Leichtathletik-WM

Überragende Leistungen, aber schaler Nachgeschmack

Sport-Mix
26.07.2022 09:18

Vieles ging schief bei diesen Weltmeisterschaften in Eugene. Die verschlafene, langweilige US-Stadt in Oregon mit ihren knapp 200.000 Einwohnern, durch die rund 20.000 Studenten während der Semester am Leben gehalten, war aufgrund der fehlenden Infrastruktur ungeeignet für eine WM dieses Ausmaßes. Daran konnten auch die grandiosen Leistungen - an der Spitze natürlich die drei Weltrekorde - nichts ändern. Alles andere ist Augenauswischerei. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack. Olaf Brockmann über die Leichtathletik-WM in Eugene:

Was mich am meisten enttäuschte, war die Tatsache, dass das neue Stadion Hayward Field, erbaut an derselben Stelle der abgerissenen, historischen Arena mit ihren steilen, hohen Rängen auf dem Campus der University of Oregon, während der zehn Wettkampftage in keiner der Sessions ausverkauft war. Dabei kamen jeweils nur 12.600 Tickets zum Verkauf. Das ist lächerlich oder besser gesagt beschämend für die hochgelobte „Track Town USA“, dem Herzen der US-Leichtathletik. Nichts zeigt besser den immer mehr sinkenden Stellenwert der größten olympischen Sportart in den USA. Ein Ein-Tages-Meeting wie jenes der Diamond League kann man in Eugene durchführen, aber auch das nur vor einer kleinen Zuschauerkulisse. Die Leichtathletik war in „Track Town USA“ außerhalb des Stadions nicht immer präsent. Ein Beispiel: Als ÖLV-Sportkoordinator Hannes Gruber vom ÖLV beim Frühstück den Marathon verfolgen wollte, lief statt der WM eine Live-Übertragung von der Tour de France. Abends in den Sportbars war zwar schon die WM manchmal zu sehen, aber auf den meisten Bildschirmen gab es Übertragungen von Football oder auch vom Fußball.

Tickets viel zu teuer
Die Gründe für den enttäuschenden Zuschauerbesuch liegen auf der Hand. Die Tickets waren zu teuer. Gute Plätze kosteten etwa zwischen 400 und 600 Dollar. Für den Finaltag wurden noch am Samstag reichlich Karten zwischen 75 Dollar und 1300 Dollar (VIP-Packages) online angeboten. Besuchte eine Familie mit zwei Kindern die WM und man leistete sich Tickets um 500 Dollar, musste man 2000 Dollar hinblättern, dazu kamen die unverschämt hohen Preise im Stadion für Essen und Trinken. An vielen Abendsessions gab es viel Leerlauf, oft standen nur zwei Finals auf dem Programm. Die World Athletics erwägt, die WM nach Ablauf bestehender Verträge zu verkürzen. Das heißt aber auch, dass eventuell wieder die Sportler durch die Finger schauen, falls das Programm reduziert wird oder die Teilnehmerfelder weiter beschränkt werden.

Siegerehrung im leeren Stadion
Die geringe Wertschätzung der Athleten zeigte sich auch bei den Siegerehrungen. Diese wurden meist vor oder nach Abendsessions durchgeführt - in einem fast leer gefegten Stadion. Die großen Sieger wie Sydney McLaughlin, die über 400 m Hürden ihren eigenen Weltrekord zertrümmert hatte, oder die 200-m-Stars Noah Lyles oder Shericka Jackson erhielten nicht die Bühne, die sie verdient hatten.

Vollkommen unakzeptabel waren auch, wie schon ein paarmal erwähnt, die Unterkünfte. Für die Athleten waren die Räume in den Studentenheimen noch halbwegs vertretbar, für die Betreuer aber schon längst nicht mehr. Die fehlenden Klimaanlagen, die manchmal erbärmlichen sanitären Anlagen, die noch dazu teils von Männern und Frauen geteilt werden mussten oder die schlechte Versorgung mit Trinkwasser zeigten ein tiefes Niveau. Das ist bei jedem drittklassigen Meeting der internationalen Leichtathletik besser. Der einzige Vorteil war, dass die Athleten in ein paar Minuten zu Fuß im Stadion waren.

Kollegen über „Löcher“ erbost
Auch die Medien waren zum Teil auf dem Campus untergebracht. Manche Kollegen waren über die Verhältnisse in den „Löchern“ erbost. Tagelang wurden auf unserem Gang in der Hamilton Hall Dusche und Toilette nicht gereinigt, der Abfalleimer lief über. Mir macht es nichts aus, auf meinen Reisen einfach zu wohnen. Als Backpacker, der ich es auch mit knapp 70 Jahren noch bin, bin ich einiges gewohnt. Auf Kuba habe ich mal ein Zimmer gehabt, in dem mich die Bettwanzen gepeinigt haben, in Kyoto habe ich auf ein paar Quadratmetern auf dem Steinboden geschlafen, in Waikiki hatte ich ein Zwölfbettzimmer in einer Jugendherberge, am Fuße von Machu Picchu konnte ich keine Auge schließen, da riesige Spinnen mich am Schlaf hinderten, in Kalkutta hauste ich in einem Billighotel, vor dem morgens die Leichen auf Leiterwagen abtransportiert wurden, vor Perth habe ich auf Rottnest Island am Strand übernachtet. Also: Da habe ich schon einiges durchgemacht.

Aber was mich auch nach dieser WM zur Weißglut bringt, ist der unverschämte Preis für diese Billig-Unterkunft in der Hamilton Hall. 150 Dollar ohne jeglichen Service, das Frühstück, das man nur ein paar Blöcke entfernt einnehmen konnte, war natürlich nicht inbegriffen. Hätte man 80 oder meinetwegen 100 Dollar dafür verlangt, wäre das noch akzeptabel gewesen…

Vorfreude auf EM in München
Bei der EM in München Mitte August habe ich ein Viersterne-Hotel gebucht, das mit 120 Euro billiger ist als das karge Zimmer in Eugene. Ohnehin könnte diese EM vom Flair schöner werden als diese WM. Einige Top-Kollegen wie selbst Gianni Merlo, Präsident der weltweiten Vereinigung der Sportjournalisten, Franco Fava oder Manfred Steffny (die jeweils zum ersten Mal eine Leichtathletik-WM verpassten) hatten wegen der komplizierten Visabestimmungen, der hohen Preise (es gab kein Medienhotel unter 200 Dollar) und auch wegen der Corona-Auflagen auf Eugene verzichtet. Sie werden hingegen in München dabei sein. Alle freuen sich darauf.

Es könnte sein, dass im Olympiastadion, auch wenn es nach dem mäßigen deutschen WM-Abschneiden wohl nicht ausverkauft sein wird, eine schönere Leichtathletik-Fete gefeiert wird als in Eugene. Bei den Weltmeisterschaften in Stuttgart (1993) und Berlin (2009) sowie den Europameisterschaften in Stuttgart (1986) und München (2002) hat das deutsche Publikum gezeigt, wie sie die Leichtathletik zelebrieren kann. In München wird es im Gegensatz zu Eugene in der Innenstadt ein Flair geben.

50 Jahre durchgehalten
München steht 50 Jahre nach den Olympischen Spielen wieder im sportlichen Mittelpunkt. Das ist auch ein emotionales Fest für mich. Dort habe ich 1972 meine ersten Olympischen Spiele als junger Journalist erleben dürfen. Fünf Jahrzehnte habe ich schon durchgehalten. Die Leichtathletik lässt mich nicht los.

Olaf Brockmann
Olaf Brockmann
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(Bild: KMM)



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