Ferien am Meer! Seit Jahren verbringt eine Pariser Freundesclique herrlich entspannte Sommertage an der südwestfranzösischen Atlantikküste, wo Max, ein erfolgreicher Restaurantbesitzer alle in sein Strandhaus einlädt. Sonne, Sand, Brandungsrauschen, schwerer Rotwein und fangfrische Austern. Eine eingeschworene Gemeinschaft, ein bunt gemischtes Puzzle an Charakteren, die um die Daseinskoordinaten des jeweils anderen wissen. Aber wie gut kennt man einander wirklich? Und wie steht es um die vielen kleinen Lebenslügen, mit denen man sich nicht nur selbst, sondern auch die anderen betrügt?
"Kleine wahre Lügen", so der Titel eines französischen Ensemblefilms, zu dessen beeindruckender Besetzung u. a. Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard ("La vie en rose"), François Cluzet ("French Kiss") oder Benoît Magimel ("Die Klavierspielerin") zählen. Regie führte bei dieser mitreißenden humanistischen Komödie mit ernsten Untertönen der Franzose Guillaume Canet, der zuletzt als Filmemacher mit "Last Night" (mit Keira Knightley und Eva Mendes) restlos überzeugte und nun mit seiner ebenso authentischen wie intimen "Gefühlsinventur" am Meer über fünf Millionen Franzosen in die Kinos locken sollte.
Gemütlichkeit durch keine Lügen
Es sind die Dinge des Lebens, die Canet anspricht, die kleinen Schwindeleien, inmitten derer man es sich gemütlich gemacht hat, um dem Alltag einen bunten Anstrich zu verpassen – weil es so viel einfacher ist, als zu den eigenen Schwächen zu stehen und wirklich Farbe zu bekennen! Und manchmal ist die erlösende Aufrichtigkeit wie das Salz des Meeres, das in einer frischen Wunde brennt… Da ist Eric, der sich für unwiderstehlich hält, damit prahlt, immer noch jede ins Bett zu kriegen, ein aufgesetztes Casanova-Gehabe, das ihn zur fragwürdigen Stimmungskanone der Clique macht – und seine "verschnupfte" Freundin bockig-pikiert an der Seine zurückbleiben lässt.
Da ist Antoine, der frisch getrennt in Selbstmitleid badet und nach Ratschlägen lechzt, diese aber dann erbost in den Wind schlägt. Da ist Vincent, Chiropraktiker und junger Familienvater, der in eine Männerfreundschaft plötzlich sehr viel mehr hineininterpretiert, während sich seine Frau bei virtuellem Sex im Internet kleine Höhepunkte verschafft. Nicht zu vergessen die sinnliche Ethnologin Marie – Marion Cotillard –, die gern mit dem Feuer spielt, aber eine Heidenangst hat, sich zu binden, und die das unerwartete Auftauchen eines "ausgehungerten" Liebhabers völlig aus der Bahn wirft. Und schließlich Max, der das Feriendomizil wegen nächtlicher Mardergeräusche mit einer Axt fast gänzlich demoliert – ein Akt brutal-komischen Vandalismus, der viel über dessen innere Zerrissenheit aussagt.
Verschlossenheit der Austern
Es ist nicht der ganz große Knall, der folgt. Vielmehr ein bewusstes Aufbrechen von verkrusteten Lebensgewohnheiten, an dem ein Austernzüchter, der um die Verschlossenheit der schmackhaften Meeresfrüchte – und jene des Herzens – weiß, seinen Anteil hat.
Dass Monsieur Joël Dupuch auch im wirklichen Leben diesem maritimen Broterwerb nachgeht und Freund des Regisseurs ist, ist eine charmante inszenatorische Geste. Ein der Urlaubsreise vorangegangener tragischer Unfall eines der Freunde führt letztlich zur Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit. Es ist hoch an der Zeit, einander reinen – und nicht nur süffigen – Wein einzuschenken.
Cotillard: "Große Lebensnähe"
Die französische Schauspielerin Marion Cotillard bescheinigt diesem Film große Lebensnähe. M. Cotillard: "Die Franzosen lieben es, im Freundesrudel Urlaub zu machen. Da kann es recht gruppendynamisch zugehen – auch wenn man einander schon lange kennt. Es ist nicht einfach heutzutage, vor den Augen der anderen zu bestehen. Da gibt es diese 'Parzellierung unserer Gesellschaft' in glückliche Singles, glückliche Karrieristen, glückliche Familien. Und ein jeder will den anderen mit seinem – vermeintlichen – Glück irgendwie fertigmachen. Wer sein Scheitern, seine Verunsicherung zugibt, wird schnell abgeschrieben. Und so spielt jeder eine Rolle. Das ist traurig und falsch. Wahre Freunde sollten einander nichts vorzumachen brauchen."
Liebe oder Freundschaft – worum lohnt es sich mehr zu kämpfen? M. Cotillard: "Ich glaube nicht, dass wir den Lauf einer Liebe lenken, bestimmen können. Wenn sie uns für würdig hält, bleibt sie uns. Wenn nicht, macht sie sich davon. Aber um Freundschaften sollte man immer – und aufrichtig – kämpfen." ("Les petits mouchoirs [wortwörtlich: kleine Taschentüchlein!] – Kleine wahre Lügen", jetzt im Kino).
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