Der Nationalpark Hohe Tauern feiert Jubiläum. 1971 wurde er beschlossen. Die Umsetzung wäre in Tirol fast gescheitert. Besuch bei zwei Osttirolerinnen, die sich mit anderen starken Frauen gegen eine 220 Meter hohe Mauer stemmten. Eine Geschichte über Mut und Krapfen mit Botschaft.
„Ausgerechnet ein Touristiker behauptete im Radio, dass die Mehrheit der Kalser für ein Kraftwerk sei. So fing es an.“ Theresia Hartig sitzt im Garten ihres Hauses in Kals-Lesach und erinnert sich an die Ereignisse im Jahr 1985. Es war Sommer und im Schatten des Großglockners braute sich Gigantisches zusammen! Die seit Jahrzehnten gewälzten Pläne eines Mega-Staudamms im Kalser Dorfertal wurden schaurig konkret. „Natürlich gab es Befürworter: in der Politik, unter jenen, die sich Arbeit erhofften. Aber wir wussten: Das Projekt ist Wahnsinn“, sagt die heute 68-Jährige im Gespräch mit der „Krone“.
Initiative starker Frauen
Theresia Hartig war Teil einer Bewegung, die Geschichte schrieb. Eine Initiative, die vor allem von starken Frauen geprägt wurde. Mütter, Bäuerinnen, Gastwirtinnen stemmten sich gegen eine 220 Meter hohe Staumauer, die das Dorfertal in einen Stromsee verwandelt hätte. Die größte Staumauer Österreichs – das war der Plan. „Es war die Betoniererzeit“, meint Hartig und schüttelt den Kopf. „Heute kann man sich das kaum noch vorstellen.“
Im VW-Käfer zum Kampf
Dann erzählt die Kalserin vom Kampf David gegen Goliath. Frauen und Männer, Seite an Seite, Kalser und Verbündete aus Matrei, Prägraten, anderen Orten. Ein silberner VW-Käfer als Guerilla-Taxi. „Wir waren Idealisten, aber als Aktivisten ahnungslos.“ Unterstützung kam von den Helden der Hainburger Au. Viel wurde improvisiert. „Komm schnell, der Kanzler ist im Tal“, hört Hartig noch die Stimme im Telefon. Im nächsten Moment saß sie im VW-Käfer, um Kanzler Vranitzky abzupassen.
Das Volk sagte „Nein“
1987 erwirkte die Bürgerinitiative „Kalser gegen das Dorfertalkraftwerk“ eine Volksbefragung. „63,5 Prozent waren gegen die Staumauer“, zitiert Hartig das Ergebnis. Ein Etappensieg. „Wir hatten jetzt Rückenwind. Die Politiker wollten das bis dahin ja nicht glauben.“ Einfach wurde es dennoch nicht. Nie wird die Kalserin die Anfeindungen vergessen. Aktivisten wurde der Strom abgedreht, Schimpfwörter in den Autolack geritzt, sie selbst bei einer Versammlung als „blond, blauäugig und blöd“ abgekanzelt. „Da war man erst einmal still – bis man wieder Kraft hatte“, sagt Hartig. Aufgeben war dennoch keine Option. Alt-Landeshauptmann Eduard Wallnöfer brachte das Wesen des Kalser Kampfes auf den Punkt: „Hände weg, wenn die Weiberleit aufstehen.“
„Allein gegen Männer“
Freilich: Nicht nur Frauen haben gekämpft. Aber ihr Gewicht war entscheidend. In Matrei treffen wir Theresia Brugger. Sie sitzt in einer Stube des Hotels Hinteregger. Heute führt ihre Tochter den Betrieb. Die Mutter war immer Befürworterin des Nationalparks, erkannte früh den Mehrwert für den Tourismus. Als die Kraftwerkspläne im Dorfertal konkret wurden, saß die damalige 2. Nationalratspräsidentin Marga Hubinek auch in der Stube in Matrei. Brugger: „Ich hab’ sie bewundert. Allein gegen viele Männer, die alle bauen wollten. Nur sie hat gewarnt.“ Fasziniert von Hubineks Courage stellte sich auch die Gastwirtin gegen den Wind. „Eine feine Zeit war das nicht – die Spaltung im Dorf ging tief“, berichtet die heute 76-Jährige von Nachbarn, die sich nicht mehr angeschaut haben. Dabei hätte das Kraftwerk vieles zerstört. Die Umbalfälle wären versiegt. Eine skurrile Idee kam auf: Für Touristen wollte man den Wasserfall tagsüber per Knopfdruck befüllen.
Eine „süße“ Botschaft
Die Kraftwerksgegner entpuppten sich als findige Lobbyisten für die Natur. Bei einem Wahlkampfbesuch gelang es Brugger, Alois Mock versteckt unter Bauernkrapfen eine Botschaft der Aktivisten zuzustecken. Die Klausur der Bundesregierung in Pertisau wurde von den Osttirolern kurzerhand unterwandert. „Wir sind einfach rein und haben versucht, mit so vielen wie möglich zu sprechen.“
Und plötzlich stand Wirtschaftsminister Robert Graf vor den Aktivisten und sprach Denkwürdiges: „Wenn sich’s rechnet, wird’s gebaut. Wenn sich’s nicht rechnet, wird’s nicht gebaut. Den Rest macht’s mit eurem Landeshauptmann aus.“ Das saß, wie Brugger offenbart: „Wir sind dagestanden wie begossene Pudel.“
1989 kam das Aus
1989 verkündete Graf das Aus für die Kraftwerkspläne. Der Kampf war gewonnen, der Weg für den Nationalpark in Tirol frei. Das Dorfertal wurde 1992 mit anderen Landschaftsjuwelen Osttirols ins Schutzgebiet eingegliedert. 30 Jahre später erinnern Hörstationen im Tal an den Mut der Frauen und ihrer Mitstreiter. Dazu meint Brugger: „Der Nationalpark muss im Herzen der Menschen ankommen – sonst wird ihm immer wer den Platz streitig machen.“
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