„Moscheen-Route“

Europa muss sich auf neue Asyl-Welle vorbereiten

Ausland
31.05.2018 18:30

Drohen uns heuer ähnlich chaotische Zustände wie während der großen Flüchtlingswelle im Jahr 2015? Nachdem sich zuletzt entsprechende Berichte häuften, bestätigt nun ein Migrationsexperte des Innenministeriums, dass es in Griechenland „heuer nahezu eine Verdreifachung der Ankünfte“ von Flüchtlingen gebe. Außerdem entstehen angeblich gerade neue Routen, wie etwa die „Moscheen-Route“, auf der Gotteshäuser eine Unterstützung für Migranten bei ihrer Reise bieten sollen.

Peter Webinger, Leiter der Gruppe Asyl, Migration, Menschenrechte im Innenministerium, ist überzeugt davon, dass sich durch eine steigende Anzahl an Flüchtlingen eine „durchaus angespannte Situation“ ergeben werde. So dramatisch wie 2015 werde sich die Lage wohl nicht entwickeln - obwohl es ein mindestens ebenso großes Potenzial in den Krisenregionen gebe. Geschichte wiederhole sich nie 1:1 und heute würden von den Zielstaaten andere Signale ausgesendet als bei der großen Flüchtlingswelle vor drei Jahren.

Der Experte sieht ein Risiko für einen großen Ansturm im kommenden Jahr, sofern keine Vorsorge getroffen wird. Der Anstieg im Jahr 2014 habe schließlich zu den Ereignissen im Folgejahr geführt. Dies könnte auch 2019 passieren.

Das hat auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erkannt, der eine Wiederholung der Ereignisse verhindern möchte: „Es ist notwendig, rechtzeitig gegen das Entstehen einer neuen Migrationsroute anzukämpfen“, erklärte Kurz und sicherte Albanien aus diesem Grund finanzielle Unterstützung zum Schutz der EU-Außengrenze zu.

Videos beschreiben besten Weg nach Europa
Die neue Balkanroute, die derzeit entsteht, führt über Albanien und weiter über Montenegro oder Serbien und Bosnien-Herzegowina nach Kroatien. Fachleute vor Ort bezeichnen diese auch als „Moscheen-Route“: Die Gotteshäuser entlang des Weges sollen den Flüchtlingen Unterstützung bei der Migrationsbewegung bieten. Aktuell kursieren im Internet auch etliche Videos, die auf Arabisch eine detaillierte Route durch die Region in die EU beschreiben.

Doch es gibt auch andere Entwicklungen, die zu einer Zunahme von Flüchtlingsbewegungen führen könnten. Webinger weist hier etwa auf eine Visa-Liberalisierung für Iraner hin, die nun per Direktflug Serbien ansteuern können. Viele der Iraner würden weiterziehen, das Land sei in Österreich und Deutschland nunmehr auch unter den Top drei der Asyl-Herkunftsstaaten.

„Darstellung nicht aufgebauscht“
Darstellungen, wonach die Gefahr einer neuen Flüchtlingswelle aufgebauscht werde, weist der Beamte zurück. Nicht nur gebe es ein deutlich erhöhtes Flüchtlingsaufkommen an der türkisch-griechischen Grenze, auch in den Balkan-Staaten würden erhöhte Zahlen registriert. So gab es heuer in Bosnien bisher fast 4400 Ankünfte, im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 207.

Österreich sieht Webinger diesmal gut vorbereitet, würden doch die Krisenherde ebenso wie aktuelle Migrationsbewegungen nun noch besser beobachtet. Auch sei man mit anderen betroffenen Staaten im ständigen Austausch. Vage bleibt der Experte, wenn es darum geht, ob die Staaten an den EU-Außengrenzen entsprechend aktiv werden. Es gebe überall „ein gewisses Maß an Kooperationsbereitschaft“. Freilich sei bei einem reinen Transitstaat die Betroffenheit aber anders.

Experte: Rettung aus See sollte nicht automatisch Ticket in die EU sein
Grundsätzlich rät Webinger zu Realismus. Wer Freizügigkeit im Inneren des Schengenraums wolle, müsse einen starken Außengrenzschutz bejahen. Wenn etwas grenzenlos sein solle, dann „unsere Moral“. Das Augenmerk sei vor allem auf jene zu richten, die zu schwach seien und sich die Flucht nicht leisten könnten. Zudem gelte es zu beachten, was es für eine Gesellschaft vor Ort bedeute, wenn die dortigen Eliten gingen. Für Syrien und den Irak werde sich etwa diese Frage beim Wiederaufbau des Landes stellen. Wichtig ist für ihn Hilfe in den betroffenen Regionen, aber auch, dass eine Rettung auf See nicht automatisch einen Transport nach Europa nach sich ziehen müsse.

Auch das in Wien ansässige International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) hält ein Flüchtlingsszenario mit Ausmaßen wie vor ein paar Jahren für unwahrscheinlich. „Warnsignale“ nehme aber auch das ICMPD wahr, teilte Martijn Pluim, Direktor für Migrationsdialog und -kooperation, mit. Zahlenmäßig sei die Situation zwar nicht vergleichbar mit jener von 2015 - in dem Jahr wurden mehr als eine Million Asylanträge in Europa gestellt -, die Lage könnte sich aber „durchaus verschärfen“. Wenn sich bestimmte Routen als „erfolgreich für die Migranten“ erweisen, könne die Situation „außer Kontrolle geraten“.

Niemand hat Interesse an einem Chaos wie 2015“
„So weit wird es aber wahrscheinlich nicht kommen, weil sich doch ein paar Dinge geändert haben“, attestierte der Experte. Vor allem habe sich der Informationsaustausch zwischen den betroffenen Ländern verbessert. Alleine die Grenzen zu schließen, könne jedenfalls nicht die Lösung sein - neben starker und frühzeitiger Zusammenarbeit brauche es auch verbesserte Empfangszentren, in denen schneller festgestellt werden kann, wer schutzbedürftig ist und wer nicht. Auch müsse jenen, die Schutz und Hilfe benötigen, diese schnell zur Verfügung gestellt werden und umgekehrt auch die Rückkehr für Nicht-Asylberechtigte effektiver gestaltet werden. Pluim: „Es muss ein Gesamtpaket sein.“

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