Der fürchterliche Amoklauf in einer Grazer Schule stellt eine Zäsur in der Geschichte der steirischen Landeshauptstadt dar. Zehn Menschen wurden aus dem Leben gerissen. Nun wendet sich eine Mutter, deren Kind eine der betroffenen Klassen besucht, mit bewegenden Worten an die Öffentlichkeit. Der „Krone“ stellte sie den Brief zur Verfügung.
Ich soll Worte finden, wofür es keine Worte gibt.
Hand in Hand stehe ich mit meiner Tochter bei der Gedenkstätte vor ihrer Schule. Wir blicken auf ein Meer aus Kerzen. Eine Frau betet unermüdlich das „Vater unser“.
Ich halte mein starkes Mädchen im Arm. Sie hat das Unfassbare hautnah miterlebt. Mitschülerinnen, engste Freundinnen verloren. Reines Glück, Zufall oder Schicksal haben dazu geführt, dass sie heute – zwei Tage nach dem Horror – ihren Kopf an meine Schulter legen kann.
Ich bin unendlich dankbar und zugleich voller Trauer für die Eltern, die dieses Privileg nicht mehr haben.
Zum ersten Mal hat mein Kind eine Erfahrung gemacht, für die ich keine Antwort weiß. Sie hat Dinge gesehen, die ich nie sehen musste. Schüsse gehört. Den Geruch des Pulvers in der Nase gehabt.
Was soll ich ihr sagen? Wie kann ich sie auffangen?
Ich soll Worte finden für etwas, das sich nicht in Worte fassen lässt. Und genau deshalb schreibe ich. Weil es mein einziger Weg ist, gegen den Schmerz und die Fassungslosigkeit anzukommen. Sätze aneinanderreihen – als Versuch, das Unbegreifliche zu begreifen.
Unsere Kinder sind Opfer einer bestialischen Gewalttat geworden. An einem Ort, der ihnen Sicherheit geben sollte. An dem sie auf ihre Zukunft vorbereitet wurden.
Diese Zukunft wird für immer eine Narbe tragen. In ihren Körpern. In ihren Seelen.
„Wie geht es dir?“ – diese Frage höre ich oft in den letzten Tagen. Und so sehr ich auch möchte: Ich finde keine Antwort.
Ich habe meine Angst, meinen Schmerz, meine Verzweiflung in eine Schachtel gepackt und beiseitegestellt. Ich kümmere mich später darum.
Jetzt zählt nur eines: Für mein Kind da zu sein. Stark zu sein. Ihr gemeinsam mit ihrem Papa und ihrer Oma Halt zu geben. Hilfe zu organisieren. Sie zu Begräbnissen zu begleiten. Ihr das zu geben, was sie jetzt braucht.
Irgendwann werde ich trauern. Ich werde das Erlebte aufarbeiten, mir Unterstützung holen – und mich dabei an einem Gedanken festhalten: an dem Licht in all der Dunkelheit.
An Momenten der Menschlichkeit, die wir erleben durften. Am unermüdlichen, mutigen Einsatz der Einsatzkräfte und Ersthelfer. An der bewundernswerten Arbeit der Lehrer:innen und der Schulleitung. An den anderen Eltern, die – trotz ihres eigenen Schmerzes – tröstende Worte für mich finden.
Ich will das Gute sehen. Auch jetzt. Gerade jetzt.
Als Mensch. Und als Mutter, die daran glaubt, dass unsere Kinder selbst diese Tragödie überstehen können.
Margit Wickhoff
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