbarer Vorwurf: Wiener Heimkinder sollen in den 60er-Jahren für Versuche mit der Tropenkrankheit Malaria infiziert worden sein. Nach all den Jahren hört dem Ex-Zögling Wilhelm J. endlich jemand zu: "Einen Monat litt ich Höllenqualen!"

Pädagogisch und psychologisch hat man in der Kindheit des Wieners Wilhelm J. alles falsch gemacht, was man aus heutiger Sicht falsch machen kann. Als Jugendlicher hatte er damals keine große Lust auf den Unterricht, "stangelte", wo er nur konnte, und kam als Serien-Schulschwänzer ins Heim.

Mit "Psychopathie" eingewiesen
"Nach einigen dubiosen Verhaltenstests bin ich mehrmals aus dem Heim ausgebüxt", schildert der heute 63-Jährige. Der Fall des damals 16-Jährigen landete 1964 bei Dr. B., der eine "Psychopathie" diagnostizierte und den Teenager in die Wiener Uniklinik für Psychiatrie einweisen ließ - die "Hoff-Einrichtung", wie sie damals hieß, ein Vorgänger des heutigen AKH.

"Dort hat man mich mit Malaria infiziert, das Blut eines Angesteckten hat man mir in den Muskel gespritzt", schilderte der Pensionist am Montag in einem Ö1-Interview. Der "Krone" erzählt er seinen weiteren Leidensweg: Fieberschübe, bis zu 41 Grad hoch, dann ein Tag Pause, dann das nächste Fieber. "Wir machen ein paar Versuche", soll die junge Doktorin gesagt haben, und der junge Wilhelm litt Höllenqualen. "Dort waren noch mehrere Burschen", erinnert er sich heute.

Weiters erklärt J.: "Ich habe im AKH meine Patientenakten angefordert, doch die gibt es freilich nicht mehr. Somit wurden alle Beweise für diese Therapie längst vernichtet."

Experten glauben Betroffenem
Uni-Psychiatrie-Chef Johannes Wancata schenkt dem Pensionisten Glauben. "Solche Therapien gab es", erklärt er. "Ich bin entsetzt. Mitte der 60er-Jahre war die Therapie schon nicht mehr zeitgemäß." Noch Jahrzehnte danach litt J. an Folgeschäden, an Spontanfieber und Schweißausbrüchen.

Julius Wagner-Jauregg hat 1927 für die Malariatherapie zur Behandlung von Syphilis den Nobelpreis erhalten, später wurde die Therapie auch für andere psychiatrische Erkrankungen angewandt. Auch laut dem Psychiater Bernd Küfferle, der ab 1965 an der Psychiatrie-Uniklinik gearbeitet hat, war 1964 die Behandlung, der der 63-Jährige offenbar unterzogen wurde, längst überholt, wie er Ö1 sagte.

"Tatsächlich wurden solche Fieberkuren bis Mitte der 60er-Jahre gemacht. Es war aber damals schon klar, dass das keine sinnvolle Behandlung ist", so Küfferle im "Morgenjournal". Womöglich sei die Behandlung noch angewandt worden, "um den Malaria-Erreger im Patienten am Leben zu erhalten und ihn so im Spital verfügbar zu haben". Auch der Kinderpsychiater Ernst Berger hält die Angaben des Wieners laut Ö1 für plausibel und glaubwürdig.

63-Jähriger lässt Klage prüfen
Der 63-Jährige hat bereits einen Antrag auf finanzielle Entschädigung bei jener Kommission gestellt, bei der sich Opfer von Missbrauchsfällen in Wiener Kinderheimen melden können. Am Dienstag trifft er sich nun mit Anwälten und prüft eine Klage. Auch ein zweites Malaria-Opfer - damals 19 Jahre alt - hat sich bereits gemeldet.

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