Nordirland-Drama

GB: Cameron entschuldigt sich für “Bloody Sunday”

Ausland
15.06.2010 17:07
Der britische Premier David Cameron hat sich im Namen der Regierung für die tödlichen Schüsse britischer Soldaten auf Demonstranten in Nordirland beim sogenannten "Bloody Sunday" 1972 entschuldigt. Er bedaure die Rolle der britischen Armee bei der Gewalt vor 38 Jahren zutiefst, sagte Cameron am Dienstag bei der Vorstellung der Ergebnisse einer zwölfjährigen Untersuchung der damaligen Ereignisse im Unterhaus in London.

Britische Fallschirmjäger hatten am 30. Jänner 1972 im nordirischen Londonderry (Derry) auf Teilnehmer einer nicht genehmigten Demonstration gegen die Internierung mutmaßlicher Mitglieder der pro-irischen Irischen Republikanischen Armee (IRA) geschossen. 13 Menschen starben an diesem "Blutsonntag", ein weiterer erlag Monate später seinen Verletzungen. Der Vorfall war Auftakt des blutigen Bürgerkriegs zwischen katholischen irischen Nationalisten und protestantischen pro-britischen Unionisten in Nordirland, bei dem bis zum Friedensabkommen von 1998 ("Karfreitagsabkommen") mehr als 3.500 Menschen getötet wurden.

Soldaten haben "die Selbstkontrolle verloren"
"Die Ergebnisse der Untersuchung sind völlig eindeutig", sagte Cameron vor den britischen Abgeordneten. "Die Regierung ist letzten Endes für das Verhalten des Militärs verantwortlich. Im Namen der Regierung und des Landes sage ich: Es tut mir zutiefst leid." Die Soldaten seien bei dem Bürgerrechtsmarsch in Londonderry - entgegen ihren früheren Behauptungen - nicht zuerst beschossen worden. Einige hätten "die Selbstkontrolle verloren". Keines der Opfer hätte eine Gefahr für die Soldaten dargestellt, so der Premier.

Eine erste Untersuchung war 1972 nach nur zwei Monaten abgeschlossen worden. Richter Lord Widgery rügte in seinem 39-seitigen Bericht die Soldaten für Schüsse, "die an Unbesonnenheit grenzten". Doch Widgery akzeptierte die Aussagen der Soldaten, dass sie auf IRA-Angriffe reagiert hätten und erklärte, er vermute - ohne dass ihm belastbare Beweise vorlagen -, dass einige der Getöteten im Verlauf des Nachmittags Waffen abgefeuert oder mit Bomben hantiert hätten.

"Katastrophe für die Bevölkerung in Nordirland"
Die 1998 nach dem Karfreitagsabkommen vom damaligen britischen Premier Tony Blair in Auftrag gegebene Untersuchung unter Leitung von Lordrichter Mark Saville kommt aber nun zu dem Ergebnis, dass die Soldaten im Unrecht waren. Demnach war keines der Opfer bewaffnet, zudem hätten die Soldaten ohne Vorwarnung geschossen. Den "Blutsonntag" bezeichnet der 5.000-seitige Bericht als eine "Katastrophe für die Bevölkerung in Nordirland".

In Londonderry wurde das Ergebnis der zwölfjährigen Untersuchung mit Jubel aufgenommen. Tausende verfolgten auf einer Großleinwand Camerons Ausführungen, darunter auch Angehörige der 14 Opfer. Sie hatten zuvor in einem Schweigemarsch die "volle Wahrheit" gefordert. Kritisch äußerte sich hingegen die protestantische DUP, die den Regierungschef in Nordirland stellt. Der DUP-Abgeordnete Gregory Campbell erinnerte daran, dass der Tod von "Hunderten anderen Opfern" niemals untersucht worden sei.

Offen bleibt, ob der Abschlussbericht die Wunden der Vergangenheit heilen und damit den Friedensprozess unterstützen kann, oder ob er nur zu neuen juristischen Auseinandersetzungen führt. Richter Saville gewährte den Fallschirmjägern, die damals das Feuer eröffneten, Anonymität im Zeugenstand und weitgehende Immunität vor Strafverfolgung. Rechtsexperten zufolge besteht dennoch Spielraum für zivilrechtliche Klagen gegen frühere Soldaten, insbesondere dann, wenn Anwälte aufzeigen können, dass diese Saville belogen hatten.

"Wollen eine Unschuldserklärung für unsere Leute"
Doch die Überlebenden sagen auch, dass es ihnen vor allem um eine Rehabilitierung der Toten geht, nicht um Rache. Wichtig sei, dass die Wahrheit ans Licht gebracht werde, sagte etwa John Kelly, dessen 17-jähriger Bruder Michael am "Bloody Sunday" erschossen wurde. "Wir wollen eine Unschuldserklärung für unsere Leute."

"Ich muss jeden einzelnen Tag daran denken", sagt Linda Roddy, die an jenem Tag ihren 19-jährigen Bruder Willie Nash verlor. Ihr Vater Alex wurde von Schüssen verletzt, als er seinem sterbenden Sohn beistand. "Ich will, dass diese Untersuchung öffentlich erklärt, dass mein Bruder und mein Vater keine Gangster oder Bombenleger waren."

230-Millionen-Euro-Untersuchung dauerte zwölf Jahre
Der sogenannte "Saville-Report" ist die teuerste und längste Untersuchung in der britischen Geschichte. Die Arbeiten dauerten zwölf Jahre und kosteten umgerechnet rund 230 Millionen Euro. Insgesamt hatte die Kommission über 900 Zeugen befragt und Aussagen von 2.500 Menschen gesammelt.

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