„Jetzt erst recht!“

Ben Zucker: „Alles kann auch schnell vorbei sein“

Musik
02.05.2021 06:00

„Jetzt erst recht!“ - wohl das richtige Motto zur richtigen Zeit. Für Ben Zucker ist das dritte Album aber nicht nur ein weiterer Mosaikstein zu seiner Erfolgskarriere, sondern auch die Abhandlung einer für ihn harten Zeit. Doch Troubles ist der 37-Jährige gewohnt. Eine Reflektion über einen Spätstarter, der ganz bei sich selbst geblieben ist.

kmm

Dem deutschen Pop-Schlager-Durchstarter Ben Zucker kann man viel attestieren, aber bestimmt keine überbordende Entspanntheit. „Na und?!“ fragte er provokant bei seinem 2017er Debüt, mit dem er sich vom Stand weg in die Oberliga des Schlagers sang. Mit „Wer sagt das?!“ gelang ihm zwei Jahre später in Deutschland sogar die Nummer eins und 2021 heißt es „Jetzt erst recht!“. Rufzeichen, Angriffsparolen, Offensive. „Warum denn gar so kantig Ben?“ haben wir schon vor zwei Jahren im Interview gefragt. „Das ist einfach eine rebellische Haltung, die ich an mir mag“, antwortete er mit seiner bekannten Reibeisenstimme und einem verschmitzten Lächeln, „der Tenor ist eher Trotz und nicht Angriffslust. Es geht darum, sich nicht alles sagen und sich nicht verbiegen lassen.“ Mittlerweile hat Zucker rund 600.000 verkaufte Tonträger zu Buche stehen und die Konzerthallen wurden in rasantem Tempo größer. Dass ihn Covid ausgerechnet am Gipfelsturm temporär in die Knie zwang muss er so hinnehmen wie andere auch - doch freilich gibt es schlimmere Schicksale, was er sehr gut weiß.

Mudhoney bis Gabalier
Zucker hat als Kind die Zusammenlegung der Bundesrepublik Deutschland erlebt. Er wuchs mit seinen Eltern und zwei Geschwistern im Ostberliner Ortsteil Mitte auf, kam kurz vor dem Mauerfall nach Westdeutschland und kehrte später nach Berlin zurück, um in einem besetzten Haus zu leben und den linksgerichteten Fußballverein Union Berlin anzufeuern. Die Vita liest sich schon jetzt ganz anders als jene des steirischen Volks-Rock’n’Rollers Andreas Gabalier, mit dem er vor allem am Anfang seiner Karriere oft und gerne verglichen wurde. Wer sich die Mühe machte ein bisschen Recherche zu betreiben wusste aber schnell, dass sich maximal die kantige Stimme mit dem Österreicher deckt, sonst aber wenig bis gar nichts. Als ihm sein Vater mit 14 eine Gitarre in die Hand drückte war es um Zucker geschehen. Auch wenn es anfangs noch Nirvana- und Mudhoney-Songs waren, die er auf den sechs Saiten klimperte. Die Erinnerungen an diese Zeit sind noch heute mehr als gut.

„Natürlich hatte ich Ängste, aber mir war immer klar, was ich machen will. Die Miete und meine Rechnungen habe ich mir mit Nebenjobs finanziert - anders ging es nicht. Ich konnte die Musik, die ich schon so früh liebte, nicht aufgeben. Ich habe in jungen Jahren Klamotten verkauft. War ganz ordentlich angestellt, mit netten Kollegen, Urlaubstagen, Sonderzahlungen und Sicherheiten, aber das war einfach nicht meins. Jeder Job hat seine Berechtigung, aber ich kann nur Musik machen.“ Diese Klarheit hört man schon im Opener „Guten Morgen Welt“, wo er sich gegen einen 9-to-5-Job stellt und die liebgewonnene Freiheit feiert. Erfolg ist nicht alles, ist das Credo - auch wenn das aus dem Mund eines Chartstürmers mäßig glaubwürdig klingt. Seine Vergangenheit steht ihm dabei aber zur Seite. „Ich komme vom Liedermachen und als ich jünger war, war ich so der melancholische Abiturient, der sich mit schlauen Gedanken der Welt stellen wollte. Irgendwann musste ich aber auch mal meine textliche Komfortzone verlassen und mich klarer ausdrücken.“

Diener des Publikums
Zu diesem Zeitpunkt kam seine Karriere, die ihn erst jenseits der 30 an die Spitze spülte, erstmals ins Laufen. Kompromisse musste Zucker dafür aber nicht eingehen. „Ich kann Leuten, die in einem Songtext 26 Fremdwörter verwenden, selbst nicht mehr folgen. Mir ist das zu egoistisch. Am Ende des Tages bin ich Handwerker und das Publikum ist mein Boss. Es entscheidet ganz alleine, ob ich bleiben darf. Niemand will sich da draußen eine Platte von jemandem kaufen, der einen mit seinen Problemen volljammert. Bei meinen Konzerten sollen die Fans für zwei Stunden alles vergessen können. Sie sollen nicht überall sein, sondern direkt bei mir.“ Die plötzliche Stille des Jahres 2020 war für den öffentlichkeitsliebenden Zucker nicht einfach, aus dem persönlichen und emotionalen Loch musste er sich mit viel Anstrengung selbst rausziehen. Er verzichtete auf Alkohol, verordnete sich ein rigoros Sport- und Ernährungsprogramm und ist plötzlich 17 Kilo leichter und eine gefühlte Generation Lebensjahre gesünder.

All das führte dazu, dass Zucker auf „Jetzt erst recht!“ noch persönlicher, authentischer und offener geschrieben hat als ohnehin schon. Das hört man poppigen Schlagerhits wie „Bist du der Mensch“, „Danach fragt die Liebe nicht“ oder „Schon wieder für immer“ durchaus na. Mehr oder weniger mit Metaphern durchzogen. Eine Art Seelenstriptease mit dem Mut zur Schwäche, aber genug Selbstliebe, um gestärkt aus allen Problemen herauszukommen. Eine Einstellung, die ihn seine Heimat lehrte, auch wenn er die Kreativblase Berlin mitunter kritisch sieht. „Viele reden nur groß. Sagen, sie machen dieses und jenes und kriegen aber nichts auf die Reihe. Im Endeffekt sagt dir jemand, er würde 100 wichtige Leute kennen und dann kommst du drauf, dass die Freundin von seinem Cousin dritten Grades beim Plattenlabel Kaffee kocht. Daran ist natürlich nichts schlecht, aber in dieser Bubble verkaufen sich die Leute gerne besser als sie eigentlich sind. Viel Wind um nichts.“

Schutzmantel abgelegt
Zucker ging stets seinen eigenen Weg. Der führte in einerseits in hohe kommerzielle Sphären, wurde andererseits aber auch mit reichlich Kritik begleitet. „Manchmal muss man egoistische Entscheidungen treffen und kann nicht jeden mitziehen. Für mich waren immer zwei Sachen glasklar. Erstens: mach deinen Job auch dann, wenn keiner hinsieht. Zweitens: wenn alle in der Disco sind und feiern, bleibst du schön zuhause und schreibst Songs. Wenn du willst, dass die Leute irgendwann einmal zu deiner Musik abtanzen, dann musst du die Extrarunden drehen. Das Vergnügen hat nicht immer Vorrang.“ So wie 2008, als er erstmals öffentlich auf Deutsch „ich liebe dich“ sang und den Schutzmantel des Englischen endgültig ablegte. „Ich musste zu dem stehen, worüber ich singe. Aber so konnte ich meine Gefühle endlich klar transportieren.“ Zehn Jahre später war er Support von Helene Fischer auf ihrer großen Stadiontour. Sein wohl wichtigster Karriereboost, der ihn aber auch endgültig vom Pop-Rock- in den Schlagerbereich trieb.

„Für all jene, die mich damals gar nicht kannten war es natürlich leicht mich einzuordnen. Für mich ist das okay. Ich verstehe mich nicht als Revolutionär, aber ich bin schon jemand, der gerne Stile und Genres aufbricht, um neue Plattformen zu schaffen.“ Dass Zucker erst im gesetzteren Alter der große Durchbruch gelang, ist kein dezidierter Vorteil. „Ich war schon als 18-Jähriger sehr bodenständig und immer klar bei mir. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass so ein Erfolg damals im emotionalen Kontext ein anderes Ausmaß gehabt hätte. Ich bin über die Jahre ohne Erfolg erwachsen geworden und lernte, mit allen Hochs und Tiefs umzugehen. Wenn es gut läuft ist es klar, dass dich alle als den Besten sehen, denn sie wollen mit dir Geld verdienen. In diesen frühen Momenten ging es aber darum, die Dinge klar zu sehen und sie richtig einzuordnen, auch das richtige Umfeld zu schaffen. Es kann ja alles schnell wieder vorbei sein und dann solltest du besser die richtigen Leute kennen.“

Live in Wien
Am 18. Februar 2022 wird Ben Zucker im Zuge seiner „Jetzt erst recht!“-Tour live in der Wiener Stadthalle F zu sehen sein. Weitere Infos und Karten zu Show gibt es unter www.oeticket.com.

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
kein Artikelbild
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele
Vorteilswelt