„Kein Universalrezept“

Warum Deradikalisierung so oft ohne Erfolg bleibt

Gericht
02.10.2025 18:00

Anschlagspläne im Häfen, Propagandavideos kurz nach der Haftentlassung und Prediger hinter Gittern. Kann IS-Anhängern die hochproblematische Ideologie ausgetrieben werden oder überwiegen die Wiederholungstäter?

Sie sind Außenseiter in der Schule, fühlen sich nirgends wirklich dazugehörig, nicht verstanden. Sie suchen Anschluss, wollen wichtig sein. Wollen Macht verspüren. Solche jungen Menschen gelangen dann nicht selten in die Fänge der terroristischen Organisation Islamischer Staat. Dabei ist die Herkunft, Familiendynamik und der religiöse Hintergrund meist egal – wie diverse Terrorprozesse zeigen, die in Österreichs Gerichten leider viel zu oft über die Bühne gehen. 

Social Media als Ursprung allen Übels?
Die Radikalisierung solcher Burschen, aber auch Mädchen dauert meist nur wenige Monate oder sogar Wochen. Von den Jugendlichen auf der Anklagebank bekommt man überwiegend dasselbe zu hören: „Ich bin über Social Media zum IS gekommen“, sagte zum Beispiel jener 16-Jährige, der mit einem Messer am Wiener Hauptbahnhof auf Menschen einstechen wollte.

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Der IS war für mich wie eine Droge. Ich wollte dazugehören.

18-jähriger verurteilter IS-Anhänger

Der 15-jährige Terror-Anhänger, der „Ungläubige“ am Westbahnhof töten wollte, erklärte in seinem Prozess: „Ich bin über TikTok in eine Telegram-Gruppe gekommen.“ Dort wurde er schrittweise radikalisiert. Auch Luca K. (18) aus dem Umfeld des mutmaßlichen Swift-Attentäters fand im Internet zum Islamischen Staat: „Der IS war für mich wie eine Droge. Ich wollte dazugehören.“

Strafe und Deradikalisierungsprogramm
Nur Beispiele von IS-Anhängern, die in letzter Zeit verurteilt wurden. Ob des Alters bleibt es oft bei bedingten Strafen; manchmal auch teilbedingt. Was man in Terrorprozessen immer zu hören bekommt: „Weisungen zu einem Deradikalisierungsprogramm.“ Da kommt unter anderem Derad ins Spiel, und der lange aufwendige Prozess beginnt, in dem man die Gesinnung solcher Sympathisanten ändern will. 

„Das ist kein Wohlfühlprozess“
Laut einem Mitarbeiter von Derad arbeitet man mit engmaschigen Haftbesuchen und intensiver Betreuung für Verurteilte auf Bewährung. „Das ist kein Wohlfühlprozess“, sagt er ganz klar. Man setze auf eine Mischung aus politischer Bildung, Informationen über die österreichische Verfassung, Rechtslehre und unser Gesellschaftsbild. Was ist linke und rechte Politik? Was sind unsere Werte in Österreich? Warum ist das, was die IS-Anhänger gemacht haben, strafbar? Aber: „Es gibt nicht das Universalrezept.“

Ungefähr 160 bis 180 Personen sind bei Derad durchschnittlich in „Behandlung“. Darunter verurteilte Terroristen, Sympathisanten, die noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten sind, sich aber helfen lassen wollen, und Kinder, wo die MA 11 einschreiten musste. Die Betreuung kann Jahre dauern. „Jeder ist unterschiedlich. Der Mensch ist keine Maschine“, heißt es von Derad. „Es gibt keine Erfolgsquote von hundert Prozent.“

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Man muss differenzieren zwischen jenen, die Zugehörigkeit suchen, und jenen, die völlig indoktriniert von der Ideologie des IS sind.

Anwältin Anna Mair verteidigte bereits in vielen Terrorakten.

Sind manche Jugendliche hoffnungslose Fälle?
Das jüngste Beispiel, bei dem monatelange Deradikalisierung nicht gegriffen hat: Ali K. – der Bursche, der 2023 mit einem Messer in den Hauptbahnhof marschierte und dafür zwei Jahre teilbedingt, acht Monate im Gefängnis ausfasste – teilte nur einen Tag nach seiner Haftentlassung wieder IS-Propaganda auf TikTok. Genau wie ein 17- und ein 18-Jähriger, die Ende 2023 schon zum zweiten Mal wegen Terrorvorwürfen verurteilt wurden. Der jüngere wurde wegen Gefährlichkeit auch in einem forensisch-therapeutischen Zentrum untergebracht.

Ebenfalls scheinbar unbelehrbar: Schon vor acht Jahren stiftete er einen 13-jährigen Deutschen an, ein Selbstmordattentat zu begehen, dafür fasste er als Jugendlicher neun Jahre Haft aus. Seitdem saß K. im Gefängnis. Im Sommer 2020 chattete der mittlerweile 25-Jährige wieder mit einem Jüngeren, versuchte auch den zu einem IS-Anschlag anzustiften. Dafür wurde er vergangenes Jahr zu 16 Jahren Haft verurteilt.

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Eine Gesinnungsänderung ist nur möglich, wenn es derjenige will. Es muss der IS-Propaganda eine gleichwertige Propaganda entgegengestellt werden.

Anwalt Rudolf Mayr verteidigte unter anderem Ali K.

Sie alle nahmen bzw. nehmen an einem Deradikalisierungsprogramm teil. Vonseiten Derad heißt es, dass sich die Rückfallquote bei dem Delikt der terroristischen Vereinigung nicht stark von jener bei anderen Straftaten unterscheidet. Das seien bei Erwachsenen ca. 30 Prozent und bei Jugendlichen sogar 60 Prozent. 99 Prozent würden sie bis zum Haftende betreuen, 95 bis an Ende – das ist entweder, wenn die IS-Anhänger abgeschoben, ausgereist, verstorben oder eben deradikalisiert sind. Eine Messung gibt es dafür jedoch natürlich nicht ...

Porträt von Kronen Zeitung
Kronen Zeitung
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