Betroffene über Alltag

„Ich bin eine Kellnerin und keine Lieferantin“

Tirol
31.03.2021 13:19

Wegen der Corona-Pandemie mussten Gastronomen völlig umdenken, auf Lieferservice umsteigen. Oft sind „Lieferanten“ mit skurrilen Situationen konfrontiert - bis hin zu nackten Männern. Der Unmut über die aktuelle Situation ist groß. Zwei Tirolerinnen plaudern über ihre Erfahrungen im Alltag ...

Nazan ist in ihren 30ern und Kellnerin. Eigentlich. Seit November drückt sie in Innsbruck und Umgebung Leuten Essen in Säcken in die Hand, anstatt es im Restaurant am Teller zu servieren. „Am Anfang hat es Spaß gemacht, es war etwas Neues“, erzählt sie. „Aber nach einem Monat wollte ich den ,normalen‘ Betrieb zurück.“ Nazan ist in Kurzarbeit. Ihr Mann, der als Koch ebenfalls in der Gastrobranche tätig war, ist arbeitslos, lässt sich umschulen und wird - wie viele andere wohl auch - nicht mehr in die Branche zurückkehren.

Pro Monat fehlen den beiden und ihren zwei Kindern rund 1500 Euro. Mit ein Grund: Kaum mehr Trinkgeld. „Statt 50 Euro pro Tag sind es nur mehr zirka vier“, rechnet Nazan vor.

Angstgefühl im Dunkeln
Nazan und ihre Kollegin Barbara sind neue Gesichter in der Lieferszene. Anfangs hatten sie Angst, wenn sie im Dunkeln durch die Pampa fahren mussten. Oder im Lift eines Hochhauses plötzlich das Licht ausging und ein fremder Mann einstieg. „Du weißt ja nie, wer die nächste Tür aufmacht“, sagt Barbara. Und Nazan ergänzt: „Meistens weiß das Restaurant ja, wo man ist. Aber wenn die Kunden eine falsche Adresse angegeben haben und du mit ihnen telefonierst, um die richtige zu erfahren, weiß niemand mehr, wohin man fährt.“

Auch in der Küche gab es einige Umstellungen. (Bild: Birbaumer Christof)
Auch in der Küche gab es einige Umstellungen.

Verluste über Verluste
Zu Beginn der Schließungen im November musste der Betrieb viele Lebensmittel wegwerfen, vor allem Getränke. „Sogar das Bier ist abgelaufen“, erinnert sich Nazan. Der Lieferservice deckt „grad und grad die Fixkosten“, der Umsatz ging um 70 Prozent zurück. Investitionen mussten trotzdem getätigt werden: Man brauchte Autos zum Ausliefern und Lieferboxen für den Transport.

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Manchmal kommt stundenlang keine Bestellung rein, dann viele auf einmal.

Nazan

Auch das Küchenpersonal musste sich umstellen und verliert seit November nicht nur durch zusätzliche Handgriffe Zeit, sondern auch durch lieferbedingte Verzögerungen: „Der Koch muss mit dem Anrichten der Gerichte warten, falls gerade kein Fahrer da ist. Manchmal kommt stundenlang keine Bestellung rein, dann viele auf einmal“, schildert Nazan. Dann müsse alles ganz schnell gehen.

Unnachsichtige Kunden
Die erschwerten Bedingungen, unter denen die Gastronomen momentan arbeiten, kann nicht jeder Kunde nachvollziehen. Einmal schrieb jemand eine schlechte Bewertung, weil „die Pommes früher im Lokal knuspriger“ waren. Wenn man durch die ganze Stadt fahre, um eine Bestellung zu liefern, sei klar, dass „die Burger nicht mehr so warm und die Pommes nicht mehr so knusprig sind, wie normal“, sagt Stefan, Küchenchef des Restaurants.

Dass Pommes und Burger nicht so knackig wie im Restaurant serviert ankommen, stößt manchem Kunden sauer auf. (Bild: Birbaumer Christof)
Dass Pommes und Burger nicht so knackig wie im Restaurant serviert ankommen, stößt manchem Kunden sauer auf.

Baum versperrt Zufahrt
Eine weniger nette Bewertung von einem „sehr netten Mann“ hat auch Nazan kürzlich erhalten. Das Liefergebiet des Restaurants ist groß und die gelernte Kellnerin kennt nicht jede Straße. Deshalb hört sie auf das Navi. Das hat sie aber auf einen dunklen Waldweg gelotst – und plötzlich lag in der Mitte ein Baum, der den Weg versperrte. „Ich musste dann den Kunden anrufen und fragen, wie ich da wieder wegkomme“, sagt Nazan. Schlussendlich sei er zu ihr gefahren und habe ihr den Weg zurück gezeigt. Nicht, ohne noch einen blöden Kommentar abzugeben: Wäre er selbst nicht so ortskundig gewesen, säße sie vermutlich noch heute dort, meinte er. Aber Nazan konterte: „Wir sind Kellnerinnen und keine Lieferanten!“

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Einmal ist ihm das Handtuch runtergefallen! Da hab’ ich schnell weggeschaut und das Essen hingehalten.

Barbara

Der Mann im Handtuch
Als Lieferantinnen bekommen Nazan und Barbara oft Einblicke in Privates: Menschen öffnen die Tür im Bademantel oder beinahe nackt. „Wir haben einen Bodybuilder als Stammkunden. Er öffnet immer nur mit einem Handtuch um die Hüfte“, plaudert Barbara aus. „Aber einmal, da ist ihm das Handtuch runtergefallen! Da hab’ ich schnell weggeschaut und das Essen hingehalten“, lächelt sie.

Die Dame in der Dusche
Das Lachen vergeht Barbara und Nazan jedoch, wenn sie klingeln, aber niemand öffnet, und wenn sie anrufen, aber niemand abhebt. Als Nazan dann kürzlich schon wieder am Weg zurück ins Restaurant war, bekam sie einen Anruf von der Kundin: Sie sei unter der Dusche gewesen. Nazan fuhr retour – doch abermals machte niemand die Tür auf, wieder hob niemand ab. „Wir ließen die Frau dann sperren“, verrät Nazan.

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Wir brauchen Planungssicherheit. Es ist unfair, dass der Handel offen hat, die Gastro nicht.

Nazan

Ärgerliche Stornos
Ein Storno bedeutet nicht nur Zeit- und Geldverlust, sondern auch bürokratischen Aufwand. Zudem: „Das Essen wird meist weggeschmissen, wobei es Leute gibt, die verhungern!“, ärgert sie sich und appelliert an die Politik: „Wir brauchen Planungssicherheit. Es ist unfair, dass der Handel offen hat, die Gastro nicht.“ Während man Privatpartys nicht unter Kontrolle haben könne, wäre das in Restaurants sehr wohl möglich. Aber vor allem geht es Nazan um eines: „Ich will wieder tun, was ich gelernt habe und was mir Spaß macht.“

Melina Mitternöckler, Kronen Zeitung

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