"Fairer Wettbewerb"

Kanzlerin Merkel will Internet stärker regulieren

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14.06.2017 09:10

Seit Jahren weist die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in nahezu allen Reden darauf hin, dass die Digitalisierung das Leben komplett verändern werde. Jetzt hat sie das Thema auf die Agenda der deutschen G-20-Präsidentschaft gesetzt. Erstmals, das betonte sie in den vergangenen Wochen immer wieder, hätten sich diesmal die für Digitalisierung zuständigen Minister im G-20-Rahmen getroffen.

Bereits am Samstag forderte sie beim Besuch im G-20-Land Mexiko eine weltweite Regulierung zumindest für Teile des Digitalsektors. "Man wird bei der Industrie 4.0 in den gesamten Sicherheitsfragen auch den Prozess durchlaufen müssen, den wir bei der Welthandelsorganisation WTO mit realen Handelsvorgängen schon durchlaufen haben, den wir beim G-20-Prozess mit Finanzmarktregulierung durchlaufen haben", sagte Merkel.

Cyberangriffe und Steuer-Tricks
Hintergrund ist eine Reihe von Entwicklungen im digitalen Sektor, die von Sicherheitsfragen wie Cyberattacken, der Verantwortung sozialer Plattformen bis zu steuerlichen Fragen beim Internethandel reichen - und zunehmende Besorgnis in der Politik auslösen. 2013 war Merkel noch für ihren Satz belächelt worden: "Das Internet ist für alle Neuland." Aber seither ist nicht nur in der Bundesregierung der Eindruck gewachsen, dass man bei weitem noch nicht alle Auswirkungen der Digitalisierung überblickt, die die Kanzlerin als echte Revolution bezeichnet.

Im Zentrum der deutschen politischen Debatte steht derzeit eine stärkere Regulierung der sozialen Netzwerke, die etwa Hasskommentare löschen sollen. Der Streit um den Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas zeigt aber das gesamte Dilemma der Politik: Denn international agierende Konzerne prallen mit ihrem Vorgehen auf den klassischen Versuch, neue Probleme im digitalen Sektor mit einer nationalen oder regionalen Regulierung zu lösen. Dies betrifft keineswegs nur Auflagen für das Löschen von Hassbeiträgen auf Twitter oder Facebook.

Der Kurznachrichtendienst Twitter etwa wird ab dem 18. Juni Daten auch seiner deutschen Kunden ins Ausland transferieren - wohin, erfährt der Nutzer nicht mehr. Ausdrücklich weist der US-Konzern darauf hin, dass Nutzer ab dann akzeptieren, dass ihre Daten nicht mehr den Standards des deutschen Datenschutzes unterliegen müssen. Aus Sicht eines Konzerns, der mit der Auswertung von Informationen sogenannte "Big Data" erstellt und daraus neue Geschäftsmodelle entwickelt, erscheint dies logisch. Aus Sicht einer Regierung, die bestimmte Standards setzen will, aber nicht.

Kleines Paradox: Ausgerechnet bei totalitären oder autoritären Staaten kooperieren die Plattformen häufig mit nationalen Auflagen - etwa mit Zensurbestimmungen in China oder der russischen Anordnung, dass in Russland erhobene Daten auch in Russland gespeichert werden müssen.

Unterschiedliche Philosophien bei Nutzerdaten
Seit geraumer Zeit tobt bei der Vernetzung von IT-Technik und Produktion ein Wettbewerb, welche Wirtschaftsregionen Standards durchsetzen können. Weil auch deutsche Konzerne weltweit arbeiten und Daten innerhalb ihrer Unternehmen global übertragen, stellt sich die Frage, wie eigentlich der Zugriff geregelt ist. In Deutschland stößt dabei das Prinzip der "Datensparsamkeit" - also der möglichst kontrollierten Herausgabe von Daten von Bürgern an Staat oder Unternehmen - auf das etwa in den USA vorherrschende Prinzip, dass erst einmal alles erlaubt ist, was nicht verboten ist. Angesichts der Verbreitung von digitalen Plattformen müsse die Bundesregierung regulatorisch gegensteuern, forderte Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries am Dienstag auf dem IT-Gipfel in Ludwigshafen.

BDI-Chef Dieter Kempf mahnte in Mexiko, dass in der deutschen Debatte die Datensparsamkeit künftig durch das Prinzip der "Datensouveränität" ersetzt werden sollte. Auch Merkel fordert ausdrücklich eine neue Offenheit für die Entwicklung von "big data", also der Analyse großer anonymisierter Datenmengen, die etwa für Verkehrsleitsysteme wichtig sind. Aber auch der BDI-Chef fordert, dass die Politik Regelungen etwa für die Datensicherheit und Standardisierung finden müsse. Denn in der "analogen Welt" gebe es in der Wirtschaft eine Standardisierung etwa durch DIN-Prozesse. International wird hier festgelegt, welche Grundvoraussetzungen bestimmte Produkte erfüllen müssen.

Dies ist für Verbraucher und Unternehmen gleichermaßen wichtig in einer globalen Welt. "Aber die digitale Transformation verhindert traditionelle Wege der Standardbildung", warnt Kempf. Statt der bisherigen Normungsgremien würden heute IT-Firmen in großem Stil informell Standards setzen. Merkel hatte in dramatischen Worten etwa deutsche Autokonzerne davor gewarnt, dass sie nur noch verlängerte Werkbank amerikanischer IT-Konzerne werden könnten, die durch ihre Datenauswertung viel besser über die individuelle Kundenwünsche Bescheid wüssten.

Merkel erwartet keine schnellen Lösungen
Große Hoffnungen auf schnelle Lösungen hat aber auch Merkel nicht - obwohl gerade Hackerattacken gezeigt haben, dass weltweit Schäden entstehen können. Aber gerade im IT-Bereich gibt es eben auch eine internationale Konkurrenz. Demokratische und nicht-demokratische Regierungen haben einen anderen Blick auf Sinn und Unsinn der digitalen Welt. "Hier stehen wir bei der Frage des regelbasierten Umgangs noch ganz am Anfang", betonte die Kanzlerin deshalb. Sie hofft, dass das Digital-Thema auch von den nächsten G-20-Präsidentschaften verfolgt wird. In der Regierung wird aber betont, dass internationale Absprachen oft erst dann funktionieren, wenn ein sehr großer Schaden eingetreten ist - wie dies bei der Finanzkrise 2008 der Fall war, beim Ebola-Ausbruch in Westafrika 2013 oder letztlich auch der beim Klimaschutz.

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