Psychiaterin erzählt

„Die Figuren auf der Bühne sind ein Teil von mir!“

Gesünder leben
02.12.2023 09:00

Psychiaterin, Psychotherapeutin, Kabarettistin: Dr. Regina Hofer schafft mit ihren sozialkritischen Programmen seit 30 Jahren eine spannende Bandbreite zwischen Lachen und Betroffenheit.

„Habe ich jetzt eine neiche Job, Gott sei Dank, bei der Frau Dr. Hofer. Sie ist ja ein bisschen so wie Moulinex. Sehr gute Maschine, aber bissi verstellt . . .“ Marizza, die im früheren Jugoslawien beim Zirkus war, gerne singt, tanzt und viele Lebensweisheiten von sich gibt, putzt bei Damen der Gesellschaft.

Messerscharf erkennt - und verwirft - sie Trends, Aufräumen mit Marie Kondo zum Beispiel. Fans von Kabarettistin Regina Hofer kennen die kluge Putzfrau schon aus dem vorigen Programm „Marizza staubt ab“. So wie viele andere Charaktere, die im Laufe des aktuellen Stücks „Hobt’s mi gern“ aus der Mottenkiste wieder zum Leben erwachen.

Seit 30 Jahren analysiert und verarbeitet die Allrounderin und kluge Beobachterin persönliche wie gesellschaftspolitische Themen zu ganz speziellen Darbietungen, die nur jemand erdenken kann, der die Menschen liebt, versteht, sie behutsam in ihre Einzelteile zerlegt und mit viel Witz wieder zusammensetzt. Im stimmungsvollen Ambiente des Wiener Kabarettlokals „Spektakel“, wo ihre Auftritte lange erfolgreiche Tradition haben, nahm sich die Künstlerin Zeit für ein ausführliches, herzerwärmendes Gespräch.

„Gesünder Leben“:Der erste Teil des neuen Programms behandelt sehr persönliche Themen, wie deine Kindheit und Jugend in Gmunden in Oberösterreich, deine Studien- und Turnuszeit als Jungmedizinern. Was liegt dir dabei besonders am Herzen?

Dr. Regina Hofer: Dass mein Lebensweg nicht so geradlinig war, und ich mir öfter gedacht habe, ich schaffe das nicht. Doch es ging immer weiter. Und das hilft mir immer noch. Auch im Zusammenhang mit meiner Arbeit.

Du bist nach wie vor als Fachärztin für Psychiatrie tätig und kümmerst dich dabei auch um obdachlose Menschen.
Ja, derzeit im Chancenhaus Hermes des Roten Kreuzes in Wien, wo akut wohnungslose Frauen, Männer und Paare aufgenommen werden. Dort bin ich Psychiaterin und Psychotherapeutin in einem multiprofessionellen Team. Diese Menschen haben so viel mitgemacht und erlebt - wenn mir das passiert wäre, wüsste ich nicht, wo ich heute stehen würde.

Ich hatte immer jemanden, der mir in schwierigen Zeiten weitergeholfen hat. Leider trifft das nicht auf jeden zu. Aber jeder Mensch braucht einen Freund/eine Freundin, der/die einem die Hand reicht! Wenn es gelingt zu vermitteln, dass da jemand ist, der sich kümmert und zu einem hält, schöpfen Betroffene oft wieder die Kraft, weiterzumachen oder neu anzufangen. Das versuche ich zu vermitteln.

Kannst du ein Beispiel für so ein Schicksal nennen?
Eine Frau aus Serbien, die drei Jahrzehnte in Österreich gearbeitet hat und fast nie angemeldet wurde von den Arbeitgebern. Ihr Mann war Alkoholiker, ihr Sohn blieb bei der Großmutter. Trotz Scheidung hat sie ihren Ex-Mann in Serbien bis zu dessen Tod gepflegt.

Zurück in Österreich lebte sie in der Notschlafstelle, half, wo sie konnte, war immer fleißig, aber ihr Lebenswille war gebrochen. Sie wollte nicht mehr. Wir konnten sie dabei unterstützen, eine Aufenthaltsgenehmigung in Österreich zu bekommen und jetzt geht es bergauf, obwohl sie schwer herzkrank ist. Diese Arbeit ist so wichtig, weil die Leute so wenig bekommen und so viel bräuchten. Aber jede Therapie hat Sinn und Berechtigung.

Dein neues Programm stellt eine Reminiszenz an deine 30-jährige Bühnenerfahrung dar. Welche Figur war die erste, die du zum Leben erweckt hast?
Das war die Hilde in meinem Stück „Gut, dass es den Herbert gibt“. Eine konservative, ambivalente Oberösterreicherin, ein Synonym für die Doppelmoral am Land. Ihre Tochter will ganz anders als die Mutter werden, macht alle Trends mit und wird 1993 Muslima mit Schleier. Das habe ich weiter gesponnen bis hin zur Enkeltochter, der die Hilde selbst gebackene Linzeraugen in den Irak bringt.

Jemand, der mir von meinen Bühnencharakteren besonders ans Herz gewachsen ist, stellt der Loisi dar, eine Person aus der Sonderschule meines Vaters, der zwar Volksmusik liebt, aber Angst vor den neuen und alten Nazis hat. Besonders, wenn sie im Bierzelt so schreien. Er ist ein lustiger Typ, aber eine zutiefst politische Figur.

Sehr erfreut mich die Mithilfe von Andreas Moldaschl, der bei der Stückentwicklung geholfen und Regie geführt hat. Wir haben ein tolles Arbeitssystem entwickelt, das mir möglich macht, meine Ideen und Geschichten auf ideale Weise bühnentauglich zu machen.

Du bist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytikerin, Gruppenanalytikerin und Gruppenpsychoanalytische Team- und Organisationsentwicklerin mit eigener Praxis. Wie kamst du da zum Kabarett?
Theater hat mich immer interessiert. Als ich mit dem Medizinstudium fertig war und auf den Turnusplatz gewartet hab, hab ich einfach bei einer Schauspielgruppe gefragt, ob ich mitmachen kann. Weil mir das so gefallen hat. Schon vorher trat ich mit der „Theaterpartie Fremdkörper“ mit Aufführungen des Stücks „Andere Baustelle“ in Kulisse, Spektakel, den Bundesländern auf.

Ab 1991 wirkte ich in Produktionen des Metropol-Sommertheaters, am Theater der Jugend uvm. mit. Und 1993 dann das erste Kabarettprogramm. Die Facharzt-Ausbildung schloss ich parallel dazu 1999 ab. Nicht alle meine Professoren und Vorgesetzten fanden das in Ordnung. Einer meinte in etwa: „Na, Frau Kollegin, sie müssen sich schon entscheiden, was sie sein wollen.“ Gut, dass ich nicht auf ihn gehört habe.“ Freiheit bringt Witz und Witz bringt Freiheit“, sagte schon Jean Paul.

Am Ende deines Programms tritt ein „Überraschungsgast“ auf. Was hat es damit auf sich?
Dieser Überraschungsgast kommt aus dem Chancenhaus Hermes (Wohnungslosenbetreuung), ist Opernsänger und singt wunderschön. Er war dort mein Patient. Er betritt, nachdem ich ihn vorstelle, die Bühne und singt sehr einfühlsam „Wien, Wien nur du allein“. Der junge Mann bemüht sich seit vielen Jahren Fuß zu fassen, das war ganz schwierig.

Im Frühjahr 2023 hat er nun tatsächlich für das Stück „Nicht die Väter“ in der Volksoper ein Engagement bekommen. Daran sieht man, wie absurd das alles oft ist - ein talentierter 25-Jähriger, der nur, weil er Pech im Leben hatte, chancenlos bleiben soll. Aber jetzt wird es schön langsam was und das macht auch mich glücklich.

Dazu passte die Ausstellung im Spektakel deines Mannes Wolf Werdigier, Maler, Architekt, international renommierter Künstler, der seine bildnerischen Werke zu deinem Programm unter dem Titel „Über das Glück“ gestaltet hat.
Wolf hat die Bilder auch rückblickend auf alle meine Programme konzipiert, so wie das Glück aus seiner Sicht nicht einfach so, plötzlich, im Augenblick, aufpoppt, sondern aus der Summe der Erfahrungen entsteht, die man im Leben macht. In seinen Darstellungen fühle ich mich sehr gesehen und verstanden.

Wie beurteilst du die aktuelle gesellschaftliche und politische Situation, nicht nur in unserem Land? Empfindest du sie selbst auch, wie so viele Menschen derzeit, als belastend?
Wir hatten lange gute Zeiten, waren gewohnt, dass sich jeder in seiner Individualität einrichten und es sich für sich selbst gemütlich machen kann. Vielleicht ist es jetzt wieder an der Zeit, zusammenzurücken. Man kann nicht mehr sagen: mir sind die Obdachlosen egal, mir sind die Migranten wurscht, mich interessieren die anderen Länder nicht.

Es geht wieder darum, eine menschlichere Welt zu gestalten, auch wenn das pathetisch klingen mag. Rechte, diktatorische Kräfte sind immer zerstörerisch. Es muss wieder in die andere Richtung gehen.

Spürst du in deiner Arbeit als Therapeutin eine Veränderung?
Ich finde, dass die neoliberalistische Gesellschaft mit Profitdenken und Gewinnoptimierung als oberstes Prinzip einen großen Druck ausübt. Das treibt oft schon junge Leute ins Burnout und in die Hoffnungslosigkeit. Auch die Obdachlosen, die ich betreue, wollen ja arbeiten und haben Berufe gelernt, aber wenn sie sich bewerben, bekommen sie den Job nicht, obwohl Arbeitskräfte in manchen Branchen so dringend benötigt werden. Nur weil ihnen das Stigma des vermeintlichen „Versagens“ anhaftet?

Als ich studiert habe, hat es geheißen, wir sollen ja keine Mediziner werden, es gibt zu viele, wir werden alle keine Arbeitsplätze bekommen. Und jetzt? Müssen wir uns mit einem eklatanten Ärztemangel herumschlagen, ganz zu schweigen von den fehlenden Pflegekräften. Man muss schon auch bewusst in die Zukunft blicken, wenn gesellschaftspolitische Entscheidungen zu treffen sind. Das passiert leider kaum.

Du bist Lektorin an der Sigmund-Freud-Universität in Wien auf der Fakultät für Psychotherapiewissenschaft und arbeitest viel mit Studenten. Hat das Einfluss auf deine Texte als Kabarettistin?
Natürlich. Wenn ich nicht den Einblick in unterschiedliche soziale Gesellschaftsformen hätte, gäbe es meine Programme in der vorliegenden Form gar nicht.

Was gibst du deinen Studenten mit, neben alle dem Fachwissen und den modernen Herausforderungen, die sie zu bewältigen haben?
Das Wichtigste ist: neben der fachlichen Kompetenz auf Augenhöhe mit den Patienten reden, zugewandt und lieb sein! Auch zu den alten Menschen. Das Reden fehlt überall. (Mit einem Augenzwinkern): Wenn alles nichts mehr hilft, hilft oft nur mehr der Wahn.

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(Bild: KMM)



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