"Foodsaver" in Wien

Radeln gegen die Verschwendung von Lebensmitteln

Österreich
16.11.2017 15:02

"Foodsaver" Walter Albrecht kämpft gegen die Verschwendung von Nahrungsmitteln - unter anderem mit dem Lastenfahrrad. Damit ist er längst nicht mehr der Einzige in Wien.

Wenn Walter Albrecht von der Arbeit nach Hause kommt, dann passiert es nicht selten, dass sich vor seinem Garagentor bereits eine Menschentraube gebildet hat. Denn hier, in der Köberlgasse 10 in Wien-Favoriten, verteilt der Mitarbeiter der städtischen Müllabfuhr Lebensmittel, die er vor dem Abfall rettet. Manche kommen aus Überzeugung hierher, um ihre Kühlschränke und Bäuche mit dem "Kollateralschaden" unserer Wegwerfgesellschaft zu füllen. Andere, weil sie schon zur Monatshälfte kein Geld mehr übrig haben, um einkaufen zu gehen. 32 solcher "Fairteiler" gibt es mittlerweile in Wien.

475 Partner helfen bei der "Umverteilung" mit
Betreut werden sie von der privaten Initiative "Food-sharing", die hier vor vier Jahren nach deutschem Vorbild gegründet wurde. Unfassbare 370.000 Kilogramm an Lebensmitteln wurden so bislang umverteilt - bei rund 27.000 "Rettungseinsätzen". 475 Partnerbetriebe und Händler helfen dabei, indem sie überschüssige Ware melden und von den "Foodsavern" (zu Deutsch: Lebensmittelretter) abholen lassen. Neben noch genießbarem Obst und Gemüse machen auch Druckstellen an Dosen oder eingerissene Etiketten auf Getränkeflaschen die Ware unverkäuflich. Obmann Walter Albrecht hat in seiner Garage bereits 30.000 Kilo Nahrung vor dem Wegwerfen bewahrt. Außerdem helfen die "Foodsaver" Kleingärtnern bei der Ernte. Oder sie ernten hinter Bauern nach, die Gemüse, das nicht der Norm entspricht, auf den Feldern liegen lassen.

24-Stunden-"Fairteiler" wird am Sonntag eröffnet
Der erste 24-Stunden-"Fairteiler" wird am Sonntag um 11 Uhr auf dem St.-Elisabeth-Platz im vierten Bezirk eröffnet. Zusammengezimmert aus Paletten und dem Dach eines alten Schuppens, bieten darin Kühlschränke, die über das Internet verschenkt wurden, Platz für Nahrungsmittel.

"Versorgen statt entsorgen" lautet das Motto auch bei der Wiener Tafel. Die Organisation mit Sitz in Simmering rettet täglich bis zu drei Tonnen Lebensmittel - und versorgt rund 19.000 Menschen, die in Wien von Armut betroffen sind. Seit 2012 sind täglich bis zu fünf Lkw im Einsatz. Insgesamt engagieren sich 400 ehrenamtliche Helfer regelmäßig für die Tafel und bauen damit eine Brücke über die Kluft zwischen Überfluss und Bedarf. Mit Aktionen wie "Marmelade mit Sinn" (überschüssiges Obst wird verkocht) oder der "Tafelbox" (eine To-go-Box für Wirte und Veranstaltungen) wird der Verschwendung der Kampf angesagt.

Das neueste Projekt: Das erst kürzlich eröffnete TafelHaus am Großgrünmarkt soll 100 Prozent mehr gerettete Lebensmittel für doppelt so viele Armutsbetroffene ermöglichen. Vorbildlich!

"Und neben der Tonne sitzt einer und hat Hunger"
"Krone": Herr Albrecht, was hat es mit dem Rad auf sich?
Walter Albrecht:Das wurde vor zwei Jahren gesponsert. Damit retten und verteilen wir Lebensmittel.

Wer ist "wir"?
Rund 1200 Wiener sind mittlerweile bei der Initiative "Foodsharing" mit dabei.

Sie sammeln und verteilen Lebensmittel in Ihrer Garage im 10. Bezirk. Wie kam es dazu?
Ich arbeite bei der Müllabfuhr. Ganz ehrlich: Wenn man sieht, was jeden Tag weggeworfen wird, kann man als normal denkender Mensch nicht wegschauen und sagen: "Alles ist okay." Unmengen originalverpackter Lebensmittel - vom Supermarkt bis zum Privathaushalt -, und neben der Tonne sitzt einer und hat Hunger.

Wer holt sich Lebensmittel aus Ihrer Garage?
Das ist ganz unterschiedlich. Wenigverdiener, arme Leute, Studenten, Pensionisten - und solche, die ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft setzen.

Mittlerweile gibt es 32 "Fairteiler" in Wien. Wie erfahren Menschen, wann es dort Lebensmittel abzuholen gibt?
Übers Internet. Auf foodsharing.at wird gepostet, wenn in einem "Fairteiler" Lebensmittel abgegeben werden.

Was wünschen Sie sich von der Politik?
Ein Wergwerf-Verbot für Lebensmittel in Supermärkten. Diese sollten lieber an soziale Einrichtungen umverteilt werden.

DATEN UND FAKTEN:

  • 40 Kilogramm an Lebensmitteln wirft der Wiener im Durchschnitt pro Jahr in den Abfall. 157.000 Tonnen an angebrochenen und originalverpackten Lebensmitteln werden in österreichischen Haushalten jährlich entsorgt. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weitaus höher sein - eingerechnet werden nämlich nur jene Lebensmittel, die im Restmüll landen.
  • Biotonne, Komposthaufen und Co. dürften noch erheblich mehr an abgepacktem oder angebrochenem Essen "schlucken".
  • Die Gründe sind vielfältig: von der falschen Planung ("Genusskäufe") bis hin zur falschen Lagerung und Aufbewahrung von Esswaren. Viele interpretieren das Mindesthaltbarkeitsdatum als Ablaufdatum und entsorgen "abgelaufenes" Essen, ohne es zu probieren.

Melanie Leitner, Kronen Zeitung

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