Geschlechtersensible Faktoren werden in Vorsorge, Diagnostik und Forschung meist zu wenig berücksichtigt. Männer als Standard – etwa in Bezug auf die Therapie – anzusehen, birgt ebenfalls große Probleme. Experten fordern daher einen differenzierten Zugang.
Biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern wurden in der Medizin viel zu lange nicht berücksichtigt – meist zum Nachteil der Frauen. Eine Studie der MedUni Wien zeigt, dass Typ-2-Diabetes bei „ihr“ im Vergleich zu „ihm“ später diagnostiziert wird und sie mehr Risikofaktoren für die Erkrankung aufweist. Dies hat negative Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf bei Frauen, insbesondere in Bezug auf Herzinfarkt und Schlaganfall. Der Umgang mit der Gesundheit, die Wahrnehmung von Symptomen und das Ansprechen auf Medikamente variieren zwischen den Geschlechtern ebenfalls deutlich.
Die Bedeutung einer Geschlechtersensibilität in Forschung und Praxis betonen Experten auch im Rahmen der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG). „Männer und Frauen unterscheiden sich nicht nur biologisch – auch ihre Lebensrealität, ihr Gesundheitsverhalten und ihr Zugang zur Versorgung sind verschieden. Diese Unterschiede müssen wir ernst nehmen“, erklärte Prof. Dr. Julia Szendrödi, Präsidentin der DDG und Ärztliche Direktorin der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie, Stoffwechselkrankheiten und Klinische Chemie des Universitätsklinikums Heidelberg (D).
Biologische und soziale Unterschiede
Neben den bekannten Risikofaktoren wie Blutzucker- und Fettstoffwechselstörungen spielen hormonelle Veränderungen und psychosoziale Belastungen eine zentrale Rolle. Viele Frauen tragen die Hauptverantwortung für Kinderbetreuung und Pflege – zusätzlich zu beruflichen Anforderungen. Gleichzeitig verfügen sie über geringere finanzielle Mittel, haben seltener Zugang zu höherer Bildung und erleben häufiger strukturelle Hürden im Gesundheitssystem. Diese sozialen Faktoren beeinflussen den Krankheitsverlauf und können rechtzeitige Diagnostik oder effektive Therapie erschweren.
Ein weiterer Aspekt ist die Unterrepräsentation von Frauen in klinischen Studien. Frauen vor der Menopause werden häufig ausgeschlossen, obwohl der Menstruationszyklus nachweislich die Insulinempfindlichkeit beeinflusst. Zwei Drittel aller Frauen mit Diabetes erleben in der zweiten Zyklushälfte eine verminderte Wirksamkeit der Insulinbehandlung. In der Menopause selbst verschärfen Bauchfettzunahme und Insulinresistenz die Stoffwechsellage.
Männer werden als Standard angenommen
Auch bei Männern zeigt sich Handlungsbedarf. Sie weisen häufiger eine mangelnde Therapietreue auf, besonders bei Begleiterkrankungen. Dennoch wird ihr Therapieansprechen oft als Standard angenommen.
Die unterschiedlichen Auswirkungen von Medikamenten zwischen den Geschlechtern fließen ebenfalls bislang nur selten in Studien und Leitlinien ein. „Das Ergebnis ist eine Medizin, die beiden Geschlechtern nicht gerecht wird“, so Szendrödi. „Eine moderne Diabetologie muss differenzieren – nicht pauschalisieren.“
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