Vor Prozessstart

Das Protokoll der Todesfahrt mit 71 Opfern

Österreich
16.06.2017 18:04

Erstmals gibt es nun ein genaues Protokoll jener Todesfahrt, bei der 71 Flüchtlinge erstickt sind. Tonbänder spielen dabei eine wesentliche Rolle. Die Polizei hörte mit, als sich die Schlepper im voll besetzten Kühlwagen auf den Weg machten. Doch die Aufnahmen wurden zu spät ausgewertet, um die Katastrophe zu verhindern. Die "Süddeutsche Zeitung" hat die Übersetzungen der Aufnahmen, verbunden mit Details aus der Anklage, zusammengefasst.

  • Die Fahrt beginnt an jenem 26. August 2015 knapp vor fünf Uhr Früh an der serbisch-ungarischen Grenze bei Morahalom. In einem Wald werden 59 Männer, acht Frauen und vier Kinder aus Syrien, Afghanistan, Iran und Irak in den Kühlwagen gepfercht.
  • Schon nach einer halben Stunde klopfen die Flüchtlinge. Sie drohen zu ersticken. Fahrer Ivajlo S. meldet das aufgeregt seinem Chef, dem Serben Metodi G., der in einem Begleitfahrzeug sitzt.
    Dass die Telefonate mitgeschnitten werden, ahnen die Schlepper nicht. Die Bande war ins Visier der Polizei geraten. Doch wegen der Sprachenvielfalt der Beteiligten - Serbisch, Bulgarisch, Paschto - ist es nicht möglich, live zu übersetzen. Die Aufnahmen wurden erst später ausgewertet - zu spät.

  • "Ich habe es gesehen, sie schneiden den Gummi", schreit Metodi G. 70 Minuten nach Fahrtbeginn ins Telefon. Er meint damit, dass Flüchtlinge versuchen, ein Loch in die Dichtung der Türe zu schneiden.
    Die Bitte des Fahrers Ivajlo S., die Türe des Kühlwagens öffnen zu dürfen, lehnt der mutmaßliche Schlepperchef, der Afghane Samsoor L., ab: "Er (der Lenker, Anm. d. Red.) soll weiterfahren. Falls sie (die Flüchtlinge) sterben, soll er sie im Wald abladen."
    Einmal bleibt der Kühlwagen auf einem Parkplatz stehen - um Wasser für den Kühler nachzufüllen. Die Türe bleibt verschlossen, auf Anweisung des Schlepperchefs. Immer wieder schreit Samsoor L. ins Telefon, nur ja nicht die Türe zu öffnen: "Auch wenn sie sterben sollten", so der O-Ton.
  • Irgendwann muss Fahrer Ivajlo S. bemerkt haben, dass niemand im Kühlwagen mehr schreit oder klopft. Gerichtsmediziner haben festgestellt, dass nach mehr als einer Stunde die ersten Opfer gestorben sind - die Kinder. Am längsten - bis zu drei Stunden - dürften einige Männer überlebt haben, die an der Türe standen. Vielleicht bekamen sie doch einen kurzen Lufthauch ab.
  • Kommenden Mittwoch beginnt, wie berichtet, der Prozess gegen die Schlepper in Kecskemet (Ungarn). Vier der elf Angeklagten droht lebenslange Haft.

    Peter Grotter, Kronen Zeitung

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