Über Corona-Agression

Erzbischof: „Nichts ins Rollen kommen lassen“

Persönlich
25.12.2021 06:00

Corona hat Weihnachten, die Gesellschaft und uns Menschen verändert. Der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz und Erzbischof von Salzburg, Franz Lackner, spricht über Fehler der Politik, die Kraft des Glaubens und seinen Dialog mit den Abtrünnigen.

In der Eingangshalle zum Erzbischöflichen Palais am Salzburger Kapitelplatz steht eine kleine Weihnachtskrippe aus der Steiermark. Es ist ein Geschenk von Einheimischen an „ihren“ Bischof. Das Interview findet im Audienz-Zimmer des Erzbischofs im 2. Stock statt. Auf dem Flügel sind die Noten von Mozarts Krönungsmesse aufgeschlagen. „Der Domkapellmeister musiziert manchmal hier“, erzählt Seine Exzellenz. Das Steirische in seiner Sprachmelodie klingt immer wieder durch. Hinter ihm, zwischen zwei barocken, goldenen Spiegeln, lächelt Papst Franziskus von einem Porträt. Es duftet nach Tannenzweigen und Kletzenbrot.

„Krone“: Herr Erzbischof, hier in diesem eindrucksvollen Raum mit Blick auf den Salzburger Dom halten Sie auch Sprechtage ab. Wie muss man sich das vorstellen?
Franz Lackner: Da kann jeder kommen und mir seine Anliegen mitteilen. Wir versuchen dafür immer wieder einen halben oder ganzen Tag freizumachen.

Wer ist Ihnen zuletzt gegenübergesessen?
Das war eine Frau, die aus der Kirche ausgetreten ist. Ich habe ihr lange zugehört und hatte den Eindruck, dass sie wirklich orientierungslos war. Immer wieder fragte sie: An wen kann man sich noch halten, wem kann man noch glauben? Corona hat ihr Vertrauen in die Politik und auch in die Kirche tief erschüttert. Ich konnte diese Frau nicht überzeugen. Sie ist trotzdem ausgetreten, im guten Einvernehmen.

Die Zahl der Kirchenaustritte ist noch immer sehr hoch - 2020 waren es mehr als 58.000. Kann man diesen Trend irgendwann stoppen?
Wir schreiben allen, die austreten, einen Brief. Jenen, die auf diesen Brief antworten, schreibe ich auch noch einmal handschriftlich zurück. Dass wir diese Entscheidung grundsätzlich respektieren, dass wir ihnen auf ihrem weiteren Weg Gottes Segen wünschen und dass unsere Tür - mehr noch, das Herz - offensteht. Kirche muss lernen: Die gepriesene Religionsfreiheit bedeutet auch, dass jeder die Freiheit hat, die Kirche auch zu verlassen. Wenngleich ich überzeugt bin: Christlicher Glaube ist ohne institutionelle Verankerung schwer lebbar.

Es gibt ja den Spruch: „Not lehrt beten.“ Ist das so in der Pandemie?
Ich bin mir nicht sicher, ob das in Österreich so ist. Zum einen, weil die Menschen hier doch sehr gut abgesichert sind. Man kann auch ohne Gott gut leben. Zum anderen bemerke ich eine gewisse Müdigkeit, wenn es um den Glauben geht. An ein Weiterleben nach dem Tod zum Beispiel.

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Man kann auch ohne Gott gut leben.

Der Erzbischof über Kirchenaustritte

Hilft vielleicht im Gegenteil nur noch beten?
Meine Überzeugung, und diese speist sich aus 45 Jahren gläubigen Lebens, ist: Gebet ist nie umsonst. Es geht nicht ins Leere. Christlich ausgedrückt: Gott erhört jedes Gebet, wenngleich die Erfahrung zuweilen etwas vermeintlich Gegenteiliges zeigt. Gebet erfüllt sich im größeren Ganzen Gottes, Gebet verwandelt den Beter. Wenn man die Psalmen anschaut, diese uralten Gebete, die seit Jahrtausenden gebetet werden, sieht man, dass sie zuweilen mit einer Klage beginnen. Und klagend wird die Klage zur Bitte. Und bittend verändert sich die Bitte und wird schließlich zum Dank. Äußerlich hat sich die Situation des Beters nicht verändert, aber sein Innerstes ist verwandelt. Das ist auch der tiefere Sinn des Gebets.

Haben Sie einen Liebling-Psalm?
Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte.“ Das ist für mich immer noch ein besonderer Psalm. Aber es sind alle schön. Oft ist es gut, auch in fremden Sprachen zu beten. Ich versuche dreisprachig, in Latein, Englisch und Italienisch, zu beten. Ich habe diese Sprachen spät gelernt und sehr mühsam. Damit bleibe ich in der Übung.

Beten Sie auch manchmal Steirisch?
(lacht) Ja, wer mich beten hört, selbst wenn ich englisch bete, würde sagen: „Das muss ein Steirer sein.“

Glauben Sie, dass Weihnachten in Zeiten der Pandemie eine tiefere Bedeutung bekommen hat?
Ja, das glaube ich. Weihnachten hat immer eine tiefere und größere Bedeutung, in Zeiten der Orientierungslosigkeit umso mehr. Hartmut Rosa, der Soziologe, hat am Anfang der Pandemie gesagt, dass wir zu einer neuen Nachdenklichkeit kommen sollten. Im ökologischen Sinn: Wir können nicht mehr länger so mit unserer Natur umgehen. Im ökonomischen Sinn: Eine Wirtschaft, der es nur um Maximierung und Ausbeutung geht, ist nicht mehr länger tragbar. Wir brauchen jedoch auch eine theologische, eine humane Nachhaltigkeit. Vieles, was früher selbstverständlich war, geht heute nicht mehr.

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In meiner Jugendzeit haben wir beim Osterfeuer stapelweise Autoreifen verbrannt. Das wäre heute undenkbar.

Der Erzbischof über Nachhaltigkeit

Woran denken Sie da?
In meiner Jugendzeit haben wir beim Osterfeuer stapelweise Autoreifen verbrannt. Das wäre heute undenkbar. Obwohl möglich, bleibt es Unfug, kurz nach London zu fliegen, nur um dort eine Shoppingtour zu machen und einen Earl Grey Tea zu trinken. Der religiöse Gedanke dazu wäre, dass es über allem eine absolute Instanz gibt, an der wir gemessen werden. Deshalb sollten wir in unserem Tun mitbedenken, was das zu einem späteren Zeitpunkt für Folgen haben kann. Diese Welt ist uns allen anvertraut. Weihnachten ist Anlass, über all das nachzudenken. Dafür steht der Stall von Bethlehem. Da hat Gott einen Schritt auf uns zugemacht. Weihnachten ist eine menschlich-göttliche Übereinkunft.

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Wir müssen wirklich aufpassen, dass der Spalt in der Gesellschaft nicht größer wird. Wenn die Aggressivität, die da und dort sichtbar ist, sich bündelt, dann kann das etwas ins Rollen bringen, das nicht mehr so leicht aufzuhalten ist.

Der Erzbischof über die Spaltung in der Gesellschaft

Nachdenklich macht auch aufgeheizte Stimmung im Land. Hunderttausende sind gegen Corona-Maßnahmen auf die Straßen gegangen. Wie nehmen Sie das als Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz wahr?
Wir müssen wirklich aufpassen, dass der Spalt in der Gesellschaft nicht größer wird. Wenn die Aggressivität, die da und dort sichtbar ist, sich bündelt, dann kann das etwas ins Rollen bringen, das nicht mehr so leicht aufzuhalten ist. Jeder Einzelne kann hier viel bewirken, indem er sich nicht sofort in eine Gruppe stellt. Aus der Sicht einer Gruppe ist alles, was die andere Gruppe sagt oder tut, falsch. Deshalb deeskaliert der, der in der Mitte bleibt. Meine Haltung, sowohl politisch als auch religiös, ist es, einheitsstiftend zu sein. Dafür muss ich in beide Richtungen offen bleiben, Äquidistanz bewahren.

Auch zu Impfgegnern?
Ja, zu allen. Ein lieber Mitbruder, zehn Jahre jünger, ungepimpft, ist im künstlichen Koma. Er ist ernsthaft an Covid erkrankt. Wir hoffen …

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Ein lieber Mitbruder, zehn Jahre jünger, ungepimpft, ist im künstlichen Koma.

Erzbischof Franz Lackner

Ist es mit dem Christsein vereinbar zu sagen: „Ich lass mich nicht impfen, weil mir meine Gesundheit wichtiger, ist als die Gesundheit aller“?
Wenn man mit diesen Worten argumentiert, ist das nicht vereinbar. Ich kenne aber auch Leute, die sich nicht impfen lassen und trotzdem ihren Beitrag leisten, indem sie alle Regeln einhalten, vorsichtig und verantwortungsbewusst sind. Ich persönlich meine, dass die Impfung in dieser schwierigen Zeit alternativlos ist.

Auch die Impfpflicht?
Wir Bischöfe haben öffentlich klargestellt, dass eine Impfpflicht nur als allerletzte Maßnahme infrage kommt. Auch Freiheit ist ein kostbares Gut. Wir werben dafür, sich impfen zu lassen, aber wir zählen auf die Freiwilligkeit.

Es gibt einzelne Priester, die gegen die Corona-Maßnahmen predigen. Kriegen die eine Rüge?
Ja (lacht), manche sind zuweilen immun gegen Rügen. Grundsätzlich gilt: Predigen gegen etwas ist oftmals ein Problem.

Die Bischofskonferenz hat sich auch gegen das neue Sterbehilfe-Gesetz ausgesprochen. Warum soll ein Mensch, der sterben muss, nicht selbst entscheiden können, ob er seinem Leiden ein Ende setzen will?
Diese Freiheit respektiere ich. Aber warum muss eine Institution gegründet werden, damit ein Mensch sich diese Freiheit nehmen kann? Ich glaube nicht, dass es dafür, so tragisch und dramatisch es sein kann, ein Gesetz geben sollte. Man soll den natürlichen Sterbeprozess persönlich und menschlich begleiten und dann aber auch zulassen. Die Palliativmedizin ist in Österreich ist sehr gut entwickelt und vermag Schmerzen zu stillen, dafür können wir dankbar sein. Aber Anfang und Ende des Lebens sind unverfügbar. Je mehr der Mensch sich anmaßt, Anfang und Ende unter seine Verfügbarkeit zu bringen, desto schwieriger wird das Dazwischen, davon bin ich überzeugt.

Aber das Gesetz ist von der Politik beschlossen.
Ja, und es hat Mängel und berücksichtigt die Einwände der Religionen leider nicht.

Apropos Politik: Sie wollten mit dem ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz über die Aufnahme von Flüchtlingen reden. Ist es eigentlich dazu gekommen?
Ja.

Haben Sie da etwas bewirkt?
Ich habe ihn gefragt, ob es nicht möglich wäre, im Sinne einer Ersten Hilfe einen Beitrag zu leisten. Für uns als Kirche ist auch das Symbolhafte sehr wichtig. Er hat dann schließlich argumentiert, dass er sich mit dem Symbolhaften schwer tut.

Was werden Sie dem neuen Bundeskanzler sagen?
Ich werde mit ihm über die beginnende Spaltung des Landes sprechen. Die großen Probleme unserer Zeit, die Ökologie und natürlich auch die Flüchtlingsfrage, sie werden uns bleiben. Die Not wird größer wird. Absperren und wegsperren kann nicht zum Prinzip werden.

Ist die Verantwortung, seit Sie Vorsitzender der Bischofskonferenz geworden sind, eigentlich größer geworden?
Ja, das ist sie. Nichts erbitten, nichts zurückweisen: Nach diesem Motto ist die Rolle auf mich zugekommen Ich bin jedoch keine letzte Instanz bin. Ich habe mehr so eine moderierende Rolle. Ich setze natürlich auch die Akzente. Gelten lassen ist für mich ein wichtiges Wort. Anhören, nachdenken und beten. Ich bin auch sehr dankbar, dass der Herr Kardinal noch da ist und sich mit seiner Erfahrung einbringt.

Das ist ein gutes Stichwort. Sie werden ja immer wieder als sein Nachfolger gehandelt. In unserem letzten Interview haben Sie auf die Frage, ob Sie sich das vorstellen könnten, gesagt: „Ich bin genug gewandert“ …
Das ist meine innere Haltung, ja.

„Nichts erbitten, nichts zurückweisen“? 
(lacht) Bitte, ich bin jetzt 65 und im letzten Abschnitt meines Wirkens.

Könnten Sie es zurückweisen?
Augenblicklich schon. Die Frage stellt sich nicht. Ich setze mich mit dem Gedanken auch nicht auseinander. Wenn das wirklich einmal auf mich zukommen sollte, dann werde ich Ja oder Nein sagen, mit einer klaren Prädetermination zum Nein.

Gibt es irgendetwas, was Sie am Ende Ihres Wirkens, wie Sie es ausgedrückt haben, noch machen möchten?
Darf ich Ihnen dazu eine Geschichte erzählen? Ich wollte immer ein Instrument lernen. Darüber habe ich einmal mit Nikolaus Harnoncourt gesprochen. Es war ganz kurz vor seinem Sterben, ich habe erst danach von der Frau Präsidentin Helga Rabl-Stadler erfahren, dass er große Schmerzen hatte, will er wenig Medikament nahm, um klar und wach zu bleiben. Ich habe ihm gesagt, dass ich in Musik ein Genügend hatte, da fragte er, was ich in Physik hatte. Ich sagte: Auch ein Genügend. Er lachte und meinte, ich solle zu einem Geigenbauer gehen und mir eine Geige mit nur einer Saite bestellen. Damit könnte ich am Abend, bevor ich schlafen gehe, einen schönen Ton spielen. Ich habe das noch nicht gemacht, aber der Gedanke, mich in einen schönen Ton zu verlieben, schlummert in mir.

Was soll man einmal über Erzbischof Franz Lackner sagen?
Es ist nicht leicht, sich selbst objektiv einzuschätzen. (überlegt) Egon Kapellari hat einmal gesagt: „Wir sind alle Verwalter von Teilwissen. Das geht so lange gut, solange sich einige um das Ganze bemühen.“ Also wäre es am ehesten der Satz: Er hat sich stets bemüht, das Ganze zu sehen.

VOM ELEKTRIKER ZUM ERZBISCHOF
Geboren als Anton Lackner am 14. Juli 1956 in Feldbach, Steiermark. Er beginnt eine Elektriker-Lehre, geht im Alter von 22 Jahren als UNO-Soldat nach Zypern, holt dann die Matura nach und tritt in den Franziskanerorden ein, wo er den Namen Franz annimmt. Priesterweihe 1991, Studium der Theologie und Philosophie. 2002 wird Lackner Weihbischof der Diözese Graz-Seckau, 2013 Erzbischof von Salzburg, seit Juni 2020 Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz.

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