Umstrittene Regelung

EuGH kippt Datenspeicherung auf Vorrat

Web
08.04.2014 10:26
Der Europäische Gerichtshof hat am Dienstag erwartungsgemäß die umstrittene Vorratsdatenspeicherung endgültig gekippt. Der EuGH erklärte, die Speicherung beinhalte einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte der Bürger, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränke. Die Kritik fiel unerwartet heftig aus, praktisch in allen beanstandeten Punkten wurde die Richtlinie als EU-rechtswidrig erklärt.

Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung wurde 2006 mit dem Argument der Terrorbekämpfung verabschiedet. Sie verpflichtete Unternehmen, Telekommunikationsdaten für mindestens sechs Monate zu speichern und bei Anfrage an die ermittelnden Behörden weiterzugeben. In Österreich sind die Bestimmungen im April 2012 in Kraft getreten.

Die Richtlinie selbst sowie ihre Übernahme ins heimische Recht wurden von vielen Seiten massiv kritisiert. Im Dezember 2012 schaltete der Verfassungsgerichtshof den Europäischen Gerichtshof ein, weil er Zweifel an der Vereinbarkeit der EU-Richtlinie mit dem im der EU-Grundrechtecharta verankerten Recht auf Datenschutz hatte. Auch der irische High Court wandte sich an das Gericht.

EuGH sieht "schwerwiegenden Eingriff in Grundrechte"
Mit dem am Dienstag gefällten Urteil erklärte der EuGH die Richtlinie nun für ungültig - und zwar rückwirkend zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie. Der Gerichtshof sehe in der Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung und der Gestattung des Zugangs der zuständigen nationalen Behörden zu den Daten einen "besonders schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten".

"Gefühl ständiger Überwachung"
Außerdem sei der Umstand, dass die Vorratsdatenspeicherung die spätere Datennutzung ermögliche, ohne dass der Teilnehmer oder der registrierte Benutzer darüber informiert werde, geeignet, bei den Betroffenen ein Gefühl zu erzeugen, dass ihr Privatleben Gegenstand einer ständigen Überwachung sei.

Die Speicherung habe zwar das Ziel des Schutzes des Gemeinwohls durch die Bekämpfung schwerer Kriminalität, doch habe der "Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinie die Grenzen überschritten, die er zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einhalten musste".

EuGH kritisiert Speicherung "ohne Differenzierung"
Die Richtlinie erstrecke sich außerdem generell auf "sämtliche Personen, elektronische Kommunikationsmittel und Verkehrsdaten, ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des Ziels der Bekämpfung schwerer Straftaten vorzusehen", heißt es.

Die Dauer der Vorratsdatenspeicherung, die mindestens sechs Monate und höchstes zwei Jahren vorsieht, wurde laut EuGH getroffen, "ohne dass die Richtlinie objektive Kriterien festlegt, die gewährleisten, dass die Speicherung auf das absolut Notwendige beschränkt wird".

Daten nicht hinreichend geschützt
Ferner biete die Richtlinie "keine hinreichenden Garantien dafür, dass die Daten wirksam vor Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang und jeder unberechtigten Nutzung geschützt sind". Schließlich gestatte die Richtlinie den Diensteanbietern, bei der Bestimmung des von ihnen angewandten Sicherheitsniveaus wirtschaftliche Erwägungen zu berücksichtigen, und gewährleiste nicht, dass die Daten nach Ablauf ihrer Speicherfrist unwiderruflich vernichtet werden", so der EuGH.

Der Gerichtshof rügt darüber hinaus, dass die Richtlinie "keine Speicherung der Daten im Unionsgebiet vorschreibt". Damit sei nicht in vollem Umfang gewährleistet, dass die Einhaltung der Erfordernisse des Datenschutzes und der Datensicherheit durch eine unabhängige Stelle überwacht werde, obwohl die Charta der Grundrechte dies ausdrücklich fordere.

Das Urteil vom Dienstag folgte damit der Argumentation des Generalanwalts Pedro Cruz Villalon, der die Möglichkeit einer Speicherung von Telefondaten bis zu zwei Jahren als zu großzügig kritisiert hatte.

VfGH mit EuGH-Urteil "zufrieden"
Der österreichische Verfassungsgerichtshof zeigte sich "zufrieden, dass der Europäische Gerichtshof unseren Bedenken gegen die Vorratsdatenspeicherung gefolgt ist". Der VfGH hat jetzt die Auswirkung der EuGH-Entscheidung auf die österreichische Regelung unter anderem im Telekommunikationsgesetz zu prüfen.

Innen- und Justizministerium wollen erst einmal abwarten, zu welchem Schluss der Verfassungsgerichtshof kommt. "Urteile sind selbstverständlich zu akzeptieren", stellte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner allerdings klar, "das ist überhaupt keine Frage".

Mikl-Leitner hielt jedoch ebenso fest, dass die auch im Sicherheitspolizeigesetz verankerte Maßnahme in Österreich bereits von der Exekutive angewandt wird: "Klar ist, dass die polizeiliche Arbeit ohne Vorratsdatenspeicherung nicht einfacher wird."

Richtlinie in Österreich "maßhaltend umgesetzt"
"Österreich hat die Richtlinie sehr maßhaltend umgesetzt, sodass die Kritikpunkte des EuGH an der EU-Richtlinie nicht auch gleichzeitig die österreichische Umsetzung betreffen", hieß es wiederum in einer Stellungnahme des Justizministeriums. In Österreich blieben die gesetzlichen Regelungen bis zu einem Entscheid des VfGH "weiterhin unverändert in Geltung". Die Aufhebung der Richtlinie habe keine Auswirkungen auf laufende Verfahren.

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