Volkswagen braucht Deutschland nicht mehr – zumindest nicht, um Autos für China zu entwickeln. In Hefei hat der Konzern sein Entwicklungszentrum so stark ausgebaut, dass dort nun buchstäblich „China Speed“ möglich ist.
Neue Modelle, Plattformen und Schlüsseltechnologien können dort erstmals komplett „in China, für China“ entstehen, ohne noch einmal den Umweg über Wolfsburg zu nehmen. Das ist die bislang wohl weitgehendste Entwicklung eines Megatrends – statt „aus Deutschland für die Welt“ heißt es in der Autoindustrie schon seit längerem „local for local“.
Mehr als 100 Labore, eine eigens entwickelte Elektronik-Architektur für den chinesischen Markt, verkürzte Entwicklungszeiten um rund 30 Prozent: Für VW ist das ein Meilenstein, für Deutschland ein Warnsignal. Denn die Autoindustrie ordnet ihre Weltkarte neu – weg vom Export aus der Heimat, hin zur Fertigung vor Ort.
Früher war die Arbeitsteilung klar: Die großen deutschen Entwicklungszentren definierten, was ein Golf, ein 3er-BMW oder eine E-Klasse ist. Die Technikplattformen wurden in Deutschland entwickelt und geplant und dann in die Welt geschickt. Fabriken in China, Mexiko oder den USA setzten das Konzept weitgehend eins zu eins um, ergänzt um ein paar lokale Anpassungen. Ein großer Teil der Wertschöpfung – vor allem die teuren Entwicklungsleistungen - blieb in Deutschland, auch wenn die Autos längst auf allen Kontinenten vom Band liefen.
Diese Logik ist zuletzt immer stärker unter Druck geraten. „Local for local“ bedeutet, dass Entwicklung, Zulieferer und Produktion in den wichtigsten Absatzregionen jeweils eigene, weitgehend eigenständige Cluster bilden. In China entstehen Autos, deren Technik, Software und Ausstattung im Detail auf chinesische Kunden zugeschnitten sind. In Nordamerika rücken große Pick-ups und SUVs mit eigenen Plattformen und Förderbedingungen in den Mittelpunkt. Europa wiederum konzentriert sich stärker auf kompakte, effiziente Fahrzeuge. Die Zeiten, in denen ein zentral definiertes „Welt-Auto“ überall funktionieren sollte, gehen zu Ende.
Ursachen für die Trendwende
Treiber dieser Entwicklung sind handfeste Zwänge. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie verwundbar global verstreute Lieferketten sind: Pandemie, Ukraine-Krieg, blockierte Schifffahrtsrouten und Chipmangel haben die Branche empfindlich getroffen. Gleichzeitig sorgen Handelskonflikte und Zölle dafür, dass der Export aus einem „Mutterland“ immer unattraktiver wird.
Volkswagen reagiert darauf in China mit einer Strategie, die man als „Entkoppelung auf hohem Niveau“ bezeichnen könnte. Das neue Hefei-Zentrum vereint Hardware-, Software- und Testkompetenz unter einem Dach, inklusive eigener Elektronik-Architektur für den Markt vor Ort. Entscheidungen über Design, Bedienlogik, digitale Dienste oder Assistenzsysteme können dort getroffen werden, ohne in langen Schleifen über deutsche Gremien zu laufen. In einem Markt, in dem chinesische Konkurrenten im Wochentakt neue Modelle und Funktionen vorstellen, ist Tempo überlebenswichtig. Ein Entwicklungsprozess, der zwischen Wolfsburg, Prüfstand in Europa, Abstimmung mit Zulieferern und Rückkopplung mit China pendelt, wäre schlicht zu langsam.
Mit seinen Lokalisierungsversuchen steht VW nicht allein. Andere Hersteller ziehen nach, bauen Batteriefabriken in Nordamerika, Asien und Europa, etablieren lokale Software-Teams, siedeln Zulieferer in der Nähe großer Werke an. Auch die großen Zulieferer selbst richten sich „local for local“ aus, um ihre Kunden regional zu bedienen und Risiken zu streuen.
VWs China-Verlagerung ist so gesehen nur der Höhepunkt einer langen Entwicklung. In Deutschland fällt diese in eine Phase, in der die Autoindustrie ohnehin als Sorgenkind gilt. Die Produktion liegt deutlich unter den Rekordjahren vor Corona, die Beschäftigung ist rückläufig, Exporte nach China sind eingebrochen, weil dort heimische Hersteller bei E-Autos massiv aufgeholt haben.
Es ist keine Einbahnstraße
Für Horror-Szenarien und Deindustrialisierungs-Panik gibt der „local-for-local“-Trend allein aber kein Anlass; denn die Verschiebungen laufen auch in die Gegenrichtung. Auch Deutschland und Europa können davon profitieren, wie etwa die Ansiedelung des Tesla-Werks in Brandenburg oder die zu erwartenden Werks-Eröffnungen chinesischer Hersteller zeigen. Dass das für Unternehmen und Gemeinwesen gut funktionieren kann, zeigen seit Jahren schon die anderen asiatischen Hersteller: Konzerne wie Toyota, Nissan oder Hyundai entwickeln und bauen bereits seit Längerem Autos für Europa auch in Europa.
Zudem entstehen neue Wirtschaftsfelder, in denen Deutschland durchaus eine Rolle spielen kann. Der Aufbau einer europäischen Batterieproduktion, die Entwicklung von Recyclingverfahren für Akkus, die Fertigung von Leistungselektronik oder Elektromotoren, die Integration von Autos in Energie- und Datennetze.
In China will VW jedenfalls Vollgas geben: Neue Elektroauto-Plattformen sollten nach dem ursprünglichen Plan bis 2026 die Grundlage für Modelle bilden, die umgerechnet um die 20.000 Euro kosten. Im April 2024 setzte sich Volkswagen das Ziel, als größter ausländischer Anbieter in China bis 2030 rund vier Millionen Autos zu verkaufen und rund 3 Mrd. Euro Gewinn zu erzielen.
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