Wir sitzen am hintersten Tisch im Wiener Café "Korb". Er mit dem Rücken zur Wand. Es ist ein mühsames Gespräch. Draußen im Schanigarten liegen so leichte Themen in der Luft: der Tratsch aus dem Büro, die Frage, ob das Edel-Restaurant "Fabios" um die Ecke nach dem Umbau besser oder schlechter ist, wo es die heißesten Handtaschen gibt, wer mit wem vielleicht ein "Gspusi" angefangen hat. Schwüler Sommerabend im September.
Wir haben ein mühsames Thema auf dem Tisch: Kriege, Tod. Und der plötzliche Abschied aus dem Fernsehen. Fritz Orter hatte vor ein paar Tagen live in der "ZiB 2" zu Moderatorin Lou Lorenz-Dittelbacher dieses gesagt: Das war's jetzt. Meine letzte Reportage. Es ist Zeit, Adieu zu sagen. Ich habe keine Kraft mehr. Seit dem Tod meiner Frau habe ich nicht mehr die Kraft. Nicht wörtlich, aber so ähnlich sagte er das.
Die "ZiB"-Moderatorin Dittelbacher war gewiss vorbereitet auf diesen Abschied. Trotzdem hatte sie sehr traurige, erschrockene Augen. Dann kamen Hunderte Mails. "Herr Orter, sehr geehrter Herr Orter. Das ist so schade. Ich habe Ihre Beiträge immer so geschätzt. Sie haben die Welten des Krieges und des Bösen immer so klug und versöhnlich erzählt. Es tut mir so leid, dass Sie Ihre Frau verloren haben. Ich weiß, wie schrecklich das ist. Ich habe auch meinen Lebensmenschen verloren." Solche Mails und Briefe. Hunderte.
"Kriegsreporter" passte nicht zu ihm
Vierzehn Kriege, Hunderte Höllen, Abertausend Tote, zerfetzte Kinderkörper, Massengräber, abgeschlagene Köpfe, die noch im Tod gedemütigt wurden. Lauter solche Sachen hat Fritz Orter gesehen. Und davon erzählt. Mit einer klaren, festen Stimme, immer unterlegt von Pietät. Niemals voyeuristisch. Das Wort Kriegsreporter hat nicht zu ihm gepasst. "Friedensreporter wollte ich sein", sagt er.
Sein letzter Schauplatz: Syrien. Auf dem Rückflug große Müdigkeit und gelassene Gedanken daran, das alles überlebt zu haben. Einmal noch die Analyse der Gewalt vorbereiten für die "ZiB". Dann... Er war kein Haudegen-Reporter. Keiner, der euphorisch von den Gewaltakten und vom Blut und von Sterbenden berichtet, die dann noch warm auf erkalteten Leichen liegen. Seine Versuche, das Wesen des Bösen zu beschreiben, hatten immer dieses Unausgesprochene im Satz: Schafft es der Mensch, irgendwann Mensch zu sein? Hört das Morden, das Massakrieren jemals auf? Wird es Frieden geben? Nein.
Die Aussichten sind düster
Die Bilanz ist nicht schön, und die Aussichten sind düster. Krieg und Hass und Gewalt im Namen des Glaubens, im Namen des Geldes, im schamlos missbrauchten Namen der Gerechtigkeit. Im Fernsehen schaut das immer aus, als ob es ganz weit weg wäre. Kann irgendjemand diese Frage beantworten: Warum kann ein elendig schlechter Film in Amerika, der armselig den islamischen Glauben verspottet, so viel Hass entzünden? Dazu müsste man Geschichte lernen. Fritz Orter hat immer versucht, seine Reportagen wie Lehrstücke aus der Geschichte zu erklären. Aber noch nie haben Menschen aus der Geschichte gelernt.
So weit fort immer, die Kriegsschauplätze, aber all das könnte noch sehr nahe kommen, fürchtet Fritz Orter. Die Wut, die Arbeitslosigkeit, die gedemütigten Seelen der Jungen in Europa. Keine Perspektive, der falsche Stolz, die Sprengkraft des Glaubens. Wir schauen in die Banlieues von Paris und in die Krisenviertel von Berlin. Wir wissen nicht, wann das Elend ankommt bei uns. Ein Flächenbrand könnte das werden.
Fritz Orter fährt nicht mehr in den Krieg. Alles überlebt zu haben, das ist aus einer Mischung von Verstand und noch mehr Glück geschehen, sagt er. Sein Buch "Verrückte Welt" (erschienen im ecowin Verlag) hat Fritz Orter seinem irakischen Kameramann Walid Chaled gewidmet. Mehr kann er für den Freund nicht mehr tun. Walid Chaled wurde am 28. August 2005 in Bagdad von US-Truppen erschossen. "Manchmal werden Fehler gemacht", sagte dazu der US-Botschafter in Bagdad. Tödliche Fehler halt.
Lift wurde Orter fast zum Verhängnis
Nicht im Kugelhagel, sondern in einem Lift wäre Fritz Orter beinahe gestorben. Ein Hotel in der Kriegszone. Ein Lift, keine zwei Quadratmeter eng. Sie drehten den Strom ab. Bis 60 Grad war Fritz Orter noch bei Bewusstsein in seiner Todeszelle. Als ihn ein Freund rettete, hatte er eigentlich schon abgeschlossen.
Tausend Tode, aber dann kam der Tod des Lebensmenschen. Seine Frau, so viele Jahre der Halt, die Liebe. Die Gedanken an einen gemeinsamen Herbst. Er hat seine Frau an eine schnelle, bösartige Krankheit verloren. Er hat zuschauen müssen, wie es zu Ende geht. Er hat nichts tun können.
Orter wollte Lehrer werden
Schwüler Sommerabend, Ende September. Café "Korb". Was die Leute rundherum für fröhliche Sorgen haben. Fritz Orter kann solchen Stimmungen nichts abgewinnen. Er ist unversehrt aus allen Kriegen heimgekommen. Er schaut gut aus und gesund. Aber Augen hat er – wie ein Mensch, der mehr gesehen hat, als er ertragen kann. Allein, ohne seine Frau, ist es zu viel.
Er wird, hoffentlich, wieder schreiben, erzählen. Bücher wie "Verrückte Welt. Augenzeuge der Weltpolitik". Ursprünglich wollte er ja Lehrer werden. Wie viel man lernen kann von diesem Mann. Jetzt halt nicht mehr im Fernsehen.
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