Reise ins Mittelalter

Estland, Lettland, Litauen: Keine High Heels im Baltikum

Reisen & Urlaub
12.01.2013 17:00
Wunderschön restauriert und doch ursprünglich präsentieren sich die Hauptstädte der Balten-Staaten. Eine Reise nach Estland, Lettland und Litauen umfasst Zeitepochen vom Mittelalter bis in die moderne Jetzt-Zeit. Da ist bequemes Schuhwerk gefragt.

Meine Oma selig ist schuld. Sie hat mich als Kind mit dem Fernweh-Virus infiziert. "Estland, Lettland, Litauen" klang für mich so - geheimnis- und verheißungsvoll. Die Omama schwärmte von Tallinn, Riga, Vilnius, erzählte von den damals schier unerreichbaren, weil unter Sowjet-Herrschaft stehenden Ländern, als lese sie aus einem Märchenbuch vor.

Es sollten sehr, sehr viele Donnerstage ins Land ziehen und meine Oma nicht mehr sein, bis ich endlich dorthin kommen sollte: ins Baltikum. Ein bisschen mehr als zwei Stunden Flug, um im Mittelalter zu landen, das soll den Esten einmal jemand nachmachen. Wobei das keinesfalls abwertend zu sehen ist - aber in der Hauptstadt Tallinn wird eben diese Epoche gehegt und gepflegt. Seit 1280 wird Tallinn als Hansestadt geführt, die schmucken Häuschen in der Altstadt sind frisch herausgeputzt, die Jugend zeigt in alten Kostümen Nationalstolz. Und in flachen Schuhen. Ein Tipp, liebe Leserin: Lass die High Heels zu Hause, sie vertragen sich nicht mit Kopfsteinpflaster aus dem 14. Jahrhundert!

Stadt ohne Hektik
Hektik ist ein Fremdwort in Tallinn, im Baltikum wird über die langsamen, aber offenbar peniblen Esten gespöttelt: "Wo ein Schnitt genügt, braucht ein Este sieben!" Sie tun gut daran, gilt das Euroland doch als die Schweiz des Nordens - das den einst verbundenen Nachbarn Lettland und Litauen heute wirtschaftlich unter die Arme greifen kann. Dass der "Lange Herrmann", einer der höchsten Türme der Stadt und früher das Gefängnis, nun heute just das Parlament ziert, ist fast schon ein Treppenwitz.

Während sich die Stadt zur Tourismus-Metropole entwickelt, ist das Bild der Überlandfahrt zum Nachbarn Lettland ein anderes: wunderschöne Holzhäuser, "die nach dem Geld weinen", sprich, renovierungsbedürftig sind. Pärnu, der Kurort an der Küste mit dem sanduhrfeinen Sand, hat sicher auch schon mondänere Zeiten gehabt. Und Riga wirkt im Gegensatz zu Tallinn noch immer sehr russisch mit seinen mächtigen Denkmälern. Selbst die Jugendstilbauten, für die die Hauptstadt sich rühmt, scheinen fast ärmlich. Dabei verfügt man doch über ein "Wundermittel" - den Rigaer schwarzen Balsam, ein Gebräu aus 23 Kräutern mit 45 Prozent Alkohol. Es soll gegen alles helfen - außer Liebeskummer und Schwangerschaft.

Auf dem Weg nach Litauen empfiehlt sich ein Stopp bei Schloss Rungale, einem prunkvollen Barockbau. Da weiß man dann wieder, wo Geld wohnt…

Widerstand gegen Knechtschaft
Gleich nach der fließenden grünen Grenze empfängt einen auch schon eine der höchsten Erhebungen des Baltikums: der Berg der Kreuze, 25 Meter hoch. Auch Papst Johannes Paul II. spendete eines der Millionen Kruzifixe und segnete Litauen. Es gilt als wundersamer Ort: Die Sowjets ließen die Kreuze immer wieder entfernen, sie wuchsen quasi über Nacht wieder nach - für Balten ein Zeichen des Widerstands ihrer empfundenen Knechtschaft.

Die Russen haben heute noch einen großen Zeh auf dem Baltikum - die Enklave Kaliningrad, auf das man von der Kurischen Nehrung hinüberspucken könnte. Die 98 Kilometer lange und an ihrer breitesten Stelle gerade mal 380 Meter "dicke" Landzunge entstand der Sage nach durch die Riesin Neringa, die sehr freundlich vor allem zu den Fischern war. Nach einem Jahr durchgehenden Sturms reichte es ihr, und sie schüttete mit ihrer riesigen Schürze Sand auf. So entstand eine fischreiche, geschützte, riesige Bucht, die auch Schriftsteller Thomas Mann entzückte. Er hatte in den hohen Dünen eines der typisch bunten Holzhäuser. Kleipeda, zu Deutsch Memel, und das Wasserschloss Trakai sind Zeugen einer Vergangenheit, die nicht immer nur trist und grau war. Die dort genossenen Pirogi nach altem Rezept - eine Germteigtasche, gefüllt mit Lamm oder Huhn und Kraut, sind g'schmackiges "Fast Food", das sich ins Heute herübergerettet hat.

"Ich liebe dich"
Richtig liebevoll empfängt uns Vilnius, die Hauptstadt Litauens. An den Ufern des Flusses Neris steht auf der einen Seite: "Ich liebe dich", auf der anderen: "Ich dich auch". Aus dem einstigen Studentengag, mit Farbe auf den Rasen gespritzt, ließ der Bürgermeister ein Blumenmeer setzen. Dieses findet man auch im Garten des "Weißen Hauses", des Regierungssitzes der Präsidentin. Mit dieser Dame sollte man sich eher nicht anlegen, weiß mittlerweile ganz Europa: Sie war EU-Finanzministerin und hat einen schwarzen Gürtel in Karate!

Die litauische Sprache gilt als die älteste gesprochene Sprache Europas, sie setzt sich aus Sanskrit, Latein, Griechisch und Türkisch zusammen. Sie entstand aus Büchern, die ins Land geschmuggelt wurden. Welchen Stellenwert Lesen hat, zeigt die prachtvolle Buchhandlung in der Universität, in der nicht nur alte Sternenkunde gelehrt wird, sondern auch moderne Technik.

Ach Omi, hättest du das doch auf deiner Wolke da oben. Dann hätt ich dich angerufen und dir gesagt, dass Estland, Lettland, Litauen wirklich so faszinierend sind, wie du mir dereinst erzählt hast…

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