Mit Kollegen des Departments für Geodynamik und Sedimentologie an der Universität Wien hat Decker untersucht, wo im Wiener Becken geologische Störungsbereiche verlaufen, und ob sie schon heftige Erdbeben verursacht haben.
"Ein starkes Erdbeben versetzt die Landoberfläche und dadurch entsteht eine Geländestufe", sagte er. Diese würde zwar in der Regel durch Erosion und Umlagerungen eingeebnet, doch solche Versetzungen und Umlagerungen könne man durch Grabungen und geophysikalische Untersuchungen in drei bis vier Metern Tiefe erkennen, und den Zeitpunkt sowie teilweise auch die Stärke des Erdbebens bestimmen.
Bei der Markgrafneusiedler Bruchzone im Weinviertel (Niederösterreich) habe sich zum Beispiel herausgestellt, dass sie in den vergangenen 100.000 Jahren mindestens fünf schwere Erdbeben ausgelöst hat, die teilweise Stärke (Momenten-Magnitude, Mw) sieben erreichten, so wie jenes 2010 in Haiti, das etwa 316.000 Todesopfer gefordert, die Stadt Leogane zu 90 Prozent zerstört und in der Hauptstadt Port-au-Prince Tausende Gebäude zum Einsturz gebracht hat.
Beben dieser Stärke hierzulande bisher unvorstellbar
"Bisher galt ein so starkes Erdbeben für Österreich als unvorstellbar", erklärte Decker, der gemeinsam mit seiner Kollegin Esther Hintersberger in der Geologischen Bundesanstalt seine Ergebnisse präsentiert hat. Doch die Störungsabschnitte im Wiener Becken seien groß genug, um auch hier und heute solche Erschütterungen mit Magnituden bis Sieben auszulösen.
"Viele Störungsbereiche im Wiener Becken werden als ungefährlich eingestuft, weil sie in historischer Zeit keine Erdbeben ausgelöst haben", so Decker. Doch Erdbeben-Aufzeichnungen gäbe es erst seit etwa 1900, und auch Chroniken etwa von Klöstern, die oft über Naturereignisse berichten, seien meist nur ein paar hundert Jahre alt. Der Markgrafneusiedler Bruch bewegt sich zum Beispiel um weniger als ein Zehntel Millimeter im Jahr und produziert dadurch nur alle paar 1.000 bis 10.000 Jahre Erschütterungen, erklärte er. So weit würden die historischen Quellen nicht zurückreichen.
"Für eine verlässliche Gefährdungsabschätzung sollte man die Bruchlinien im Wiener Becken daher systematisch charakterisieren und herausfinden, wann sie große Erdbeben ausgelöst haben, wie oft das passiert, und wie stark sie sein könnten", sagte er.
Potenzielle Gefahr erst unzureichend erforscht
Die Hauptbruchlinie verläuft vom Semmering am Leithagebirge vorbei in die Gegend von Marchegg und dann entlang der Kleinen Karpaten nach Dobra Voda in der Slowakei, so Decker. Sie bewege sich einen Millimeter pro Jahr. Von ihr zweigen andere Bruchlinien ab, und zwar der besagte Markgrafneusiedler Bruch, der Aderklaaer Bruch, der Leopoldsdorfer Bruch sowie der Bisamberg-Nussdorf Bruch. "All diese Brüche sind durch historische Erdbebendaten nicht vollständig charakterisiert und die Häufigkeit von Erdbeben, die sie produzieren können, ist unbekannt", sagte der Seismologe. Damit sei die potenzielle Gefahr für die extrem verwundbare Wiener Region unzureichend erforscht.
Ein historisches Beben ist für die Hauptbruchlinie wahrscheinlich sogar rekonstruierbar, nämlich im vierten Jahrhunderts nach Christus im römischen Carnuntum, so Decker. Dort fanden Archäologen nämlich etliche Mauerzüge, die noch während der römischen Besiedlung umgestürzt sind. Dies konnten sie sich nur durch ein Erdbeben erklären. Decker entdeckte schließlich, dass tatsächlich vor nicht allzu langer (geologischer) Zeit heftige Erdbeben mit einem Epizentrum nahe der Römerstadt stattgefunden haben.
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