Nach den ursprünglichen Plänen des staatlichen Internet-Aufsichtsgremiums BTK hätten die Filter schon am 22. August in Aktion treten sollen. Nach Protesten aus der Öffentlichkeit wurden die Pläne damals um drei Monate verschoben und überarbeitet. Nun trat eine abgemilderte Filter-Regelung in Kraft. Demnach können Nutzer bei ihren Providern eines von zwei Filter-Paketen bestellen: "Kinder" oder "Familie". Wer keinen Filter will, macht weiter wie bisher.
Ob die Neuregelung den 40 Millionen Internetnutzern im Land gefällt, weiß derzeit niemand. Es ist nicht einmal sicher, ob die Filter überhaupt legal sind. Vor dem obersten Verwaltungsgericht der Türkei läuft ein Prozess gegen die Reform. Auch ohne Filter seien 60.000 Internetseiten wegen des restriktiven türkischen Internetgesetzes der Türkei gesperrt, beklagen Internet-Aktivisten.
Vorwürfe: Willkür und Verstoß gegen Grundrechte
Die Regierung argumentiert, die Filter seien eine angemessene Reaktion auf viele Klagen aus der Bevölkerung, doch die Gegner der Regelung sehen Verstöße gegen den Rechtsstaat. Der "Verband Alternative Informationstechnologie", der vor dem Verwaltungsgericht klagt, weist darauf hin, dass die Filter-Verordnung unzulässigerweise in Grundrechte eingreift. Zudem wirft der Verband der Aufsichtsbehörde BTK vor, völlig willkürlich und ohne die notwendige Transparenz vorgegangen zu sein.
Staat mischt sich in Privatangelegenheiten ein
Yaman Akdeniz, der sich an der Istanbuler Bilgi-Universität mit juristischen Fragen rund um das Internet beschäftigt, findet schon den Ansatz der Regierungsinitiative problematisch. "Die Familien selbst sollten entscheiden können, was bei ihnen zugänglich ist und was nicht. Das ist nicht Sache des Staates", sagte Professor Akdeniz auf Anfrage. Zudem seien die Kriterien unklar, nach denen in den beiden Filter-Paketen bestimmte Websites gesperrt würden.
Ursprüngliche Filter-Pläne wesentlich restriktiver
Das Misstrauen hat gute Gründe. In den ursprünglichen Plänen der BTK waren weitergehende Filter-Regelungen vorgesehen. Und erst vor Kurzem wurde bekannt, dass das Parlamentspräsidium in Ankara mit Hinweis auf die Regierungsfilter im eigenen System den Zugang zu den Websites von zwei Homosexuellen-Verbänden sperrte.
Homosexuelle als familienfeindlich geächtet
Diese Gruppen sind nicht etwa verboten - doch laut Parlamentspräsidium führen Schlagwörter wie "Homosexualität" automatisch zur Sperrung der Websites. Ähnlich wie die Regierung berief sich das Präsidium bei der Zensur der Internetseiten auf den Schutz für Familien. Damit werden gesellschaftliche Gruppen wie Homosexuelle mit behördlicher Anweisung als familienfeindlich geächtet. Dies passt kaum zu den Werten einer modernen pluralistischen Demokratie, als die sich die Türkei versteht.
Unliebsame Inhalte sollen verschwinden
Für den Internetexperten Akdeniz und andere Kritiker wird beim Filter-Projekt daher eine grundsätzliche Verbotsmentalität sichtbar, die wesentlich bedenklicher ist als der Inhalt der Verbote selbst. Die Türken seien findig genug, um die Verbote zu umgehen, sagte Akdeniz. Doch es sei beunruhigend, dass die religiös-konservative Regierung in Ankara offenbar "eine einzige Moralität" durchsetzen und unliebsame Inhalte einfach ausblenden wolle, sagte er. Wie diese Moralität aussieht, bekamen Filter-Nutzer sofort zu spüren: Laut türkischen Presseberichten wurden die Internetseiten von Kondom-Herstellern und Unterwäsche-Produzenten im Rahmen des "Familien-Pakets" gesperrt.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.