Musliminnen empört

F: Geplantes Burka-Verbot lässt Wogen weiter hochgehen

Ausland
19.05.2010 15:04
Das geplante Vollschleier-Verbot sorgt in Frankreich weiterhin für Wirbel. Der Gesetzesentwurf von Justizministerin Michele Alliot-Marie, den das Kabinett am Mittwoch auf den Weg brachte, verbietet das Tragen eines gesichtsbedeckenden Schleiers in der Öffentlichkeit. Nun befürchten rund 2.000 Musliminnen, dass die Vorschrift ihr Leben negativ beeinflussen wird. "Wenn das Gesetz verabschiedet wird, werde ich meinen Schleier nicht abnehmen", sagt etwa Najat (Bild). "Niemand schreibt mir vor, wie ich zu leben habe - außer Gott."

Najat gehört zu einer Handvoll Musliminnen, die vor der Beratung des Gesetzes im Kabinett am Mittwoch mit Journalisten über ihre Befürchtungen sprachen. Wie andere will auch sie ihren vollen Namen nicht nennen, weil sie bei der zunehmend gespannten Stimmung um ihre Sicherheit fürchtet. Seit Beginn der Diskussion über das Verschleierungsverbot vor fast einem Jahr würden sie zunehmend schikaniert, berichten Najat und andere Frauen.

Anwältin ohrfeigte und beleidigte Verschleierte
Einen Fall von Selbstjustiz hat es bereits gegeben: Eine 60 Jahre alte Anwältin habe eine 26-jährige voll verschleierte Muslimin geohrfeigt und ihr den Schleier heruntergerissen, berichteten französische Medien. "Wir sind hier in Frankreich. Geh doch zurück in deine Heimat", soll die Anwältin geschimpft haben. Die 26-Jährige entgegnete, dass sie Französin sei und verklagte ihre Angreiferin wegen rassistischer Beleidigung.

Frankreich hat mit über fünf Millionen Menschen die größte muslimische Gemeinde in Europa. Das französische Innenministerium schätzt, dass davon nur etwa 1.900 Frauen den Vollschleier tragen. Der Plan von Alliot-Marie sieht nun vor, dass Frauen, die gegen das Gesetz verstoßen, eine Geldstrafe von 150 Euro zahlen und in bestimmten Fällen auch Staatsbürgerkundeunterricht nehmen müssen. Und wer Frauen zwingt, sich derart zu verhüllen, müsste sogar mit einem Jahr Haft und 15.000 Euro Strafe rechnen. Denn der Angelpunkt des Gesetzes sei der Schutz der Frau, so Alliot-Marie.

In dem Gesetzesentwurf ist allerdings weder von Burka oder Nika (Gesichtsschleier, der nur die Augen frei lässt; Anm.) noch von Muslimen die Rede. Die französische Regierung wollte verhindern, den Islam zur Zielscheibe zu machen, obwohl sie bereits 2004 Kopftücher nach muslimischer Sitte und ähnliche "demonstrative" religiöse Symbole aus den Klassenzimmern verbannt hat.

Sarkozy: "Vollschleier verletzt grundlegende Werte"
Frankreich sei "eine alte Nation", die "gewisse Vorstellungen" von der Menschenwürde, der Würde der Frau und dem Zusammenleben der Gemeinschaft habe, erklärte Staatschef Nicolas Sarkozy nach der Beratung des Verbots. "Der Ganzkörperschleier, der das Gesicht vollständig verdeckt, verletzt diese für uns so grundlegenden, für die Republik so wesentlichen Werte." Deshalb könne es "keine andere Lösung" geben als ein Verbot von Burka und Nikab in der gesamten Öffentlichkeit.

Auch Alliot-Marie findet viele gute Argumente, den Vollschleier im gesamten öffentlichen Raum, also auch auf der Straße zu verbieten. Auch für sie geht es um die "Werte der Republik und der Demokratie". Selbst in der muslimischen Pilgerstadt Mekka seien diese Schleier verboten. Und bei aller Betonung der persönlichen Freiheit sei es in Frankreich schließlich auch nicht erlaubt, vollkommen nackt durch die Straßen zu laufen. Sie setzt auf die muslimischen Verbände. Diese sollen den Muslimen in Frankreich erklären, warum die Vollschleier nun verboten werden.

"Die geben den Leuten das Recht, uns anzugreifen"
Najat, eine Frau mittleren Alters und Tochter einer Französin und eines Marokkaners, verschleiert seit zehn Jahren ihr Gesicht. Da sie geschieden sei und ihre Kinder allein aufziehe, könne niemand behaupten, "dass mir das aufgezwungen wird", sagt sie. Frankreich verlassen, wenn der Schleier verboten wird, würde sie keinesfalls. "Warum sollte ich gehen?", fragt sie und wedelt mit ihrem französischen Pass.

Die betroffenen Frauen sagen voraus, dass sich ihre verschleierten Glaubensschwestern in die eigenen vier Wände zurückziehen werden, um nicht als Rechtsbrecherinnen erwischt zu werden. Einige wollen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen, falls sie festgenommen werden. "Die geben den Leuten das Recht, uns anzugreifen", fürchtet Kenza Drider aus Avignon. Sie ist verheiratet, hat vier Kinder und war die einzige Schleierträgerin, die während der sechsmonatigen Beratungen über den Gesetzesentwurf von einem Parlamentsausschuss angehört wurde.

Juristen warnen: Komplettverbot juristisch angreifbar
Der französischen Regierung ist klar, dass das Gesetz möglicherweise auf tönernen Füßen steht. Nach Ansicht von Experten könnte es Verfassungsklagen nach sich ziehen oder auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte enden. Der Staatsrat, der die Regierung in Rechtsfragen berät und Gesetze prüft, hat wiederholt darauf hingewiesen, dass ein Komplettverbot juristisch angreifbar sei.

Auch Marie-Alliot räumt ein, dass das Gesetz an einer schwierigen Schnittstelle zwischen der individuellen Freiheit und der Gleichberechtigung von Frau und Mann steht. Sarkozy ignorierte jedoch die Empfehlung des Staatsrats. Das Gesetz soll im Juli in die Nationalversammlung und im September verabschiedet werden. Eine Verfassungsklage könnte sich mehr als zwei Jahre lang - und damit bis nach den nächsten Präsidentschaftswahlen 2012 - hinziehen.

"Ich wüsste nicht mal, wie ich den Schleier ablegen sollte"
Vollverschleierung ist im Islam nicht vorgeschrieben. Führende muslimische Persönlichkeiten warnen dennoch davor, dass ein Verbot alle Muslime unter Generalverdacht stellen könnte. Für Kritiker verstößt der Schleier gegen die Gleichberechtigung der Frau und gegen die säkularen Grundlagen des Staates, andere halten ihn für einen Wegbereiter des radikalen Islamismus.

Die Frauen in der Runde weisen solche Argumente zurück. Ihre Würde werde nicht vom Staat diktiert, sie stellten keine terroristische Gefahr dar, und sie wollten ihre Religion ausüben können, wie sie es für richtig hielten. "Sie sagen, sie wollen uns befreien", sagt Drider. Aber "der Staat wird uns in die Abgeschiedenheit zwingen". Karima, Geschäftsfrau mit eigener Import-Export-Firma, trägt seit 16 Jahren einen Burka-ähnlichen Schleier. Das sei beinahe ihr halbes Leben lang, sagt sie: "Ich wüsste nicht mal, wie ich ihn ablegen sollte."

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